Выбрать главу

»Aber nur wenn es nötig war«, erwiderte die Matriarchin sofort. »Wenn es im Sinn der Familie war oder in dem der Welt.«

»Wenigstens ist Callan nicht allein da draußen«, sagte ich.

»Natürlich nicht!«, antwortete die Matriarchin. »Wir haben ihn mit U-Bahn-Ute zusammengesteckt. Sie ist eine von den Geistern, die nicht ins Jenseits wollen. Jeder von beiden denkt, er sei dazu da, auf den anderen aufzupassen, und bisher scheint das zu funktionieren. Derzeit sind sie unten in Tasmanien, um sich um einen neuen Ausbruch von Teufelsanbetung zu kümmern.«

»Er hat uns eine Postkarte geschickt«, warf der Waffenmeister ein. »Eine ziemlich ungezogene, wenn man ehrlich sein soll. Ich zeige sie dir später, Eddie.«

»Es ist lebenswichtig für unsere Familie, dass wir den gestohlenen Torques wiederfinden«, sagte die Matriarchin im Befehlston. »Wir können nicht erlauben, dass unsere mächtigste Waffe in Feindeshand gerät.«

»Der Blaue Elf sagte, er bringe sie zum Feenrat«, meinte der Waffenmeister. »Und heutzutage liegt der einzige direkte Weg in die Welt der Elben in Schattenfall.« Er schauderte kurz. »Ich weiß nicht, welcher dieser beiden Orte mir mehr Angst einjagt.«

»Nun ja«, sagte Ethel. »Irgendjemand muss hin und ihn holen. Ich selbst kann den Torques nicht erreichen, und das liegt nicht daran, dass ich das nicht wollte. Er ist ein Teil von mir und ich will ihn zurückhaben. Aber ich kann nicht einfach ins Elbenreich hineinlangen, es ist zu anders. Und glaubt mir, ich kenne mich mit ›anders‹ aus. Der Feenrat würde mir wirklich auf die Nerven gehen. Wenn ich welche hätte.«

»Einen Moment mal!«, sagte ich. »Wenn ihr mich deshalb zurückgeholt habt, könnt ihr's vergessen. Ich trete nicht vor den Feenrat. Das ist gefährlich! Außerdem hassen sie mich!«

»Sie hassen alle«, meinte der Waffenmeister. Damit hatte er nicht einmal unrecht. »Es sind Elben.«

»Ja, aber ich habe eine ganze Bande von Lords und Ladys auf der Autobahn, der M4, getötet, erinnert ihr euch? Wenn ich vor Oberon und Titania trete, werden sie mich in irgendetwas verwandeln. Vielleicht etwas Weiches und Glibbriges, das quietscht, wenn man draufdrückt. Erinnerst du dich an diesen Mordversuch, Großmutter? Immerhin hast du ihn arrangiert.«

»Ich habe mich schon dafür entschuldigt«, sagte die Matriarchin. »Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun soll.«

»Nein«, sagte ich. »Das weißt du wohl wirklich nicht. Ich denke, dafür braucht ihr einen Diplomaten. Jemand, mit dem sie reden. Oder den sie wenigstens anhören.«

»Glaub mir«, antwortete die Matriarchin. »Wir würden dich auf keine Mission schicken, die diplomatische Fähigkeiten erfordert.«

»Selbst wenn du etwas Nettes sagst, klingt es wie eine Beleidigung«, sagte ich. »Kommt schon, Leute. Ihr redet so um den heißen Brei herum, dass ihr schon einen Pfad ausgetreten habt. Warum bin ich hier?«

Die Matriarchin und der Waffenmeister sahen sich an. »Entschuldige, dass wir diesen Umweg gemacht haben, um auf den Punkt zu kommen«, sagte der Waffenmeister schließlich. »Aber wir dachten, es sei wichtig, dass du die Situation verstehst und richtig einschätzt, in der die Familie sich befindet. Verräter innerhalb, Feinde außerhalb und viel zu viele Fragen, die wir nicht beantworten können. Obendrein sind wir unterbesetzt. Wir mussten zu viele neue Agenten ins Feld schicken, um die zu ersetzen, die während des Krieges gegen die Hungrigen Götter gestorben sind. Oft ohne anständiges Training, weil einfach keine Zeit war. Viele von ihnen werden sterben, aber wir mussten sie dennoch wegschicken, weil wir unsere Präsenz in der Welt wiederherstellen mussten. Wir müssen alle daran erinnern, dass die Droods eine Macht sind, mit der man rechnen muss.«

»Die Familie kann sich nicht leisten, als gespalten oder schwach dazustehen«, erklärte die Matriarchin scharf. »Im Moment sind die meisten Regierungen auf der Welt noch beeindruckt, wenn nicht sogar dankbar dafür, dass wir in der Lage waren, das Universum vor der Invasion der Hungrigen Götter zu retten. Also benehmen sich alle und spielen fair. Aber das wird nicht so bleiben.«

»Und die üblichen Unruhestifter sind nach wie vor da draußen«, warf der Waffenmeister ein. »Dr. Delirium, die Kali-Kooperative, die Bezaubernde Jeanie. Also: Wenn einer ankommt und uns den Namen und die derzeitige Identität des Verräters in der Familie nennt, dann müssen wir ihn ernst nehmen.«

»Wir haben eine Nachricht erhalten«, sprach die Matriarchin weiter. Ihr schmallippiger Mund verzog sich, als habe sie einen üblen Geschmack auf der Zunge. »Von Alexander King, dem legendären Autonomen Agenten. Ja, ich dachte mir schon, dass dir der Name etwas sagen würde, Edwin. Der größte Einzelagent, den die Welt je gesehen hat.«

»Verdammt richtig!«, sagte ich und setzte mich widerwillig aufrecht hin. »Du hast mir Geschichten über ihn erzählt, als ich noch klein war, Onkel Jack. Verflucht, jeder kennt Geschichten über den Autonomen Agenten!«

»Beeindrucke mich!«, sagte die Matriarchin. »Zeig mir, dass du während des Unterrichts wenigstens etwas aufgepasst hast. Was weißt du über Alexander King?«

»Es gab schon immer andere Geheimdienste auf der Welt, die das Gleiche taten wie wir«, antwortete ich. »Einige politisch, andere religiös. Der Schattenregent, die Ritter Londons, die Schwesternschaft der Heilsarmee. Und eine ganze Reihe unabhängiger Agenten spielte das Spiel aus persönlichen Gründen: der Wanderer, der Reisende Doktor, der Alte Wolf von Kabul, John Taylor auf der Nightside. Aber der Beste von allen war immer Alexander King. Er hat es mit jeder üblen Organisation aufgenommen, jeder Fraktion, den potenziellen Weltzerstörern und er hat sie alle in die Tasche gesteckt. Er hat schon einmal mit oder gegen so ziemlich jede Regierung gearbeitet, aber immer zu seinen eigenen Bedingungen. Er hat sogar schon ein paar Mal mit uns zusammengearbeitet. Haben nicht sogar schon einmal er und Onkel James …?«

»Ja«, meinte der Waffenmeister. »Und wir reden immer noch nicht darüber. Fakt ist, der Autonome Agent ist niemandem außer sich selbst gegenüber loyal. Er hat für jedes Land gearbeitet, für jede Sache, für jede Organisation und immer nur für Geld. Er hat die Welt neun Mal gerettet, das wissen wir sicher, und war zwei Mal nahe daran, sie zu zerstören.«

»Ich dachte immer, er habe es wegen der Herausforderung getan«, sagte die Matriarchin. Zu meiner Überraschung lächelte sie ein wenig, und ihre sonst so ruhige und kalte Stimme bekam einen Unterton von Sehnsucht. »Nur um zu sehen, ob er es konnte, wenn schon kein anderer. Alexander ist schon seit rund siebzig Jahren der beste Spion der Welt. Er behauptet, er sei einundneunzig, aber er könnte noch älter sein. Tatsache ist, dass er in letzter Zeit immer wählerischer wurde, was seine Missionen angeht, und das meiste abgelehnt hat. Er behauptet, dass es einfach keine Herausforderungen mehr gäbe und dass das Alter uns allen einmal zu schaffen mache, selbst dem Autonomen Agenten. Tatsächlich war es in der letzten Zeit so still um ihn, dass die meisten von uns glaubten, er habe sich zur Ruhe gesetzt.«

»Er hat uns während des Krieges gegen die Hungrigen Götter kontaktiert«, sagte der Waffenmeister. »Aber das war, während Harry das Sagen hatte, und der lehnte ab. Ich glaube, er wollte nicht überwacht werden. Natürlich war das auch, bevor wir erkannten, wie ernst die Dinge wirklich standen.«

»Fakt ist, Alexander King hat uns kontaktiert«, sagte die Matriarchin und warf dem Waffenmeister einen so strengen Blick zu, dass dieser wieder in seinen Stuhl zurücksank. »Er behauptet, er sterbe. Und deshalb beabsichtige er, das Wissen und die Geheimnisse seines ganzen Lebens jedem Agenten zu überlassen, der sich als würdig erweist, seinen Platz einzunehmen, wenn er stirbt. Um das herauszufinden, hat er nach den sechs vielversprechendsten Agenten der Welt geschickt, die in sein Heim mitten in den Schweizer Alpen kommen sollen. Und er sagt, er will dich auch, Edwin.«

»Was, mich?« Mit einem Schlag saß ich aufrecht in meinem Stuhl. Ich war wirklich geschockt. »Warum sollte er mich wollen?«

»Er will dich vielleicht, weil du es mit der gesamten Drood-Familie aufgenommen und gewonnen hast«, meinte der Waffenmeister trocken. »Und vielleicht auch ein bisschen deshalb, weil du es warst, der uns gegen die Hungrigen Götter zum Sieg geführt und damit die Menschheit gerettet hat. Wie auch immer, er war sehr bestimmt, was das angeht. Er will, dass du bei diesem … Wettkampf dabei bist.«

»Und du musst hingehen«, sagte die Matriarchin. »Aus Familienstolz und um sicherzugehen, dass der Erfahrungsschatz des Autonomen Agenten nicht in die falschen Hände gerät. Das darf einfach nicht passieren, Edwin. Alexander King kennt Dinge, von denen sonst keiner etwas weiß. Die Art von unterdrückten Wahrheiten, die Regierungen stürzen, Kriege beginnen und wahrscheinlich die ganze Welt einander auf den Hals hetzen kann. Jedes Individuum, jede Organisation mit der Art von Wissen würde zu einer echten Gefahr für die Droods werden, besonders in unserem derzeitigen geschwächten Zustand.«

»Und natürlich auch, weil die Möglichkeit existiert, dass dieses Wissen nicht im besten Interesse der Welt genutzt wird«, fügte der Waffenmeister hinzu.

»Ja, gut, das auch«, meinte die Matriarchin ungeduldig. »Nur wir können mit solchem Wissen umgehen.«

»Einige dieser hypothetischen Leute könnten den Job vielleicht besser machen als wir«, gab ich zu bedenken.

»Sei nicht albern«, sagte die Matriarchin. »Keiner macht das besser als wir.«

»Selbstverständlich nicht«, sagte ich. »Was hab ich mir nur gedacht.«

»King sagt, er weiß, wer unser Verräter ist«, sagte der Waffenmeister. »Du musst gehen, Eddie, und du musst gewinnen. Für die Familie und auch die Welt.«

»Du wirst auch gewinnen, Edwin«, sagte die Matriarchin. »Als was auch immer der Wettkampf sich herausstellen sollte. Wir werden dir jede erdenkliche Unterstützung zukommen lassen, aber am Ende musst du gewinnen. Das ist in jedem Fall notwendig.«

»Ja, das denke ich auch«, sagte ich. Ich hatte immer noch eine Riesenladung Vorbehalte gegen beinahe alles, was diesen Wettkampf anging, aber ich würde meinen Atem nicht daran verschwenden, sie mit der Matriarchin auszudiskutieren. Sie hatte in einem Punkt recht: Wir mussten unseren Verräter finden, für die Familie und die Welt. Alles andere würde ich mir eben unterwegs ausdenken müssen. Wie immer.

Ich nickte langsam. »Wissen wir wenigstens, wer meine Konkurrenten sein werden?«

»Nein«, sagte der Waffenmeister. »King spielt im Moment mit sehr verdeckten Karten. Typisch für den Mann. Wir haben ein paar diskrete Recherchen angestellt, aber es haben sich keine Hinweise auf jemand Besonderen ergeben. Du wirst deine Instruktionen in Kings privatem Hauptquartier bekommen, einer alten Skihütte in den Alpen. Sehr privat, sehr gut geschützt. Die Hütte heißt Place Gloria. Vielleicht erinnerst du dich daran: Ein sehr berühmter Agentenfilm Ende der Sechziger wurde dort gedreht.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich sehe nie Agentenfilme. Die kann ich nicht ernst nehmen.«

»Man erwartet, dass du selbst dorthin findest«, meinte der Waffenmeister. »Scheinbar ist das Teil der Prüfung, ob du's wert bist. Merlins Spiegel könnte dich natürlich direkt vor der Haustür absetzen.«

»Aber du kannst ihn nicht mitnehmen«, sagte die Matriarchin. Ihre Stimme hatte jetzt einen ganz besonders wehmütigen Unterton, und ihr Blick war auf etwas gerichtet, das weit weg war. »Ich hatte eine kleine Affäre mit ihm, im Herbst 1961. In Ost-Berlin, direkt an der neugebauten Mauer. Wir haben uns immer in diesem absolut widerlichen kleinen Café getroffen, das nach gekochtem Kohl roch und seinen Wodka nach russischer Art servierte: mit einer Prise schwarzem Pfeffer auf der Oberfläche. Das tat man, damit der Pfeffer, wenn er auf den Grund des Glases sank, die Unreinheiten im Wodka band. Man konnte von diesem Zeug damals in Berlin wirklich blind werden. Schrecklicher Wodka, schreckliches Essen, aber ich habe immer noch schöne Erinnerungen an dieses kleine Café … oder zumindest an den kleinen Raum, den wir uns darüber immer mieteten. Ach ja, Alexander …! - Das war natürlich, bevor ich deinen Vater getroffen und geheiratet habe, Jack.«

»Natürlich, Mutter.« Der Waffenmeister fühlte sich offenbar mehr als nur unbehaglich beim Gedanken daran, dass seine Mutter etwas mit dem Autonomen Agenten gehabt haben sollte, also übernahm ich das Reden. »Was habt ihr beide denn in Ost-Berlin gemacht, Großmutter?«

»Ach, irgendein Unsinn über einen persischen Dschinn, der unter der Mauer begraben sein sollte, um ihr Stärke zu geben. Natürlich sind wir der Sache nie ganz auf den Grund gegangen. Aber … Du kannst meinen Namen Alexander gegenüber erwähnen, Edwin, für den Fall, dass er sich an mich erinnert. Ein äußerst charmanter Zeitgenosse. Du darfst ihm keine Sekunde lang vertrauen.«

»Natürlich nicht. Er gehört ja nicht zur Familie.«

Und damit war das Ratstreffen beendet. Ich würde in die Schweizer Alpen gehen, um dort eine lebende Legende zu treffen, die im Sterben lag, und an einem Wettkampf teilnehmen, dessen Sinn ich nicht verstand, mit Leuten, die ich nicht kannte, und einem Preis, bei dem ich nicht sicher war, ob es ihn überhaupt gab. Und nein, ich hatte in der Sache nichts zu sagen.

Wie es in der Drood-Familie eben üblich war.