»Hallo, hallo, hallo!«, sagte Ethel, und ihre Worte schienen von allen Seiten zu kommen. »Willkommen zu Hause, Eddie! Es ist so schön, dass du wieder mal hier bist; jeder andere hier ist so mürrisch! Diese Spießer haben alle keine Ahnung davon wie man Spaß hat. Im Herrenhaus ist einfach viel mehr los, wenn du da bist. Wie war es in London? Wie war es im Tower? Hast du mir ein Geschenk mitgebracht?«
»Ich weiß nie, was ich dir mitbringen soll«, antwortete ich. »Es ist schwierig, dir etwas zu kaufen, aber das trifft wohl auf die meisten nicht materiellen, andersdimensionalen Entitäten zu.« Ich ignorierte Ethels Kichern und sah die Matriarchin an. »Wo ist denn der Rest des Zirkels? Warten wir auf sie?«
»Nein«, sagte Martha. Ihre Stimme klang ruhig und war völlig ohne Wärme. »Fürs Erste sind wir der Zirkel. Dein Cousin Harry ist draußen mit Roger Morgenstern, seinem Partner, unterwegs. Er versucht, ein paar dubiose Pariser Nachtclubs auf der Suche nach dem berüchtigten Fantom zu infiltrieren. Ich kann nicht fassen, dass dieser Verrückte schon wieder ausgebrochen ist, kaum dass wir ihn eingefangen hatten. Wenn die französischen Behörden kein Gefängnis bauen können, dass stark genug ist, um ihren berüchtigsten und gefährlichsten Kriminellen einzusperren, muss ich unserem Waffenmeister befehlen, ihnen eines zu bauen. Und der Preis dafür dürfte ihnen nicht gefallen.«
»Ich dachte, wir hätten Fantom erst letztes Jahr eingesackt«, meinte der Waffenmeister und runzelte die Stirn.
»Haben wir auch. Er ist wieder ausgebrochen. Harry und Roger kommen wieder, sobald sie können.«
»Und William?«, fragte ich.
»Der Bibliothekar ist schwer beschäftigt, in der Bibliothek«, sagte der Waffenmeister. »Er verlässt diesen Ort ja kaum. Hat sich eine Pritsche aufstellen lassen, eine chemische Toilette und lässt sich die Mahlzeiten bringen.«
»Normalerweise würde ich ein solches Benehmen nicht dulden«, sagte die Matriarchin. »Aber wir brauchen ihn.«
»Es ist nicht gesund«, erwiderte der Waffenmeister bestimmt. »Ich meine, ich liebe meine Waffenmeisterei, aber am Ende des Tages schließe ich die Tür hinter mir und gehe nach Hause.«
»William macht gute und wichtige Arbeit«, sagte die Matriarchin. »Und das ist es, worauf es ankommt.«
»Für uns«, meinte der Waffenmeister. »Aber was ist mit ihm?«
»Sei still, Jack.«
»Ja, Mutter.«
Ich nickte düster. »Ich habe gehofft, sein Zustand würde sich bessern, nachdem ich ihn aus diesem Sanatorium für kriminelle Verrückte rausgeholt und nach Hause gebracht hatte. Aber das Herz hat wirklich etwas mit seinem Kopf gemacht. Gib ihm Zeit, er wird schon wieder. Er ist ein zäher alter Kerl.«
»Natürlich«, sagte Martha. »Er ist ein Drood.«
»Und wenn wir verrückt sind, sind wir am gefährlichsten«, meinte der Waffenmeister und wackelte mit seinen buschigen Augenbrauen.
»Jack …!«
»Tut mir leid, Mutter.«
»Also,«, meinte ich nachdenklich. »Nur wir drei. Wie gemütlich.«
»Vier«, meinte das rubinrote Glühen vorwurfsvoll.
»Tut mir leid, Ethel«, sagte ich. »Vier. Also. Was ist denn nun so dringend, dass ich den ganzen Weg hierherkommen musste, und das ganz ohne Vorwarnung? Und warum musste ich fahren? Warum konnte ich nicht einfach direkt durch Merlins Spiegel gehen wie sonst?«
»Wir können das Risiko nicht eingehen, dass etwas davon nach außen dringt«, sagte die Matriarchin fest. »Ich habe Merlins Spiegel nie wirklich getraut. Ich meine, man muss bedenken, von wem er geschaffen wurde. Hast du ihn mitgebracht?«
»Natürlich«, sagte ich. »Er ist sicher im Kofferraum meines Wagens eingesperrt.«
»Gut«, meinte der Waffenmeister. »Das heißt, keiner kann ihn zum Lauschen verwenden.«
»Ich sehe, die Familienparanoia feiert fröhliche Urständ«, meinte ich dazu. »Also. Entweder nennt ihr mir jetzt einen richtig guten Grund, warum ich hier bin, oder ich fahre mein hübsches kleines Auto in die bequeme Londoner Zivilisation. Ich bin für die Familie nicht mehr verantwortlich und nur ein Mitglied des Zirkels, wenn es notwendig wird. Ich bin wieder ein Feldagent und bin es gern. Gerade erst habe ich die Kronjuwelen davor gerettet, gestohlen zu werden, und ganz England vor einer schrecklichen Katastrophe bewahrt. Ich habe mir ein wenig Urlaub verdient.«
Man muss es der Matriarchin zugute halten: Sie blinzelte bei meiner Tirade nicht einmal, auch wenn keiner in der Familie außer mir es gewagt hätte, so mit ihr zu reden. »Bist du fertig?«, fragte sie ruhig.
»Raus damit, oder ich mache euch Feuer unterm Hintern«, antwortete ich.
Sie lächelte dünn. »Also leite ich diese Familie nur, weil es dir so gefällt, Edwin? Das denke ich nicht. Du hast das Ergebnis der Wahl akzeptiert. Du bist für mich zurückgetreten. Du hast die absolute Macht und Verantwortung abgegeben und dafür deine … Unabhängigkeit verloren. Du hast dich damit einverstanden erklärt, meine Autorität als Matriarchin zu akzeptieren, oder versuchst du jetzt wieder, sie an dich zu reißen? Wieder einmal?«
»Das kommt darauf an«, sagte ich finster. »Warum bin ich hier?«
»Zuerst müssen wir ein paar dringende Ratssachen erledigen«, sagte die Matriarchin. Sie ließ sich den Triumph in ihrer Stimme kaum anmerken. Ich hätte heulen können. Sie würde das auf ihre Art erledigen und alles, was ich tun konnte, war mitzumachen. Weil sie jetzt das Sagen hatte und weil sie mich tatsächlich nicht zurückgeholt hätte, wenn es nicht wirklich wichtig gewesen wäre. Sie wollte mich nicht wieder hier haben, wo ich ihre Autorität untergraben und ein schlechtes Beispiel geben konnte. Genauso wenig wie ich das wollte.
Die Matriarchin nickte dem Waffenmeister zu. Er straffte sich und begann mit einer vorbereiteten Rede. »Der Krieg gegen die Hungrigen Götter hat einige Fragen aufgeworfen.« Seine Miene sah düsterer aus als sonst. »Wir haben nie herausgefunden, wer der Verräter in unserer Familie war; der Vollidiot, der zuerst die Abscheulichen in unsere Realität holte und eine Tür für die Vielwinkligen öffnete, die man auch die Hungrigen Götter nennt. Wir sind sicher, es war kein Zufall. Der Verräter bestand darauf, die Abscheulichen als Waffe während des Zweiten Weltkrieges zu benutzen, obwohl es viele andere und viel sicherere Optionen gab. Warum also hat er das getan?«
»Es gibt Hinweise darauf, dass der Verräter immer noch lebt und Teil der Familie ist«, meinte die Matriarchin. Ihre Stimme klang jetzt sehr kalt. »Er müsste jetzt über hundert Jahre alt sein und sein Leben auf unnatürliche Weise verlängert haben. Es scheint, als hätte er andere Mitglieder der Familie getötet und ihre Identität übernommen.«
»Wie kann das denn sein?« Ich war wirklich schockiert. »Wir sind doch hier alle zusammengepfercht. Wie kann man so etwas tun, ohne dass jemand es bemerkt? Das ist einer der Gründe, weshalb ich so froh war, als ich hier raus konnte, wo wir alle so dicht aufeinander hocken.«
»Wir haben keine Beweise, keine harten Fakten, nicht einmal eine echte Theorie«, meinte der Waffenmeister grimmig. »Nichts Bestimmtes, nur Gerüchte hinter vorgehaltener Hand. Aber wer auch immer er ist, er macht immer noch Ärger. Wir sind ziemlich sicher, dass er die Nulltoleranz-Fraktion in der Familie gegründet hat, ebenso wie er auch das Manifeste Schicksal initiiert und manipuliert hat. Diese Fraktion hat immer noch Anhänger in der Familie und die sagen, dass wir aktiver gegen all unsere Feinde vorgehen sollten. Sieh mich nicht so an, Eddie. Ich glaube solchen Unsinn natürlich nicht, aber das ist es eben, was ein paar andere sagen.«
»Narren«, meinte die Matriarchin. »Wir beschützen die Menschheit, indem wir unsere Feinde aus dem Gleichgewicht bringen und sie gegeneinander ausspielen. Wir halten an den alten Methoden fest, weil sie funktionieren und über Jahrhunderte funktioniert haben.«
»Trotzdem«, sagte ich und konzentrierte mich. »Ein Verräter, sehr alt und mächtig, mitten im Herzen der Familie. Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten. Gibt es nicht noch ein paar Tanten und Onkel, die in den Dreißigern und Vierzigern aktiv waren? Vielleicht können die uns ja helfen.«