Wie auch immer, die Schlange bewegte sich ziemlich schnell in die Zollfestung; ohne Zweifel fand im Inneren eine sehr rasche und rigorose Auslese der meisten Borgravier statt. Nicht lange, und Feric passierte die Wächter, dann den Eingang selbst und stand zum erstenmal in seinem Leben auf Boden, der in einem Sinne schon als heldonische Heimaterde angesehen werden konnte.
Das Innere der Zollfestung war unverkennbar ein Werk von Heldern, in scharfem Gegensatz zu allem anderen südlich der Ulm, wo unglückliche Umstände Feric während seiner Jugendzeit festgehalten hatten. Die Vorhalle hatte einen mit schwarzen, weißen und roten Fliesen ausgelegten Boden, und die aufgemalten Wappen der verschiedenen heldonischen Provinzen verschönerten die mit schimmerndem Eichenholz verkleideten Wände. Starke elektrische Lampen tauchten den weiten Raum in helles Licht. Welch ein Gegensatz zu den unästhetischen, aus Fertigteilen primitiv zusammengefügten Betonkästen, die für Borgravias öffentliche Gebäude charakteristisch waren, außen so unsauber und kahl wie innen, und nicht selten von Talgkerzen erhellt!
Einige Schritte innerhalb des Eingangs teilte ein heldonischer Zollsoldat in einer etwas unordentlichen Uniform mit angelaufenen Messingknöpfen die Schlange der Wartenden in zwei Reihen. Alle offenkundigen Mutanten und Bastarde wurden durch die Vorhalle und durch eine Tür in der gegenüberliegenden Wand hinausgeleitet. Feric billigte diese Maßnahme von ganzem Herzen: es hatte keinen Sinn, die Zeit eines genetischen Analytikers mit schlurfenden, schwankenden Untermenschen wie diesen zu vergeuden. Ein gewöhnlicher Zollsoldat war völlig hinreichend qualifiziert, um sie ohne weitere Überprüfung fortzuschicken. Die kleinere Zahl hoffnungsvoller Kandidaten, die der Soldat durch eine nähere Tür wies, schloß einige sehr zweifelhafte Fälle mit ein, wie etwa den übelriechenden Borgravier vor Feric, aber nichts von der Art einer Blauhaut oder eines Papageiengesichts.
Im weiteren Vorrücken machte Feric jedoch eine seltsame und beunruhigende Beobachtung. Der Wachsoldat schien nicht wenigen der Mutanten zuzunicken, die er in die Reihe der Abgewiesenen schickte, als wären sie alte Bekannte; und die Borgravier verhielten sich überdies so, als wären sie durchaus vertraut mit der Verfahrensweise und, was Feric am seltsamsten berührte, äußerten kein Wort des Protestes über ihre Zurückweisung, ließen überhaupt kaum eine Gemütsbewegung erkennen. Konnte es sein, da diese erbärmlichen Kreaturen in ihrer Intelligenz so tief unter dem menschlichen Genotyp standen, daß sie unfähig waren, Ereignisse länger als einen Tag oder so im Gedächtnis zu behalten und daher Tag für Tag wie unter einem ritualistischen Zwang zurückkehrten? Feric hatte gehört, daß ein solch fixiertes Verhalten in den wahrhaften genetischen Senkgruben von Cressia und Arbona nicht unbekannt sei, doch hatte er dergleichen niemals in Borgravia beobachtet, wo das Genreservoir durch ausgebürgerte Helder ständig angereichert wurde: Leute, die nicht ganz als rechte Menschen eingestuft werden konnten, ihnen aber nahe genug standen, um das Niveau des borgravischen Genreservoirs weit über jenes von Ländern wie Arbona oder Zind emporzuheben.
Als Feric an die Reihe kam, richtete der Wachsoldat in ziemlich gelangweiltem Ton das Wort an ihn. »Tagespassierschein, Bürger oder Bürgerkandidat?«
»Bürgerkandidat«, erwiderte Feric mit klarer Entschiedenheit. Sicherlich war das einzige vorstellbare Visum für Heldon eine offizielle Beglaubigung der genetischen Reinheit! Entweder man war bereits Bürger Heldons, oder man bewarb sich um eine Beglaubigung und wurde je nach dem Ergebnis der genetischen Untersuchung zugelassen oder abgewiesen. Was war diese unmögliche dritte Kategorie?
Der Zollsoldat winkte Feric mit einer nachlässigen Kopfbewegung zur kürzeren der beiden Reihen. In alledem war ein Handlungsmuster, etwas in Ton und Art der Abfertigung, was Feric ungemein störte, eine Verkehrtheit, die in der Luft zu schweben schien, eine Leblosigkeit, ein völliges Fehlen der traditionellen Schneidigkeit der Helder. Hatte die tägliche Isolation auf der borgravischen Seite der Ulm einen subtil-zersetzenden Effekt auf die Moral und Willenskraft dieser genetisch robusten Helder gehabt?
Mit diesen trüben Gedanken beschäftigt, folgte Feric der Schlange der Wartenden durch die bezeichnete Tür und in einen langen, schmalen Raum, dessen mit Nadelholz getäfelten Wände durch künstlerisch wertvolle Schnitzereien gegliedert waren, die typische Szenen aus dem Smaragdwald darstellten. Ein breiter Tresen aus glänzend poliertem schwarzem Stein mit Einlegearbeiten aus rostfreiem Stahl teilte die Länge des Raumes und trennte die Wartenden von den vier heldonischen Zollbeamten, die hinter ihm standen. Diese Männer schienen feine Vertreter der wahren Menschheit zu sein, doch waren ihre Uniformen ein wenig liederlich, und ihrer Haltung fehlte die angemessene soldatische Disziplin. Sie hatten mehr Ähnlichkeit mit Bankangestellten oder Beamten eines öffentlichen Postamtes als mit Zollsoldaten, die eine Zitadelle der genetischen Reinheit bemannten.
Ferics Unbehagen nahm weiter zu, als der übelriechende Borgravier vor ihm sein kurzes Gespräch mit dem ersten der Beamten beendete, seine Fingerabdrücke machte und sich die Stempelfarbe mit einem stark beschmutzten Tuch abwischte, worauf er der Schlange zum nächsten Beamten folgte. Am anderen Ende des langen Raumes gewahrte Feric den Zugang zur Brücke, wo ein mit Stahlknüppel und Pistole bewaffneter Wächter eine äußerst zweifelhafte Sammlung von genetischem Gepäck passieren zu lassen schien. Tatsächlich haftete dem gesamten Kontrollvorgang eine ungesunde Nachlässigkeit an.
Der erste Beamte war jung, blond und ein ausgezeichnetes Beispiel des rechten menschlichen Genotyps; überdies war seine Uniform besser geschnitten als die der meisten anderen, die Feric bislang gesehen hatte, frisch gebügelt und mit Messingknöpfen, die, wenn sie auch nicht gerade glänzten, zumindest nicht angelaufen waren. Freilich spürte Feric auch in seinem Benehmen eine gewisse Laxheit, die nicht recht zu seiner Erscheinung passen wollte. Vor ihm lagen ein Stapel Formblätter, Schreibgerät, ein Löscher, ein beschmutzter Lappen und ein Stempelkissen auf dem glänzenden schwarzen Tresen.
Der Beamte schaute Feric gerade ins Auge, aber der Männlichkeit seines Blicks ermangelte es an Überzeugung. »Besitzen Sie eine Beglaubigung der genetischen Reinheit, die von der Großrepublik Heldon herausgegeben wurde?« fragte er förmlich.
»Ich bewerbe mich um eine Beglaubigung und um Aufnahme als Bürger und Rechtmann in die Großrepublik«, erwiderte Feric mit einer Würde, die, wie er hoffte, dem Anlaß angemessen war.
»So«, murmelte der Beamte gleichmütig, nahm seinen Schreiber und wandte den Blick seiner blauen Augen von Feric ab und dem obersten Formular zu. »Dazu sind ein paar Formalitäten nötig. Name?«
»Feric Jaggar«, antwortete Feric stolz und hoffte auf ein Zeichen von Wiedererkennen. Denn obgleich Heermark Jaggar zur Zeit des Friedensschlusses von Karmak nur ein Kabinettssekretär gewesen war, gab es im Vaterland sicherlich genug aufrechte Patrioten, denen die Namen der Märtyrer von Karmak noch immer etwas bedeuteten. Aber der Beamte zeigte keine Anerkennung der in Ferics Stammbaum enthaltenen Ehrwürdigkeit und schrieb den Namen in einer flüchtigen und sogar etwas unordentlichen Handschrift auf das Formblatt.
»Geburtsort?«
»Gormond, Borgravia.«
»Gegenwärtige Staatsangehörigkeit?«