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»Hör auf, Emilia!«, unterbrach Elin sie sanft. »Solche Gedanken zehren dich aus.«

»Ich weiß, ich weiß. Mein Herz tut so weh, dass ich kaum atmen kann. Und hier unter der Rippe sticht es, als würde ich auf einer Nadel liegen.« Sie seufzte tief. »Da wollte ich dir von der goldenen Stadt erzählen und wovon rede ich? Von diesem unseligen Krieg.« Elin schwieg und dachte an ihren Vater. Manchmal, wenn sie träumte, winkte er ihr zu – ein großer Mann ohne Gesicht, mal mit dunklem Haar, mal mit kahlem Schädel.

Unter dem Fenster ging jemand mit einer Fackel vorbei. Licht huschte durch die Kammer. Wie immer sah Emilia erschöpft und verblüht aus, aber sie lächelte tapfer.

»Meine Kleine«, flüsterte sie. »Ich wünsche dir so viel Glück! Du wirst bald von besseren Tellern essen.«

Zu so früher Stunde lag die Empfangshalle verwaist da wie die verwunschenen Schlösser in den Trollmärchen. Die Kälte der Nacht hatte mit eisigen Fingern bizarre Blumen an die Fenster gemalt. Elin zog ihr Wolltuch um die Schultern und drückte das Bündel mit ihren Habseligkeiten noch fester an sich. In der Kleiderkammer reinigte Victor die Mäntel. Das regelmäßige, schleifende Geräusch der Bürste hatte etwas Beruhigendes. Gerade schlug eine Standuhr, die metallischen Schläge klangen durch die Flure und verhallten erst am Fuß der Treppe. Elin bewegte stumm die Lippen und zählte mit. Fünf Uhr. In der Küche wurden jetzt die ersten Feuer geschürt, Diener brachten frisches Feuerholz zu den Gemächern, und der Bischof würde sich in seiner Residenz in Kürze darauf vorbereiten, sein Frühstück einzunehmen und die Morgenaudienz zu halten. Noch waren die Räume kalt und klamm von der Nacht.

Victor eilte vorbei und lächelte ihr aufmunternd zu.

Für den Augenblick, den eine Schneeflocke brauchte, um an ein warmes Fenster zu fliegen und zu schmelzen, sehnte sie sich nach ihrem alten Leben zurück. Es hätte ihr genügt, woanders arbeiten zu können – solange sie nur weit genug entfernt von Greta wäre. Am liebsten wäre sie immer hier stehen geblieben – zwischen Küche und Tre Kronor.

Schritte erklangen auf der Treppe. Elin drückte sich näher an das Geländer. Ein schwarzer Rock wurde sichtbar, eine matronenhafte Gestalt und – weiße Löckchen. Schnaufend kam die Kammerfrau aus Madame Joulains Zimmer die Treppe herunter. Auf halber Höhe blieb sie stehen und sah sich mit schlafmüden Augen um. Jetzt am Morgen wirkte ihre Haut grau, ihre Lippen aber leuchteten in einem so grellen Rot, als hätte sie Beeren gegessen. Bei Elins Anblick verzog sie den Mund.

»So sieht man sich wieder«, meinte sie weder freundlich noch unfreundlich. Elin errötete und machte einen Knicks. Die Frau seufzte, drehte sich um und schnaufte die Treppe wieder hoch. Elin begriff und beeilte sich, ihr zu folgen. Die Kammerfrau trat zu einem Fenster. Ein Luftzug drückte sich durch einen Fensterspalt und trug Elin den Duft von parfümiertem Puder zu. »Elin heißt du, nicht wahr? Gut, gut. Mich nennst du Lovisa. Leg dein Bündel hin und lass dich anschauen.« Eine steile Falte erschien zwischen ihren Brauen.

»Hast du schon einmal ein richtiges Mieder getragen?«

Elin schüttelte den Kopf.

»Das sieht man. Dreh dich um. Kind – du hältst dich ja wie ein Schürhaken!«

Unwillkürlich stellte sich Elin gerader hin und drückte die Schultern nach unten. Lovisa lächelte grimmig und schüttelte den Kopf. Ihre Löckchen tanzten.

»Nützt überhaupt nichts, Mädchen. In einer Stunde beginnt die Reise – und so, wie du jetzt aussiehst, wirst du auf keinen Fall zu uns in die Kutsche steigen. Nun, wir werden dich schon gerade biegen. Komm mit!«

Der Schein der Fackel verwandelte die Schatten der Kutschpferde in zuckende, langbeinige Fabeltiere. Der ganze Hof lag unter frischem Schnee begraben. Hinter den vereisten Fensterscheiben, in die neugierige Finger Gucklöcher gerieben hatten, tanzten Kerzenflammen wie Irrlichter im Moor. Alle Bewohner waren wach, um der königlichen Gesellschaft bei der Abreise zuzusehen. Stallknechte tränkten die Pferde und die Kutscher prüften ein letztes Mal die Schlittenkufen, die anstelle der Räder an den Kutschen befestigt worden waren. Die Kutschen bestanden aus dunklem Holz, das an einigen Stellen blau und gelb bemalt war – die Farben Schwedens. Auf jeder prangten die drei Kronen, das Zeichen des Königreichs Schweden.

Zügelringe und Kandarenketten klirrten, wenn die Pferde der Soldaten die Köpfe schüttelten. Mit zitternden Flanken wartete die Meute der königlichen Jagdhunde darauf, endlich vor der Kälte davonlaufen zu dürfen. Mitten in diesem Trubel stand Elin neben einem Berg von Gepäckstücken. Ihr eng geschnürtes Mieder aus festem Segeltuch drückte gegen ihr Brustbein und zwickte in den Achselhöhlen. Es musste einer dünneren, aber auch größeren Frau gehört haben. Das Kleid mit den weißen Ärmeln war länger und schwerer als ihre Küchentracht. Zum ersten Mal trug Elin fein gewebte Strümpfe und lederne Halbschuhe, die viel weicher und wärmer waren als die klobigen Küchenpantoffeln. Allerdings hatten die Schuhe einen vier Finger hohen Absatz, was Elin das Gefühl gab, auf Zehenspitzen zu laufen. Am wenigsten gefiel ihr das Tuch auf ihrem hochgebundenen Haar, das kaum größer als ein Taschentuch war. Ohne ihre Haube, die sonst ihr Haar vollständig verbarg, fühlte sich ihr Kopf so nackt an, als hätte ihn jemand geschoren. Verlegen zupfte Elin an ihren Handschuhen und wartete. Keiner der Bediensteten, die die Kleidertruhen einluden, gönnte ihr einen zweiten Blick.

Königin Kristinas französische Gäste fielen auf wie ein Haufen bunter Finken in einem Hühnerstall. Die verfrorene Madame Joulain blickte todunglücklich drein, ihre Wangen waren fiebrig gerötet und ihrer Nase sah man an, dass die Erkältung über Nacht nicht besser geworden war. Der Pelzsaum an ihrem Kragen sträubte sich im schneidenden Morgenwind. Madame Joulains Herrschaften ließen sich Zeit, zur Kutsche zu kommen. Der französische Graf war beleibt und hatte einen gestutzten Schnurrbart. Sein langes Haar trug er in unglaublich viele Locken gelegt. Schnee fing sich auf seinen zu Stulpen umgeschlagenen Schaftstiefeln. Die Dame an seiner Seite war zierlich und bewegte sich wie ein Vogel – mit flinken, genau bemessenen Bewegungen. Ihr purpurroter Rock leuchtete im Schnee. Das Haar der Französin war so schwarz, dass Elin sicher war, eine junge Frau vor sich zu haben, aber als die Dame sich umwandte, erkannte sie, dass ihr Gesicht viel älter war als ihre Bewegungen und die Farbe ihres Haars. Die Madame zählte sicher schon vierzig Jahre! Elin reckte ihren Hals. Irgendwo musste der Sohn des Grafen und der schwarzhaarigen Gräfin sein, der junge Marquis, der gestern mit Ebba Sparre durch den Park spaziert war. Gestern, als Fräulein Sparre für Elin so unerreichbar gewesen war wie der Polarstern.

Doch der französische Gast erschien nicht, dafür trat die Königin aus der Tür und ging mit energischen Schritten die Treppe hinunter. Ebba Sparre und eine Gruppe von Höflingen, die sie allesamt um einen Kopf überragten, hatten Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Als Ebba Elin entdeckte, glitt ein verschlafenes Lächeln über ihr Gesicht. Mit klopfendem Herzen knickste Elin so, wie Lovisa es ihr eben im Umkleidezimmer beigebracht hatte.

Längst hatte die Hofgesellschaft ihre Plätze in den Schlitten eingenommen, als endlich auch Lovisa auftauchte. Erleichtert bückte sich Elin nach ihrem Gepäck, aber weit kam sie nicht. Die Luft blieb ihr weg, Lichtblitze tanzten vor ihren Augen. Es war offenbar unmöglich, sich hinunterzubeugen, ohne zu ersticken. Also ging sie mit stocksteifem Rücken in die Knie und hangelte nach dem Bündel.

»Komm endlich!«, zischte ihr ein dickliches, bildhübsches Mädchen zu. »Frau Lovisa wartet.«

Das Gepäck wurde ihr aus der Hand genommen, grobe Soldatenhände halfen ihr auf die viel zu hohe Trittstufe.

Ehe sie sichs versah, saß Elin bereits auf einer gepolsterten Bank, Schulter an Schulter mit dem dicken Fräulein. Gegenüber leuchtete im Halbdunkel Lovisas Gesicht. Sobald die Tür geschlossen war, breitete sich eine angenehme Wärme aus, die ein tönerner und emaillierter Ofen verströmte. Rufe ertönten und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Verstohlen spähte Elin zwischen den Vorhängen hindurch. Das Letzte, was sie sah, bevor die Kutsche durch das große Tor in Richtung Stadt fuhr, war Victor. Wie eine lebendige Zierfigur stand er neben der riesigen Tür und blickte ihr mit besorgtem Gesicht nach.