»Hi«, sagte sie. »Ich bin Honey Lake. CIA. Aber bitte nicht so laut jubeln.«
Man musste zugeben, sie hatte Charisma. Honey Lake war hochgewachsen, eine Amazone mit erstklassiger Figur, kaffeebrauner Haut und kurz geschnittenem Haar. Sie trug einen enganliegenden Overall unter einem weißen Pelzmantel und oberschenkelhohe, weiße Lederstiefel. Ihre Gesichtszüge waren ausgeprägt und angenehm, mit hohen Jochbeinen, einem breiten Grinsen und fröhlichen Augen. Ihre schiere körperliche Präsenz war beinahe überwältigend, als würde man von den Scheinwerfern eines herankommenden Wagens erfasst. Ich wäre beeindruckt gewesen, wenn ich daran geglaubt hätte, dass es so etwas gibt, aber meist tue ich das nicht. Die besten Agenten gehen unauffällig und ungesehen durch die Welt; aus der Masse herauszustechen macht einen nur zu einer besseren Zielscheibe. Ich ließ meinen Blick gelassen über sie hinwegstreichen, um ihr zu zeigen, dass ich nicht hingerissen war und bemerkte dabei zufällig, dass sie genug Ringe aus schwerem Gold an den Fingern ihrer linken Hand trug, um einen doppelten Schlagring zu ersetzen. Sie hatte auch ein silbernes Schutzamulett um den Hals hängen, das das Auge der Vorsehung in der Pyramide darstellte. Als ich es ansah, blinzelte das Auge.
Honey Lake betrachtete mich genauso offen. Sie grinste dabei wie ein Kind, dem man ein neues Spielzeug geschenkt hatte.
»Wow«, sagte sie. »Ein Drood. Ich bin beeindruckt. So also sieht ein Torques aus. Ich habe immer geglaubt, er wäre … imponierender. Aber dennoch, ein echter Drood! Man kriegt ja nicht oft einen zu sehen.«
»Wir bevorzugen die Arbeit hinter den Kulissen«, sagte ich. Ich trat vor, um ihr die Hand zu schütteln. Sie tat das kurz, mit festem Griff. Aus der Nähe roch sie nach Moschus, Parfum und Schießpulver. Keine unangenehme Kombination.
Der Blaue Elf räusperte sich bedeutungsvoll. »Hallo, ich bin-«
»Ach, ich weiß, wer du bist«, sagte Honey und nahm ihre Augen nicht von mir.
»Ich bin Eddie Drood«, sagte ich. Langsam begann ich, mich ein wenig unwohl zu fühlen. Honey schlug mir ihre Sexualität geradezu um die Ohren. Was vielleicht Absicht war; das ist ein alter Trick, um Männer aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Also«, sagte ich so beiläufig, wie ich konnte. »Du gehörst also zur CIA? Ich hätte wissen sollen, dass der Laden darauf besteht, einen Vertreter zu schicken.«
»Oh, ich wurde ausgewählt«, sagte Honey. »Persönlich verlesen vom Autonomen Agenten selbst. Ich bin nur so halb bei der CIA.«
Ich hob eine Augenbraue. »Nur so halb?«
»Du weißt ja, wie das ist, Eddie. Wir sind wie eine Zwiebel, egal, wie viele Häute man schält, es ist immer noch eine drunter. Ich arbeite für eine dieser Abteilungen innerhalb der Abteilungen, die gar nicht existieren. Unsere Aufgabe ist, die Vereinigten Staaten vor allen Bedrohungen zu schützen, die, nun ja, unnatürlich sind. Mit allem, was nötig ist.«
»Schließt das Droods mit ein?«, fragte ich.
»Aber ja! Wir vertrauen keinem, der nicht hundertprozentig amerikanisch ist. Zum Teufel, wir trauen nicht einmal den meisten Leuten, die für die CIA arbeiten. An wirklich schlechten Tagen vertraue ich niemandem außer mir selbst.« Sie lächelte strahlend. »Ich liebe den Geruch von Verfolgungswahn am Morgen. Ist so belebend.« Sie wandte sich plötzlich dem Blauen Elf zu, der steif an der Seite stand wie ein Partygast, mit dem niemand reden will. »Ich wusste gar nicht, dass die Droods ein elbisches Halbblut in ihren Reihen haben.«
»Haben wir nicht«, sagte ich. »Er hat seinen Torques gestohlen.«
Honey Lake hob eine elegante Augenbraue. »Und ihr lasst ihn am Leben?«
»Nun, das ist … kompliziert«, sagte ich.
»Oh«, meinte sie. »So ist das also, ja?«
»Sag du's mir«, meinte ich. »Du gehörst zur CIA und weißt deshalb alles.«
Sie lachte. »Wenn wir das wirklich täten, dann würden wir keine aktiven Agenten brauchen. Es ist wirklich faszinierend, dich zu treffen, Eddie. In Fleisch und Blut sozusagen. Normalerweise sieht man Droods nur aus der Ferne, in Aktion, ganz in eurer erstaunlichen Rüstung. Und nur wenn man viel Glück hat. Ihr seid die modernen Legenden der Spionage. Man redet oft von euch, ihr werdet kaum gesehen, bleibt nie lange genug, um Lob anzunehmen oder Fragen zu beantworten. ›Wer war der Maskierte?‹, schreien alle und bekommen keine Antwort. Die CIA hat tonnenweise Akten über euch Droods, aber wir trauen dem, was darin steht, nicht wirklich. Ihr würdet einige der Geschichten, die wir über euch hören, selbst nicht glauben.«
»Glaub sie alle!«, sagte ich trocken. »Besonders die richtig seltsamen.«
»Ich habe den Grauen Fuchs einmal getroffen«, sagte Honey. »In einer ausgebombten Bar in Beirut. Er war so ein Gentleman! Er hat mir den Kurier, den ich eskortiert habe, unter der Nase weggestohlen.«
»Onkel James«, sagte ich. »Er war immer der Beste von uns.«
»Was ist mit ihm passiert?«, fragte Honey. »Ich hörte, er ist gestorben, aber …«
»Er hat der falschen Frau den Rücken zugekehrt«, sagte ich. »So hätte er es gewollt.«
»Warum sagst du ihr nicht, wer den Grauen Fuchs getötet hat?«, fragte der Blaue Elf.
»Halt die Klappe, Blue.« Ich sah ihn nicht an.
Wir zuckten alle ein wenig zusammen, als eine andere Gestalt sich zu uns gesellte. Er stand ganz plötzlich neben uns, obwohl keiner ihn hatte kommen hören. Und ich bin wirklich nicht leicht zu erschrecken. Er sah sehr wie ein typisch städtischer Businessmensch aus in einem schicken und teuren Anzug, einer altmodischen Krawatte, einer Melone und mit zusammengerolltem Regenschirm. Er schien völlig unpassend angezogen für die kalte Bergluft, aber wenn die ihm wirklich etwas ausmachte, zeigte er es nicht. Er war durchschnittlich groß, hatte ein durchschnittliches Gewicht, war mittleren Alters und gut in Form. Gewitzt, stilvoll und gebildet, mit einem ruhigen Lächeln und kalten, wachsamen Augen. Er nickte jedem von uns der Reihe nach zu und tippte für Honey sogar die Melone an.
»Guten Tag«, sagte er distinguiert. »Ich bin Walker. Aus der Nightside.«
Für einen langen Moment sagte keiner von uns etwas. Es kommt nicht oft vor, dass ich tief beeindruckt bin, aber wir alle hatten von Walker gehört. Die Nightside ist das versteckte dunkle Herz Londons. Ein Ort, wo böse Dinge leben und noch schlimmere Dinge passieren. Wo es immer Nacht ist, weil einige Dinge nur in der Dunkelheit umgehen können. Wo Götter und Monster intrigieren und sich bekriegen. Und wo sie oft denselben Swingerclub besuchen. Die Nightside ist die dunkle Seite der Nacht und hat die besten Bars und Clubs der Welt, aber der Eintrittspreis dafür kann die eigene Seele sein. Man findet besser schnell, was man dort sucht, sonst findet es einen zuerst. Nach einem uralten Abkommen halten die Droods sich von der Nightside fern. Wir sind so gesehen nicht verbannt, aber wir finden es besser, nicht reingezogen zu werden. Die Autoritäten haben die Nightside verwaltet, sofern sie das konnten, und Walker war ihr Mann vor Ort. Es war seine Aufgabe, den Überblick zu behalten. Und keiner legte sich je mit ihm an. Selbst Götter und Monster nahmen sich zusammen, wenn Walker auf der Pirsch war. Aber mittlerweile waren die Autoritäten Vergangenheit. Walker aber war immer noch da. Und das war … interessant. Er lächelte leicht, sehr höflich, sehr gut erzogen. Wie ein Krokodil in einem Armani-Anzug.
»Ein Tag voller Überraschungen«, sagte Honey Lake. »Ich kann ehrlich behaupten, dass ich nicht erwartet hatte, jemanden von der Nightside hier zu sehen. Ihr Leute tendiert nicht gerade dazu, gut mit anderen zusammenzuarbeiten. Tatsächlich gibt es Leute, die sagen, dass der Weltuntergang sicher eines Tages von dort kommen wird.«
»Nein«, meinte der Blaue Elf. »Da denkst du sicher eher an Schattenfall.«
»Ich versuche, genau das nicht zu tun«, sagte Honey und sah ihn immer noch nicht an. »Der Elefantenfriedhof der Übernatürlichen? Wo die Legenden sterben, wenn die Welt nicht mehr an sie glaubt? Dort ist es wirklich unheimlich.«