Mit heulenden Triebwerken, einen Schleier aus Feuer und Glut hinter sich herziehend, näherte sich der Gleiter dem Boden, sprang wie ein flach geworfener Stein wieder in die Höhe und prallte ein zweites Mal und mit noch größerer Wucht auf.
Diesmal schafften es die Schockabsorber nicht, die Erschütterung zu dämpfen.
Eine unsichtbare Faust traf Charity und preßte sie gegen Stone. Sein Schrei war nurmehr ein ersticktes Keuchen. Sie spürte, wie er unter ihr erschlaffte, und für einen Moment schwanden auch ihr die Sinne.
Aber es konnten nur Augenblicke gewesen sein, denn das Schiff war noch nicht einmal zur Ruhe gekommen, als ihr Bewußtsein zurückkehrte. Splitter und Rauch und grelle Flammen schienen auf den Monitor zuzurasen, und plötzlich sah sie einen riesigen schwarzen Schatten, der das Schiff regelrecht anzuspringen schien. Völlig unsinnig riß sie in einer instinktiven Bewegung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Arme vor das Gesicht und spannte sich.
Der Aufprall war grauenhaft. Metall zerbarst. Der Monitor zerbrach, und anstelle der Bilder von Flammen brach wirkliches Feuer aus der Wand über dem Steuerpult. Sie konnte regelrecht spüren, wie sich das Schiff unter ihnen verformte. Irgend etwas explodierte, und für eine Sekunde fiel die Beleuchtung aus und wurde dann vom unheimlich gelben Schein der Notbeleuchtung ersetzt.
Und von einer Sekunde auf die andere war es still.
Nach dem Höllenlärm, der ihre Ohren gepeinigt hatte, tat die Stille fast weh. Charity sah die Flammen, die aus dem zerborstenen Monitor schlugen, aber sie hörte ihr Prasseln nicht, sie sah, wie sich dicht neben ihr eine schlanke Gestalt mit zu vielen Gliedern und falschen Bewegungen aufzurichten versuchte, und dann streifte ihr Blick Skudders Gesicht. Sein Mund bewegte sich, aber sie hörte nichts.
Was dem furchtbaren Licht nicht gelungen war, hatte der Lärm geschafft: Sie war nicht blind, aber taub.
Panik drohte sie zu überwältigen, aber es gelang ihr, sie niederzukämpfen. Benommen stemmte sie sich in die Höhe und erinnerte sich wieder daran, Stone bei ihrem Anprall von den Füßen gerissen zu haben. Sie sah auf ihn herab und stellte erleichtert fest, daß er nicht ernsthaft verletzt zu sein schien. Sein Gesicht war verzerrt. Er blutete, und seine Lippen bewegten sich, als er irgend etwas sagte, aber Charity verstand ihn nicht. Sie hörte noch immer absolut nichts.
Dafür sah sie im nächsten Moment etwas, das so bizarr war, daß sie es im allerersten Augenblick nicht einmal glaubte:
Kias hatte sich neben ihr auf drei seiner sechs Glieder hochgestemmt und versuchte auf das Steuerpult zuzukriechen, aber es gelang ihm nicht. An seinem rechten Bein hing ein blutüberströmter Zwerg, der mit einer Hand seinen Fuß umklammerte und mit der anderen immer und immer wieder auf das dünne Insektenbein darüber einschlug. Gurks Gesicht war verzerrt, und er hatte nun wirklich Schaum vor dem Mund, der hellrosa gefärbt war.
Charity stand auf, kämpfte einen Moment lang überrascht um ihr Gleichgewicht, als sie etwas zu spät begriff, daß der Boden des Steuerraumes nicht mehr eben war, sondern sich in eine abschüssige Rampe verwandelt hatte. Dann zerrte sie Gurk von dem Moroni fort; nicht einmal so sehr, um Kias zu helfen. Sie bezweifelte, daß das riesige Insekt die Faustschläge des Gnoms überhaupt spürte. Aber Kias war ebenso benommen wie sie oder Stone. Wenn er sich ganz instinktiv zur Wehr setzte, konnte das Gurks Tod bedeuten.
Nein, das konnte es nicht. Gurk würde nicht sterben, er konnte nicht sterben, ganz egal, was seinem Körper ge...
Der Gedanke brach so abrupt ab, als hätte jemand einen Schalter hinter ihrer Stirn umgelegt, und Charity blieb mit einem Gefühl tiefer Verwirrung zurück. Was war das? Für einen Moment hatte sie das Gefühl gehabt, als ob sich in ihren Gedanken eine Tür auftat, um ihr einen Blick in einen Teil ihres Gedächtnisses zu gewähren, der ihr für gewöhnlich immer verschlossen blieb.
Gurk nutzte den winzigen Moment, in dem sie abgelenkt war, um sich loszureißen - und sich sofort wieder auf den Moroni zu stürzen. Seine Lippen bewegten sich. Das Netz! Es wird zusammenbrechen! Ihr Wahnsinnigen!
Sie las die Worte von seinen Lippen. Es waren die gleichen, die er auch geschrien hatte, ehe das Chaos über das kleine Schiff und seine Besatzung hereinbrach. Völlig außer Rand und Band schlug und trat er immer wieder auf den Chitinpanzer des Rieseninsekts ein. Kias versuchte seinen Hieben auszuweichen, so gut er konnte, verzichtete aber zu Charitys Erleichterung darauf, sich zu wehren, so daß es ihr schließlich gelang, den Zwerg im wesentlichen unverletzt von der riesigen Ameise herunterzuzerren. Durch ihren ersten Fehler gewarnt, packte sie diesmal fester zu. Nach einigen Augenblicken stellte der Zwerg seinen Widerstand ein.
Sie registrierte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und sah, daß auch Skudder sich wieder erhoben hatte. Er wankte, und als er den linken Fuß belastete, verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz; er konnte aber aus eigener Kraft stehen.
Sie sah, wie sich seine Lippen bewegten, zuckte zur Antwort mit den Schultern und berührte mit der freien Hand ihr Ohr. »Tut mir leid«, sagte sie. »Aber ich höre nichts.«
Seltsam - sie hatte nicht einmal mehr ein Gefühl für ihre eigene Stimme.
Skudder runzelte die Stirn, legte den Kopf auf die Seite und sah sie fragend an. Wieder bewegten sich seine Lippen, und plötzlich machte sich ein Ausdruck von Schrecken auf seinem Gesicht breit. Er sagte etwas. Sie konnte sehen, daß er schrie.
Charity hörte nichts - aber ganz plötzlich wurde ihr klar, daß auch Skudder den Klang seiner eigenen Stimme nicht hörte!
Mit einem Ruck drehte sie sich zu Stone herum. Der ehemalige Gouverneur der Erde hatte sich aufgesetzt und blickte abwechselnd sie und Skudder an, und auch auf seinem Gesicht hatte sich derselbe, fassungslose Schrecken breitgemacht wie auf dem Antlitz des Hopi. Er starrte sie an, dann hob er die Arme vor das Gesicht und klatschte in die Hände. Charity mußte nicht einmal mehr das Entsetzen in seinen Augen sehen, um zu begreifen, daß auch er nichts hörte.
Vorsichtig setzte sie Abn El Gurk wieder auf die Füße. Der Zwerg schien die Botschaft verstanden zu haben, denn er versuchte nicht noch einmal, sich auf den Moroni zu stürzen. Charity berührte mit den Fingern ihr Ohr und blickte fragend. Gurk schüttelte den Kopf. Auch er hörte nichts. Das konnte im Grunde nur eines bedeuten, dachte Charity schaudernd: daß sie alle vier von plötzlicher Taubheit befallen waren, war mehr als unwahrscheinlich. Die wahrscheinlich vollkommen verrückte Erklärung war, daß es keine Geräusche mehr gab!
Sie fuhr herum, starrte auf den Schirm und sah nichts außer Flammen und Glas, das über das Steuerpult verstreut war. Eine ölige Flüssigkeit tropfte aus einem Riß in der Wand und verquoll auf dem Pult. Das Metall mußte glühend heiß sein - aber sie spürte nicht einmal Wärme ...
Irgend etwas stimmte nicht, dachte Charity. Und nicht nur mit diesem Schiff. Vielleicht überhaupt nicht mit diesem Schiff. Vielleicht ... mit ihnen.
Sie wirbelte auf dem Absatz herum, zerrte Gurk einfach mit sich und lief über den schrägen Boden auf die Tür zu. Plötzlich hatte sie das sichere Gefühl, daß sie den Gleiter möglichst schnell verlassen sollten.
Stone und auch Skudder folgten ihr, ohne daß es einer weiteren Aufforderung bedurft hätte, nur Kias blieb an seinem zerstörten Steuerpult stehen. Der Blick seiner riesigen Facettenaugen huschte unstet über die zerborstenen Skalen und Monitore, und obwohl sie bis zu diesem Moment geglaubt hatte, daß das nicht einmal möglich sei, glaubte sie so etwas wie Panik darin zu erkennen.
Kias zitterte. Was um alles in der Welt sah der Jared, das sie nicht sahen?!