Die Leine straffte sich sofort wieder, zog an dem fleischigen, orchideenartigen Kopf der Sirene und lenkte sie so ab. Ich zwang mich, aufzustehen, wandte der Sirene meinen Rücken zu und taumelte hinüber zur Kommunikationsstation. Ich musste den Gesang aufnehmen, bevor sie wieder in den Tiefen verschwand. Ich murmelte die aktivierenden Worte, und im nächsten Moment floss meine Rüstung über mich hinweg, versiegelte und schützte mich vor der Welt. Die seltsame, goldene Materie hüllte mich von Kopf bis Fuß ein, und plötzlich war das Lied der Sirene nichts weiter als Lärm. Ich hieb auf die Aufnahmetaste und wandte mich schnell um, um zu sehen, was weiter passierte.
Die Sirene war nicht länger an diese Welt hier gebunden, aber sie wollte dennoch nicht gehen. Man hatte ihr getrotzt, und das machte sie wütend. Sie hatte eine schier unendliche Nahrungsquelle gefunden und gedachte nicht, zurückgewiesen zu werden. Sie ragte hoch über uns auf, flammend und pulsierend; und selbst durch die Schutzfilter meiner goldenen Maske war diese extreme und furchtbare Kreatur das Schönste, was ich jemals gesehen hatte. Der Blaue Elf war auf den Füßen, aber schon wieder halb gebannt von ihrem Gesang. Die anderen waren der Sirene jetzt schon sehr nah. Also blieb nur ich übrig. Weil das der Job eines Droods ist: der Letzte zu sein, der es noch drauf hat, sich zwischen die Menschheit und all die Gefahren, die von außen auf sie eindringen, zu stellen.
Ich ging schnurstracks zur Sirene hin und hieb ihr mit meiner dornengespickten gerüsteten Hand in die Seite. Meine Faust stieß durch die pulsierende, glitschige Substanz und mein gerüsteter Arm sank bis zur Schulter in den veränderlichen Körper hinein. Die Sirene kreischte; ein schrecklicher, schmerzerfüllter Laut, der die Wirkung ihres Gesangs in einem Augenblick zunichte machte. Die anderen krabbelten hastig vom Teich fort, fort von dem, was sie noch vor einem Moment angebetet hatten. Die Sirene tauchte in den glühenden goldenen Teich hinab und wieder in die dimensionalen Tiefen hinein, in die sie gehörte. Wo Beute wusste, wie sie sich zu benehmen hatte.
Ich rüstete ab, die goldene seltsame Materie zog sich wieder in meinen Torques zurück. Ich war noch nicht so weit, den anderen einen Blick auf mich in meiner Rüstung zu gestatten. Sie würden mich mit anderen Augen sehen. Ich stand am Seeufer und genoss die Stille. Jetzt, wo die Sirene verschwunden war, konnte ich mich ums Verrecken nicht daran erinnern, was an ihrem Gesang so bezaubernd gewesen war, und das war wahrscheinlich auch besser so. Die anderen waren auch wieder auf den Füßen, ihre Augen allerdings immer noch etwas verloren und trübe. Aber sie erholten sich schnell. Immerhin waren sie Profis.
Katt warf dem Blauen Elfen einen bösen Blick zu. »Wenn du das nächste Mal eine so brillante Idee hast, dann behalt sie für dich!«
»Wir haben eine Aufnahme des Gesangs«, sagte Blue und stand ihrem Blick in nichts nach. »Oder wenigstens so viel, wie die Konsole aufnehmen konnte.«
Er sah über das Equipment und murmelte etwas in sich hinein. »Uns fehlen die oberen und unteren Frequenzen, was aber wahrscheinlich egal ist. Was wir haben, sollte für unsere Zwecke ausreichen. Mehr als genug, um Nessie in Wallung zu bringen, und wenn es nur nachsehen will, was los ist. Honey, ich stelle die Aufnahme jetzt zu dir durch. Empfängst du sie?«
»Ja, ich hab's. Ihr habt weniger als eine Minute des Gesangs aufgenommen, also werde ich das Lied als Endlosschleife aussenden. Ja, das sollte klappen.«
»Mir kommt da ein Gedanke«, sagte Peter plötzlich. »Wenn das, was wir da durchschicken, ein Brunftschrei ist - wird nicht alles im See, das funktionierende Hormondrüsen hat, angeschwommen kommen? Es könnte damit enden, dass alle lebenden Wesen das Tauchboot anspringen.«
»Vielen Dank für dieses mentale Bild«, sagte Katt. »Ich weiß einfach, dass es mich auf Jahre hinweg in meinen Nächten verfolgen wird.«
»Ich schicke den Ruf durch ein paar Filter«, schlug Honey vor. »Dann sollten nur wirklich große Wesen auf den Gesang reagieren.«
Ich beugte mich vor, sodass ich ihr Gesicht auf dem winzigen Bildschirm sehen konnte. »Bist du sicher, dass du das Ding steuern kannst?«
»Na klar«, erwiderte Honey. »Ich gehöre zur CIA. Ich kann alles fahren.«
»Wollen wir wetten, dass die Gänge beim ersten Versuch kreischen?«, murmelte Peter Walker zu.
»Das hab ich gehört!«, rief Honey. »Okay. Ich tauche ab, Leute. Bis später.«
Um das Tauchboot herum schäumten jetzt Luftblasen auf, als es vom Strand wegfuhr und dann langsam und sehr würdevoll in den dunklen Wassern des Loch Ness verschwand. Bald war es fort, nicht einmal mehr ein gelber Schimmer in den Wassern. Nur die langsam sich ausbreitenden Wellen auf der Oberfläche zeugten davon, dass es untergetaucht war.
Wir alle drängten uns jetzt um die Kommkonsole herum, behielten die Datenströme im Auge, die hereinkamen und hörten genau auf Honeys Kommentar zu ihrem Tauchweg. Walker und ich beobachteten aufmerksam die Daten, aber es tat sich nichts Außergewöhnliches. Alles im Tauchboot schien wie vorgesehen zu funktionieren. Honey steuerte die Kapsel sorgfältig durch das nachtdunkle Wasser und übertrug die Endlosschleife des Sirenenrufs. Wir warteten und beobachteten.
Die Zeit verging und nach einem halben Dutzend falscher Alarme begannen wir alle, uns ein wenig zu entspannen. Zwei Stunden vergingen, dann drei. Wenn sich überhaupt etwas tat, dann wurde es kälter. Ein starker Wind blies aus Nordwesten den See entlang und drang mit seiner Kälte durch unsere Kleidung bis auf die Knochen. Es endete damit, dass wir uns alle eng aneinander drängten, wie Schafe, um unsere Wärme zu teilen. Der Himmel war jetzt völlig bedeckt, das Tageslicht wurde schwächer und mir kam der Gedanke, dass wir besser bald etwas aufscheuchten, weil es sonst zu dunkel zum Fotografieren würde.
Das Tauchboot patrouillierte den See die ganzen 40 Kilometer auf und ab, und das meiste, was in den Wassern lebte, machte einen weiten Bogen darum. Die starken Scheinwerfer des Tauchboots durchdrangen die Düsternis unter Wasser kaum, und obwohl das Sonar eine interessante Gestalt nach der anderen anzeigte, war Honey meist schon an ihr vorbei, bevor sie es identifizieren konnte. Bisher hatte es sich bei den vielversprechendsten Formen um ein paar hoffnungsvoll geformte Baumstümpfe, ein halbes Dutzend Fischschwärme und ein paar erstaunlich große Aale gehandelt. Und das - war's auch schon. Honey wurde zunehmend kurz angebunden und schlecht gelaunt, wenn sie auf unsere wohlmeinenden Ratschläge antwortete, und sie pflügte immer verzweifelter den See auf und ab. Ich denke, es war bestimmt das mit Technik vollgestopfte Cockpit, das ihr mehr und mehr auf die Nerven ging. Ihr Sonar erkannte ein paar versunkene Höhleneingänge in den Uferregionen unter Wasser, von denen einige in ein Höhlensystem mündeten, das tiefer in die Hügel reichte als das Sonar.
»Da unten gibt es kilometertiefe Höhlen«, sagte der Blaue Elf. »Vielleicht reichen einige auch über die Wasseroberfläche und haben atembare Luft. Vielleicht lebt die Kreatur nicht im See selbst. Vielleicht kommt sie nur dann heraus, wenn sie jagt oder brütet und wird deshalb so selten gesichtet.«
»Da fallen mir die Stichworte ›Strohhalm‹ und ›verzweifelt nach etwas greifen‹ ein«, meinte Katt. »Sollen wir nicht einfach Schluss machen und uns ein schickes Hotel in der Nähe suchen? Das Monster ist auch morgen noch da, wenn überhaupt. Ich hasse diesen Ort! Es ist schweinekalt und grauenvoll. Ich zittere so, dass ich bestimmt schon fünf Kilo durch pure Erschöpfung abgenommen habe. Auch wenn ich euch daran erinnern will, dass mir das steht!«
»Achtung!«, rief Honey plötzlich. »Ich habe da was!« Ihre Stimme brach förmlich aus den Konsolen heraus und schreckte die auf, die verständlicherweise in Halbschlaf gefallen waren.
»Na so ein Glück!«, nörgelte Katt. »Noch ein verdächtig geformter Baumstumpf? Eine verirrte Ente mit Größenwahn vielleicht?«