Der legendäre Autonome Agent saß auf einem großen, hölzernen Thron, der Rücken gerade, die Beine lässig übereinander geschlagen. Man konnte sehen, dass es sich nur um eine Projektion von irgendwo anders hier in Place Gloria handelte. Auch wenn die Projektion scharf, deutlich und dreidimensional war, fehlte es ihr doch an Präsenz. Das Bild Alexander Kings sah fragil und abgemagert aus, aber dennoch vital. Und nicht einmal annähernd so alt, wie man gemeinhin behauptete. Krankheit oder Alter hatten tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen, aber er hatte immer noch eine lange Mähne silbergrauen Haars, sein Mund war fest und sein Blick scharf. Er war auf eine wüste Art immer noch gutaussehend, und er saß auf seinem Thron, als sei King nicht nur sein Name. Er trug eine scharlachrote Smokingjacke aus Pannesamt über in Schachbrettmuster gewürfelten Schlaghosen.
»Die Siebziger waren immer mein Jahrzehnt«, sagte er ruhig. »So eine herrliche Zeit, um jung und lebendig zu sein, man hatte die Welt am Haken.«
»Sind Sie das wirklich, King?«, fragte Honey Lake. »Oder sind wir den ganzen Weg nur hergekommen, um von einer geschönten Projektion begrüßt zu werden?«
»Oh, ich bin ganz definitiv ich selbst«, sagte King und grinste boshaft. »Noch nicht tot, trotz allem, was Ihre verdorbene Firma alles getan hat, um das zu erreichen. Ich befinde mich sicher und geschützt in meinen privaten Gemächern, und ich gedenke, das so zu lassen, bis mein Spiel auf den Weg gebracht ist.«
»Hallo, Großvater«, sagte Peter.
»Peter«, erwiderte Alexander. Er machte keinen sonderlich erfreuten Eindruck, seinen einzigen Enkel zu sehen. »So eine Enttäuschung. All die Dinge, die du hättest tun können, all die Personen, die du hättest sein können, und du spezialisierst dich auf Industriespionage. So eine graue kleine Welt, wenn alles gesagt und getan ist. Worin liegt der Ruhm, der Glamour, wenn man sich durch die Papierkörbe der großen Unternehmen wühlt?«
»Es wird gut bezahlt«, antwortete Peter. Er sah seinen Großvater nachdenklich an und nahm jedes Detail in sich auf.
»Das muss wohl so sein«, sagte Alexander. »Nun, immerhin hast du ja jetzt die Chance, dich zu beweisen, mein Enkel. Aber von mir hast du keine Hilfe zu erwarten, keinen Rat oder besondere Behandlung, nur weil du zur Familie gehörst.«
»Ich würde es nicht anders wollen«, sagte Peter.
Hörte man ihren kalten und emotionslosen Stimmen zu, hätten sie genauso gut das Wetter diskutieren können. Sie klangen zum Verwechseln ähnlich.
»Warum wir?«, fragte ich, und Alexanders stechender Blick richtete sich sofort auf mich. Ich erwiderte den Blick. »Wenn ich das richtig verstehe, dann wollten Sie die sechs derzeit größten aktiven Agenten der Welt haben, um den einen zu finden, der Sie ersetzen kann, wenn Sie nicht mehr da sind. Also, warum wir? Ich nehme an, wir haben uns mit solider Arbeit alle einen guten Namen gemacht, aber ich könnte ihnen auf der Stelle ein Dutzend anderer Agenten aus dem Effeff nennen, die berühmter und passender wären als wir.«
Alexander King warf mir wieder dieses gemeine Grinsen hin. »Ich weiß, von wem du sprichst, und wenn einer von denen auch nur annähernd gut genug gewesen wäre, dann hätte er jetzt schon meinen Platz eingenommen. Nein, ich habe euch sechs ausgewählt, weil ihr jung seid und Potenzial habt. Mein Spiel wird das Beste aus euch herausholen oder euch umbringen. Wie dem auch sei, der Gewinner wird sich als der geeignete Nachfolger erweisen.
Passt auf. So sieht der Wettkampf aus, und dem Sieger wird die Beute gehören: Ihr werdet an fünf Orte gehen, die ich ausgesucht habe, und dort fünf der größten Geheimnisse der Welt ergründen. Entdeckt die Wahrheit hinter den Legenden. Dann geht zum nächsten, bis das Spiel beendet ist.«
»Was, wenn wir keines dieser Rätsel lösen können?«, unterbrach Honey Lake. »Was, wenn sich herausstellt, dass es gar keine Lösung gibt?«
»Ich habe die Wahrheit gefunden«, sagte Alexander King. »Und das werdet ihr auch, wenn ihr es wert seid. Wenn ihr dabei versagt, eine dieser Wahrheiten herauszufinden, dann habt ihr alle versagt. Das Spiel endet dann. Kein geheimes Wissen für irgendjemanden. Also versagt nicht.«
»Na klasse«, murmelte der Blaue Elf. »Wir brauchen also Teamgeist.«
»Zu Beginn werdet ihr sechs erst einmal lernen, als Team zusammenzuarbeiten«, sagte Alexander, und sein finsterer Blick schweifte leidenschaftslos über uns alle hinweg. »Aber nur einer von euch kann zurückkommen, um meinen Preis in Anspruch zu nehmen. Also, in der guten alten Tradition der Spionagekunst werdet ihr im Geheimen gegeneinander arbeiten und euch betrügen müssen. Es kann nur einen geben«, lachte er kurz. »Den Film habe ich immer gemocht. Wenigstens verlange ich nicht von euch, euch gegenseitig den Kopf abzuschlagen.«
Wir sahen uns an. Keiner von uns sah überrascht oder geschockt aus.
»Ich bin immer noch nicht sonderlich scharf auf das alles«, sagte ich. »Ich mache für niemanden Männchen, ich bin ein Drood.«
»Du wirst nach meiner Pfeife tanzen, Drood, wenn du die Identität des Verräters in eurer Mitte wissen willst«, meinte Alexander King. »Mein Spiel, meine Regeln.« Er lächelte uns kalt an. »Konzentriert euch auf den Preis. All die angesammelten Geheimnisse meines verlängerten Lebens. Die größten Rätsel der geheimen Welt. Wollt ihr nicht wissen, wer Kennedy erschossen hat? Was das Auge in der Pyramide wirklich bedeutet? Und was den Großen Traum der Sechzigerjahre wirklich ermordet hat? Natürlich wollt ihr das. Hier geht es nicht nur um ein paar besondere Informationen, für die ihr eigentlich gekommen seid. Hier geht es um die Frage, warum die Welt so ist, wie sie ist. Ich habe Antworten auf jede Frage, die euch je in den Sinn gekommen ist. Und ich werde sie dem Gewinner geben, schön verpackt mit einer Schleife drum herum.«
»Komm zum Punkt, Großvater«, warf Peter ein.
»Überlegt nicht zu lange«, sagte Alexander und ignorierte seinen Enkel. »Ich habe nicht mehr allzu viel Zeit übrig. Ein paar Monate vielleicht, möglicherweise weniger. Wenn ich sterben sollte, bevor ihr alle Rätsel gelöst habt, wird Place Gloria vernichtet, und all meine Geheimnisse werden auf ewig verloren sein. Keiner von euch würde irgendetwas bekommen. Und jetzt: fünf Mysterien, fünf Antworten. So lauten die Regeln. Wir fangen in Loch Ness in Schottland an, wegen seines Monsters.«
»Und Yetis?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Ich wollte schon immer mal nach Tibet oder Nepal und den abscheulichen Schneemenschen jagen.«
Alexander starrte mich böse an. »Ich habe einmal einem Yeti ins Auge gesehen, damals in den Fünfzigerjahren. Eine sehr alte und sehr weise Kreatur. Hat mir eine Heidenangst eingejagt. Du wirst die Yetis in Ruhe lassen, Drood, und inständig beten, dass sie auch uns in Zukunft in Ruhe lassen.«
»Wie sollen wir fünf unterschiedliche Orte untersuchen, wenn wir nur ein paar Monate Zeit haben?«, fragte Katt.
Alexander King wedelte abwehrend mit der Hand, doch ich konnte die Mühe erkennen, die diese Bewegung ihn kostete. Es war die erste Bewegung, die er überhaupt machte, seit er erschienen war. Wir alle zuckten zusammen, als fünf massive metallene Armbänder aus dem Nichts erschienen und sich wie von selbst um unsere linken Handgelenke schlossen. Der Blaue Elf grapschte nach seinem und versuchte, es abzureißen, aber es rührte sich nicht. Ich sah meines nachdenklich an; mein Torques hätte mich vor so etwas bewahren sollen. Das Metall war von einem trüben Violett, seltsame Lichter pulsierten tief innerhalb des Metalls. Es fühlte sich kalt an und sah sehr nach außerirdischer Technologie aus.
Ich musste mich fragen, mit wem sich der Autonome Agent wohl im Lauf der Jahre zusammengetan hatte, um seine kostbare Autonomie zu behalten.
»Die Teleport-Armbänder bleiben an ihrem Platz, bis das Spiel beendet ist«, sagte Alexander King. »Koordinaten für jeden Ort sind einprogrammiert. Also wird niemand von euch sich davonstehlen oder aussteigen können, jetzt, wo der Wettkampf begonnen hat. Wenn ihr das versucht, wird das Armband euch töten.«