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»Von ihnen?« wiederholte Hartmann. Plötzlich fuhr er zusammen. »Sie meinen ... einer ... der ...«

»... der Herren der Schwarzen Festung«, unterbrach ihn Kyle. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Sie haben ihn erwischt. Aber der andere ist entkommen.«

»Der andere?«

»Sie sind immer zu zweit«, sagte Kyle. Er preßte die Lippen aufeinander und schlug sich mit der Faust in die geöffnete Linke. »Verdammt! Das hätte nicht passieren dürfen. Wenn er entwischt, dann war alles umsonst!«

Plötzlich fuhr er herum und begann so wild und nervös zu gestikulieren und den Moroni Befehle zuzurufen, wie Hartmann ihn noch niemals zuvor erlebt hatte. Er hatte bisher geglaubt, daß es nichts gab, was den Megamann wirklich aus der Ruhe zu bringen vermochte; aber das war ein Irrtum gewesen.

In die Moroni kam Bewegung. Hastig stürzten die Ameisenkrieger davon. Und obwohl auf den starren Insektengesichtern der Ameisen nicht die allermindeste Regung abzulesen war, wußte Hartmann, daß sie froh waren, aus der Nähe dieses unheimlichen Dinges zu entkommen. Beinahe gegen seinen Willen wandte er sich wieder um und versuchte erneut, die formlose Masse zu seinen Füßen irgendwie zu identifizieren. Das Wesen schien sich im Tode noch zu bewegen und zu regen, obwohl Hartmann sehr genau erkannte, daß es vollkommen still lag. Er hatte einen flüchtigen Eindruck riesiger, vielfach untergliederter Fühler und filigraner Glieder, eines gepanzerten mächtigen Körpers, der mit nichts Ähnlichkeit hatte, was er jemals gesehen hatte.

Schaudernd trat Hartmann einen Schritt zurück und fuhr abermals zusammen, als sein Fuß gegen den Kadaver der Ratte stieß. »Wieso die Ratten?« murmelte er.

Er hatte nicht damit gerechnet, aber Kyle antwortete. »Das sollten Sie besser wissen als ich, Hartmann. Sie waren es schließlich, die diese Tiere gezüchtet haben - zu dem einzigen Zweck, die Moroni zu vernichten.«

Hartmann war verwirrt. Er glaubte sich den bitteren, vorwurfsvollen Ton in Kyles Stimme nicht nur einzubilden.

»Sie waren die einzigen, die es schaffen konnten«, fuhr der Megamann fort. Seine Stimme klang jetzt wieder beherrscht, beinahe dozierend. »Sie spüren unsere Nähe so wie wir ihre. Und Sie und Ihre Männer hätten keine Chance gehabt, auch nur auf eine Meile an sie heranzukommen. Aber ich wußte, daß sie diese Tiere nicht als Gefahr einstufen würden.«

»Ihre Rechnung scheint aufgegangen zu sein«, sagte Hartmann.

Kyle schüttelte ruckhaft den Kopf. »Leider nicht ganz«, sagte er. »Wir müssen den anderen erwischen. Wenn er den Transmitter zerstört, dann war alles umsonst.«

Hartmann legte den Kopf in den Nacken und blinzelte aus eng zusammengekniffenen Augen zu dem riesigen Metallring hinauf, der noch immer blaues Feuer spie. Irrte er sich, oder war das Gleißen ein wenig schwächer geworden? »Ich wüßte nicht, was es da noch zu zerstören gibt«, murmelte er.

»Er wird es überstehen«, sagte Kyle achselzuckend. »Die Energie war gewaltig, aber das Netz ist groß genug. Eine vorübergehende Störung, mehr nicht.«

»Energie? Welche Energie?«

»Später«, sagte Kyle. »Wir müssen den anderen finden und ausschalten.« Er gab Net und Hartmann mit Handzeichen zu verstehen, ihm zu folgen, und lief los.

2

Das letzte, was sie gesehen hatte, war eine Woge blendendweißer, unerträglicher Helligkeit, die plötzlich da entstanden war, wo sich zuvor die Riesenhantel gedreht hatte, Licht von so unvorstellbarer Intensität, daß die Wände des Gleiters durchsichtig zu werden schienen. Es war, als hätte der gesamte Kosmos Feuer gefangen, ein Licht wie das Herz einer explodierenden Nova, das sich rasend schnell auf sie zubewegt hatte. Und Skudders Stimme: »O mein Gott! Sie explodiert!«

Dann ... Stille. Ein endloses Dahingleiten durch ein schwarzes, weiches, warmes, leeres Nichts, in dem Sekunden zu Jahren und Äonen zu Augenblicken wurden, in dem Zeit und Raum nicht mehr dasselbe bedeuteten wie in der Welt, in der sie geboren und aufgewachsen war, und schließlich der erste, bewußte Gedanke, ebenso banal wie naheliegend, denn jeder in ihrer Situation hätte ihn wohl gedacht: War das der Tod?

Natürlich nicht.

Sie wußte, was es war. Es war nicht das erste Mal, daß sie in diesem fremden, unheimlichen Kontinuum weilte, einem Raum, der weder still noch leer, weder dunkel noch unbelebt war, aber so anders, daß ihre Sinne nichts von dem, was sie umgab, wirklich begreifen konnten.

Die Bombe war explodiert.

Aber - wieso lebte sie noch?

Lebte sie noch?

Eine gute Frage, dachte Charity. Die Bombe war explodiert, das zumindest war sicher. Sie hatten versagt. Es war ihnen nicht gelungen, Morons Todesboten zu entschärfen. Die Orbit-Stadt und das Flottenhauptquartier der Moroni existierten nicht mehr, und die Erde gab es vielleicht auch nicht mehr.

Sie hätte Zorn bei diesem Gedanken empfinden müssen, Entsetzen, zumindest Trauer - aber sie spürte nichts von alledem. Vielleicht war in diesem Raum zwischen den Universen kein Platz für Gefühle. Vielleicht war das Entsetzen auch einfach zu groß, daß etwas in ihr wie eine überlastete Sicherung durchgebrannt war. Sie hatten gekämpft - und verloren. Es war vorbei, und alles, was sie empfand, war ein tiefes Gefühl von Endgültigkeit.

Ganz flüchtig kam ihr der Gedanke, daß dies vielleicht doch der Tod war, und diese große, schwarze Leere ringsum nichts anders als die Hölle, durch die sie für alle Zeiten treiben würde, ohne Körper, ohne Gefühl, mit nichts anderem als dem sicheren Wissen ihres Versagens und des Preises, den ihre Freunde und letztendlich ihre ganze Welt dafür bezahlt hatten. Aber gleichzeitig wußte sie auch irgendwie, daß das nicht stimmte. Sie war schon mehrmals hiergewesen, und obwohl sie es bis vor wenigen Augenblicken nicht einmal selbst gewußt hatte, erinnerte sie sich an jedes einzelne Mal, als wären die Erinnerungen die ganze Zeit über dagewesen, aber sorgsam verborgen und ihrem bewußten Zugriff entzogen: Sie befand sich im Inneren des Transmitters. Es war die schwarze Leere, die hinter dem Silber der Transmitterringe wartete, der zeitlose Schritt durch den Raum, der nicht zeitlos war und der auch nicht durch den Raum führte, sondern durch ... etwas anderes. Etwas, wofür es keine Worte gab.

Allmählich begann sich die Dunkelheit zu lichten. Vielleicht verließ sie diesen bizarren Kosmos, vielleicht wurde sie auch allmählich zu einem Teil dieses fremden Raumes - sie wußte es nicht, aber was sie sah, das schlug sie in seinen Bann, machte es ihr unmöglich, den Blick zu wenden.

Es war so unvorstellbar fremd und furchteinflößend, daß eine Million Worte nicht ausgereicht hätten, es zu beschreiben, aber gleichzeitig auch von einer fast hypnotischen Faszination. Etwas daran berührte ihre Seele und begann Dinge in ihr auszulösen, von denen sie nicht wußte, was sie waren. Und plötzlich begriff sie die Gefahr, die von diesem Angriff ausging. Noch ein paar Sekunden, und dieses Bild würde es ihr völlig unmöglich machen, jemals wieder wegzusehen, jemals wieder an irgend etwas anderes zu denken als an das körperlose Wogen und Gleiten, es würde sie aussaugen, verbrennen und nur eine leere Hülle zurücklassen, die nie wieder irgend etwas anderes tun konnte, als diesen fremden Kosmos anzustarren, der Himmel oder Hölle zugleich war.

Aber wie sollte man die Augen schließen, wenn man keine Lider hatte; wie wegsehen, wenn man nicht sah?

Sie versuchte es. Die schwarzen Wirbel hinter und vor ihrer Stirn drehten sich schneller, zerrissen, ordneten sich neu ... immer und immer und immer wieder.

Dann ...

... fühlte sie etwas.

Stimmen, die lautlos flüsterten, schrien, weinten, riefen, lachten ...

Gefühle. Angst, Verwirrung, Freude, Furcht, Neugier, Entsetzen, Liebe und Haß, Wärme, Kälte ...

Die anderen.

Auch das war so wie die anderen Male, als sie die Transmitter benutzt hatte: Sie fühlte, daß sie nicht allein war, daß es da noch andere gab, die mit ihr durch das Tor in jenen anderen Kosmos getreten waren, aber etwas war anders.