»Ich bin dabei. Das Spiel kann anfangen. Sollen wir bestellen?«
»Du machst wohl Witze«, antwortete Big Aus. »Ich würde in diesem Laden nicht einmal das Klo benutzen.«
Da hatte er auch wieder recht.
Der große Plan, wie Big Aus ihn uns vortrug, erwies sich als erfrischend einfach und geradeheraus. Mein Job war es, die nötigen Informationen über die versteckten und tödlichen Schutzmechanismen zu besorgen, mit denen der Tower von innen und außen ausgerüstet war. Sargnagel Jobe würde seinen mehr als toten Blick benutzen, um uns an ihnen vorbei- oder hindurchzulotsen. Er sagte, dass er auch die Worte erkennen konnte, die die magischen Schutzkreise außer Kraft setzten. Ich konnte nur hoffen, dass er damit recht hatte. Der Tanzende Narr würde mit seinem Déjà Fu alle menschlichen Wachen ausschalten, die uns begegneten. Und die Seltsame Chloe würde konzentriert die Raben anstarren. Und dann würden wir alle die Beine in die Hand nehmen und so weit weglaufen wie möglich. Big Aus, so schien es, würde einfach mitkommen, um zuzusehen.
»Ich bezahle dafür«, erklärte er rundheraus. »Und ich zahle nicht zuletzt für einen Logenplatz.«
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, offenbar in Gedanken versunken, und beobachtete die anderen unauffällig. Sie erzählten sich gegenseitig, wie einfach das alles werden würde. Und wie lustig. Und wie toll das alles für ihren Ruf war. Das Übliche eben. Manchmal schwöre ich, die Menschen sind nichts weiter als große Kinder. Ich nahm mir die Zeit, mir all die Infos über den Tower ins Gedächtnis zu rufen, mit denen mich die Familie versorgt hatte. Die Drood-Forscher wissen alles darüber, was es zu wissen gibt - jedenfalls fast alles. Und auf jeden Fall genug, um noch einiges dazuzuerfinden. Das ist ihr Job. Als Big Aus die anderen beruhigt hatte und sich mir zuwandte, war ich bereit. Ich würde wie ein Experte klingen und sie mit Details blenden können.
»Die beste Zeit für unser Vorhaben ist der frühe Morgen«, sagte ich selbstsicher. »Wenn die menschlichen Wachen am unaufmerksamsten sind. Also dann, wenn uns keine Touristen im Weg sind. Keine unschuldigen Gaffer, um den bestgeplanten Plan aller Zeiten zu durchkreuzen.«
»Richtig«, knurrte der Tanzende Narr. »Je weniger unkontrollierbare Fakten es gibt, desto besser. Weiter, Shaman.«
»Danke«, sagte ich trocken. »Als Erstes solltet ihr wissen, dass es nicht einfach nur einen Tower von London gibt. Es gibt eine ganze Menge davon. Über ein Dutzend, um genau zu sein, die sich alle innerhalb einer hohen Steinmauer befinden wie in einer richtigen Burg. Und wir reden hier über ausgesprochen dicke Steinmauern, die von ihren Schöpfern mit menschlichem Blut getauft wurden, um sie stark zu machen. Außerdem wurden Verbrecher in ihren Fundamenten vergraben, damit die Toten sie für immer aufrecht halten. Damals haben die Maurer noch ihren Stolz dareingesetzt, ihre Arbeit ordentlich zu machen.
Der ursprüngliche Tower von London war der White Tower, der auf Befehl von Wilhelm dem Eroberer damals im elften Jahrhundert gebaut wurde. Der, an den die meisten Leute denken, wenn sie an den Tower denken, ist der Blutige Tower aus den Tudor-Zeiten. Dort wurden die Verräter inhaftiert, bevor sie hingerichtet wurden. Aber es gibt auch den Flint Tower, den Tower von St. Thomas (in dem sich der Eingang befindet, den man das Verrätertor nennt) und den Whitechapel Tower, in dem sich die Kronjuwelen befinden. Jedes dieser Tower-Gebäude hat seine eigenen Schätze und Geheimnisse, von denen die täglichen Besucher nicht einmal träumen. Und sie sind sehr schwer bewacht.«
»Jetzt gibst du doch nur an«, sagte der Tanzende Narr. »Bleib bei den Fakten, Shaman.«
»Ich hab kalte Füße«, witzelte Sargnagel Jobe.
»Ihr wollt Recherchen, ihr kriegt sie«, sagte ich. »Die Raben haben ihr eigenes Wohnhaus im Burgkomplex, falls das Wetter ganz besonders schlecht wird. Wenn wir sichergehen wollen, sie alle zu erwischen, werden wir in die Burg hineinmüssen. Das heißt auch, wir müssen an den menschlichen Wachen vorbei, den Yeomen Warders. Ihr dürft sie übrigens nie die Beefeaters nennen, das war ursprünglich eine Beleidigung der Franzosen und die Wachen sind da immer noch sehr empfindlich.«
»Ja, klar«, sagte die Seltsame Chloe. »Wir wollen sie ja auch nicht aufregen, nicht wahr.«
»Nein, wollen wir nicht«, sagte ich streng. »Unsere beste Chance liegt darin, rein- und wieder rauszuschleichen, ohne das jemand es merkt, bis es zu spät ist. Die Yeomen Warders gehören zum Militär, einschließlich Special-Forces-Leuten und Kriegszauberern. Sie nehmen halt nicht jeden, um die Schätze Englands zu bewachen. Und dann sind da die magischen Schutzvorrichtungen: Annäherungsminen und spezielle Formflüche … Bist du noch bei uns, Jobe, oder schon tot?«
»Ich entspanne nur etwas meine Augen«, antwortete Sargnagel Jobe. »Ich hoffe, irgendeiner schreibt mit. Ich werde mir das nie alles merken.«
»Keine schriftlichen Zeugnisse!«, warf Big Aus schnell ein. »Weiter, Shaman. Das machst du prima.«
»Es sind die Geister, um die wir uns Sorgen machen müssen«, sagte ich. Das weckte ihre Aufmerksamkeit. »Sie sind nicht einfache Momentaufnahmen der Zeit, die immer wieder abgespielt werden und damit in der Gegenwart sichtbar sind. Ich rede über echte Gespenster. Verlorene Seelen, die verdammt und durch schreckliche Magie an diese Welt gebunden sind. All die hingerichteten Verräter, für ihre Verbrechen dazu verurteilt, die Tower-Gebäude bis in alle Ewigkeit zu verteidigen. Im Leben versagten sie darin, England zu dienen und es zu schützen, jetzt müssen sie es bis zum Jüngsten Tag tun, wenn es sein muss. Einige dieser Geister sind schon eine ganze Weile dabei, und sie sind mittlerweile fremdartig und furchtbar. Jahrhunderte von angesammelter Schuld und Trauer machen sie mehr als bereit, das an jemandem auszulassen.«
»Ich kann Geister sehen«, sagte Sargnagel Jobe. »Aber das ist auch schon alles.«
»Und ich kann nur gegen etwas kämpfen, das ich auch anfassen kann«, fügte der Tanzende Narr stirnrunzelnd hinzu. »Niemand hat hier was von Geistern gesagt.«
»Und ich kann nur den Lebenden schaden«, sagte die Seltsame Chloe. »Das ist es dann wohl. Game over. Wir müssen es abblasen.«
»Wartet, wartet«, sagte Big Aus und wedelte mit seinen großen Händen herum. »Shaman, sag mir, dass du einen Plan hast.«
»Na klar«, meinte ich. »Das genau ist es ja, wofür du mich bezahlst.« Ich musste mich vorsehen. Ich wusste von Dingen und betrat Territorium, von dem ich als Shaman Bond nichts hätte wissen dürfen. »Verräter wurden nicht im Blutigen Tower hingerichtet, sondern auf dem Tower Hill, weit außerhalb der Festung. Hinrichtungen waren damals öffentliche Angelegenheiten: Unterhaltung für die Massen. Die Quelle der Kraft, die diese Geister kontrolliert, wird wohl tief in diesem Hügel verborgen sein. Vielleicht etwas sehr Altes und Ekliges. Nichts, für das wir ausgerüstet wären. Also, wenn ihr vermeiden wollt, von den Geistern entdeckt zu werden, ist die beste Methode … nicht da zu sein.« Ich grinste in ihre verwirrten Gesichter. »Ich bin ziemlich sicher, dass ich ein ziemlich nützliches Gerät in die Finger kriegen kann, das uns vor den Blicken der Geister verbirgt. Jedenfalls für eine Weile. Lange genug, um reinzuschleichen, das Fürchterliche zu tun und dann wie vom Teufel gejagt wieder rauszurennen.«
Natürlich brauchte ich selbst so ein Gerät nicht. Mein Torques konnte mich für alles und jeden unsichtbar machen, und ich war ziemlich sicher, dass ich diese Funktion für eine Weile auch auf die anderen ausweiten konnte. Oder wenigstens so lange, wie ich es für nötig hielt. »Wie lange wird es dauern, dieses Gerät zu besorgen?«, fragte Big Aus. »Ich kann es bis morgen früh schaffen.«
»Ich weiß ganz genau, das bedeutet zusätzliche Kosten«, sagte er. »Wie viel, Shaman?« Ich sagte es ihm, und er zog eine Grimasse, als habe er Zahnschmerzen. Aber ich musste es teuer genug machen, damit er es ernst nahm.