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Skar trat dichter an die Reling heran und sah ebenfalls zur Stadt hinüber. Die Nacht verwandelte ihre Silhouette in einen mächtigen grauen Schatten, vor dem die Bewegungen der Männer auf dem Kai nur schemenhaft zu erkennen waren, aber sie trug auch den Klang ihrer Stimmen und die rauhen Scherzworte, die hin und her geworfen wurden, deutlich bis zu ihnen herüber. Skar fiel plötzlich auf, wie still es trotz allem war. Die Stimmen der Männer wirkten ... isoliert, akustische Farbtupfer auf einem ansonsten vollkommen leeren Hintergrund. Der Rumpf der SHANTAR knarrte leise, während sich das Schiff auf den Wellen wiegte, aber weder aus der Stadt noch von einem der vier anderen Schiffe war auch nur das leiseste Geräusch zu hören.

Es ist zu still, dachte Skar erschrocken. Er fuhr herum, starrte alarmiert zur Hafeneinfahrt und dem schwarzen Schatten des Kaperseglers und dann wieder zum Kai hinüber. Die Entlademannschaft hatte die SHANTAR fast erreicht, und auch ihre Gestalten waren nicht mehr als schwarze Umrisse. Aber es waren ausnahmslos die Umrisse großer, sehr großer und muskulöser Männer, Männer, die für die schwere Arbeit in einem Hafen geeignet waren - oder für das Kriegshandwerk!

»Ich Narr!« keuchte Skar. »Ich verdammter Narr! Ich muß blind gewesen sein!«

Andred sah alarmiert auf. »Was ist?« fragte er.

»Was los ist?« Skar hatte Mühe, seine Stimme wenigstens so weit im Zaum zu halten, daß er nicht schrie. »Das ist eine Falle, Andred! Ein verdammter Hinterhalt!«

Andred sah ihn irritiert an, blickte dann ebenfalls zum Kai hinüber und schüttelte den Kopf. »Du irrst dich, Skar«, murmelte er. »Es ist alles normal. Obwohl ...« Er stockte, starrte einen Herzschlag lang zur Wasseroberfläche hinab und sog lautstark die Luft durch die Nase ein. »Dieser Geruch ...«, murmelte er. »Was ist das? Und sieh dir das Wasser an. Keine Wellen ...«

Skar sah erschrocken am Rumpf des Schiffes hinab. Andred hatte recht - das Wasser rings um die SHANTAR war glatt wie ein Spiegel, und als er genauer hinsah, glaubte er einen leichten öligen Schimmer auf seiner Oberfläche zu erkennen.

»Ihr Götter!« keuchte Andred. »Dieser Hund! Wir...« Er brach ab, fuhr herum und war mit einem Satz bei der Treppe. »Verlaßt das Schiff!« brüllte er. »Geht an Land! Schnell!« Aber die Matrosen kamen nicht mehr dazu, seinem Befehl zu folgen. Alles ging plötzlich unglaublich schnell. Die Hafenmannschaft hatte die Kaimauer erreicht und in einer langen, weit auseinandergezogenen Linie auf ihrer Krone Aufstellung genommen. Irgendwo klirrte Metall, ein verirrter Lichtstrahl brach sich auf dem Heft eines Schwertes, Mäntel und Kapuzen wurden zurückgeschlagen, und vor Skars erschrocken aufgerissenen Augen verwandelten sich die zwei Dutzend Hafenarbeiter in eine Abteilung gepanzerter Thbarg-Krieger.

Skar erkannte den breitschultrigen Hünen an ihrer Spitze sofort. Dessen Goldhelm funkelte wie ein kleines, boshaftes Auge, und der Blick seiner Augen schien sich in den Skars zu bohren. Er hatte Skar trotz seiner Verkleidung sofort erkannt, so, wie er ihn auch schon beim ersten Mal erkannt hatte.

Skars Hand zuckte zum Schwert, obwohl er wußte, wie sinnlos diese Geste sein mußte. »Gondered!« keuchte er.

Der Thbarg lachte, ein hohes, häßliches Geräusch, das weit über das stille Hafenbecken zu hören war. In seiner Hand glühte plötzlich ein winziger greller Funke auf.

»Fahr zur Hölle, Satai!« schrie er. Der Funke löste sich aus seiner Hand, beschrieb einen perfekten Halbkreis und fiel dicht neben dem Rumpf des Schiffes ins Wasser.

Skar schrie geblendet auf. Das Hafenbecken rings um die SHANTAR schien zu explodieren. Eine weiße, lodernde Feuerwand hüllte das Schiff von einer Sekunde auf die andere ein, schlug mit unsichtbaren glühenden Krallen nach seiner Besatzung, setzte Kleider, Takelage und Holz in Brand und wälzte sich als brüllender Feuerpilz nach oben. Für einen endlosen grauenhaften Moment schien sich der Hafen von Anchor in das Herz eines feurigen Vulkans zu verwandeln, wurde Wasser zu Glut und Atemluft zu flüssigem Feuer, das die Kehlen der Männer verbrannte. Skar taumelte zurück, schlug wütend den Arm vor die Augen, riß Andred in einer instinktiven Bewegung zu Boden. Das Schiff hob sich wie unter einem gewaltigen Schlag, legte sich auf die Seite und fing mit einem ungeheuren schmetternden Krachen Feuer. Eine brennende Gestalt taumelte an Skar vorüber, wankte blindlings auf die Feuerwand zu und brach plötzlich in die Knie. Andred schrie etwas, das Skar nicht verstand, begann wie von Sinnen um sich zu schlagen und traf Skar schmerzhaft an der Schläfe.

Der Hieb riß Skar abrupt in die Wirklichkeit zurück. Für einen winzigen Moment sah er alles mit phantastischer Klarheit - das brennende Holz zu seinen Füßen, die schreienden Männer, die Segel, die sich in lodernden Fetzen von den Rahen lösten, die wabernde Feuerwand, die das Schiff von allen Seiten umschloß. Er dachte nicht mehr. Ein anderer Teil seines Bewußtseins, der Teil, der nur aus Instinkten und Reflexen bestand, jahrzehntelang mit unendlicher Geduld trainiert und herangezüchtet, löschte für einen Moment sein bewußtes Denken aus. Er sprang auf, riß Andred wie eine Puppe mit sich und flankte mit einem einzigen Satz über die Reling. Feuer hüllte sie ein, setzte seine Kleider und sein Haar in Brand und riß seinen Schmerzensschrei davon. Er fiel, hielt Andred wie ein lebloses Bündel fest und schrie, schrie, schrie. Sein Körper war ein einziger Schmerz, ein wimmerndes Bündel aus Pein und Angst, und der Sturz schien kein Ende zu nehmen. Irgendwo unter ihnen mußte Wasser sein, aber er stürzte immer weiter durch Flammen, tauchte in ein Meer von Hitze und tödlicher Glut und schrie seinen letzten Atem hinaus.

Als er ins Wasser tauchte, verlor er fast das Bewußtsein. Die eisige Kälte wirkte wie ein Schock und war für einen Moment fast noch schmerzhafter als das Feuer. Er krümmte sich zusammen, tauchte instinktiv noch tiefer und riß Andred mit sich. Ein Wirbel packte ihn, schmetterte ihn mit erbarmungloser Kraft gegen den Rumpf des Schiffes und trieb das letzte bißchen Luft aus seinen Lungen. Er schrie - oder wollte schreien -, schluckte Wasser und stieß sich mit einer verzweifelten Bewegung von der SHANTAR ab. Seine Lungen brannten, und die Hitze des brennenden Öls war selbst hier, einen Meter unter der Wasseroberfläche, noch deutlich zu spüren. Über ihnen loderte ein Himmel aus Feuer, ein gewaltiger, wabernder Kreis, dessen Grenzen irgendwo in unendlicher Entfernung zu sein schienen. Blind und ohne zu wissen, was er wirklich tat, schwamm Skar los, tauchte mit verzweifelter Kraft auf den Rand des brennenden Ölfleckes zu und versuchte die Schmerzen in seiner Brust zu ignorieren. Sein Herz hämmerte; schnell, unregelmäßig und mit wütender, peinigender Kraft. Er spürte kaum noch, wie Andred in seinen Händen erschlaffte und große silberne Luftblasen aus seinem geöffneten Mund perlten. Ein stählerner Ring lag um seine Brust und zog sich unbarmherzig zusammen. Er krümmte sich, stieß sich noch einmal und mit einer Kraft, von der er selbst nicht wußte, woher er sie nahm, ab und brach, kaum eine Handbreit hinter der lodernden Flammenwand, durch die Wasseroberfläche. Die Luft war selbst hier unerträglich heiß, aber er sog sie mit tiefen, gierigen Zügen in die Lungen, hustete, erbrach qualvoll Wasser und hielt Andreds Kopf mit letzter Kraft über den Wellen. Die flimmernden Kreise vor seinen Augen begannen langsam zu verblassen, und die Schmerzen in seiner Brust waren jetzt nur noch qualvoll, nicht mehr unerträglich. Die Hitze trieb ihn weiter. Er legte sich auf den Rücken, bettete Andreds reglosen Körper auf seine Brust und schwamm mit langsamen, kräftesparenden Stößen von dem lodernden Scheiterhaufen fort, in den sich die SHANTAR verwandelt hatte. Das Schiff war nur noch als dunkler Schatten durch die Feuerwand zu erkennen, und die Glut des brennenden Öls war so hell, daß die Kaimauer und die Stadt hinter ihr nur noch als vage Umrisse sichtbar waren. Aber vielleicht würde das Licht die Thbarg dort oben genauso blenden wie ihn.