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Aber der Thbargsegler dort drüben war kein Gespenst. Ganz und gar nicht.

Skar atmete hörbar ein, trat einen Schritt von der Reling zurück und sah sich unschlüssig an Deck um. Am liebsten wäre er in seine Kabine gegangen und dort geblieben, bis der Thbarg weitergesegelt war, aber das hätte zu sehr nach Flucht ausgesehen. Einen Moment überlegte er, ob er einfach seinen Mantel abstreifen und sich unter die Mannschaft mischen sollte, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Die Besatzung der SHANTAR bestand ausschließlich aus kleinen, gelbhäutigen Freiseglern, unter denen er sofort aufgefallen wäre.

Er merkte plötzlich, daß Andred ihn beobachtete, drehte sich verlegen um und lächelte. »Ist es normal, daß ein Schiff auf hoher See den Kurs ändert, nur weil die Kapitäne einen Plausch halten wollen?« fragte er, ehe Andred Gelegenheit hatte, eine Frage zu stellen. Skars Verhalten konnte dem Freisegler nicht entgangen sein.

Aber wenn er sich seine Gedanken darüber machte, so ließ er sich - jedenfalls im Augenblick - nichts anmerken. »Manchmal«, sagte er. »Zumindest auf hoher See. In Küstennähe wie hier ... Vielleicht brauchen sie Wasser oder Proviant«, sagte er achselzuckend. »Oder einen Heilkundigen. Wir werden es in wenigen Augenblicken wissen.«

Skar zuckte zusammen und sah beinahe erschrocken an Andred vorbei nach Westen. Der Thbarg hatte schon fast die halbe Entfernung zurückgelegt und kam rasch näher. Die Segel an den vier großen Masten waren gebläht, und vor dem beilscharfen Rammsporn des Schiffes gischtete eine weiße Bugwelle. Andred hatte nicht übertrieben - der Thbarg war doppelt so schnell wie die SHANTAR; mindestens.

»Wenn du unter Deck gehen willst«, sagte Andred plötzlich, »dann tu es, solange noch Zeit ist. Von der Mannschaft wird niemand verraten, daß du an Bord bist. Freisegler nehmen normalerweise keine Passagiere mit.«

»Ich ...« Skar schüttelte den Kopf, sah Andred jedoch nicht direkt an. »Wie kommst du darauf, daß ich unter Deck möchte?« fragte er ausweichend.

Der Freisegler grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Nur so«, murmelte er. »Du siehst nicht gerade aus wie ein Mann, der sich über das Zusammentreffen freut.«

Skar warf ihm einen finsteren Blick zu, schwieg jedoch und starrte dem näher kommenden Thbarg entgegen. Das Kaperschiff pflügte wie ein gewaltiger schwarzer Wal durch die Wellen. Es war größer als die SHANTAR, aber schlanker, so daß die Kraft des guten Dutzends Segel, die sich an den vier Masten blähten, optimal genutzt wurde und dem Schiff eine erstaunliche Geschwindigkeit - und wohl auch Wendigkeit - verlieh. Seine Bordwand war gut eine Manneslänge höher als die des Freiseglers, und hinter der hohen, durchbrochenen Reling waren die Drachenköpfe zahlreicher gespannter Katapulte zu erkennen, als das Schiff näher kam.

»Das ist seltsam«, murmelte Andred.

»Was?«

»Der Rauch dort - siehst du ihn?« Der Freisegler deutete auf das Heck des Thbarg. Eine Anzahl dünner, schwarzgrauer Rauchsäulen erhob sich vom Achteraufbau des Kaperseglers. Sie trieben fast sofort im Wind auseinander, waren jedoch trotzdem deutlich zu erkennen. Über dem hinteren Teil des Schiffes schien die Luft leicht zu flimmern, als wäre sie erhitzt. Skar nickte. »Kohlen«, erklärte Andred. »Für die Katapulte. Sie sind in voller Kampfbereitschaft.«

»Hast du nicht gerade erst gesagt, daß du keinen Streit mit den Thbarg hast?« fragte Skar mit mühsam beherrschter Stimme. »Das gilt nicht uns«, widersprach der Freisegler. »Wollten sie uns angreifen, hätten sie es längst getan. Wir sind längst in ihrer Reichweite. Außerdem würde er dann kaum längsseits gehen, sondern uns im rechten Winkel rammen.« Seine Zunge fuhr in einer raschen, nervösen Bewegung über seine Unterlippe, und die Worte klangen nicht ganz so überzeugt, wie sie es hätten tun sollen. Der Freisegler war nervös, das sah Skar ganz deutlich. Schweigend beobachteten sie das Näherkommen des Kaperschiffes. Der Thbarg minderte seine Geschwindigkeit nicht, änderte seinen Kurs erst im letzten Moment und segelte schließlich ein Stück hinter und neben der SHANTAR. Die Segel wurden gerefft; Skar konnte sehen, wie das Schiff wie ein großes, schwerfälliges Tier zitterte, als der Druck des Windes auf seine Spanten nachließ. Es war noch immer schneller als die SHANTAR, verlor jedoch nun rasch an Fahrt und kam nach wenigen Minuten fast auf den Meter genau neben dem kleineren Freisegler zum Stehen. Andred begleitete das Manöver mit einem flüchtigen Stirnrunzeln, aber selbst Skar - der von Schiffen kaum mehr verstand, als daß sie groß waren und schwimmen konnten - begriff, daß er hier Zeuge einer seemännischen Meisterleistung wurde.

»Ahoi, SHANTAR!« drohte eine Stimme vom Deck des Thbarg herüber. »Wir kommen an Bord!«

Eine Anzahl dunkler, gegen den flammenden Morgenhimmel nur als flache schwarze Schattenrisse zu erkennende Gestalten erschien hinter der Reling des Kaperseglers. Das gewaltige Schiff zitterte wieder, neigte sich ein wenig zur Seite und trieb dann ganz langsam auf die SHANTAR zu. Skar sah weder Ruder noch sonstige Hilfsmittel, mit denen das Schiff bewegte wurde; trotzdem schmolz die Entfernung zwischen den beiden Seglern sichtlich zusammen.

»Wie macht er das?« fragte Skar.

Andred zuckte erneut mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete er. »Aber irgendwie hast du recht, Satai - die Sache gefällt mir nicht.« Er hatte unwillkürlich die Stimme gesenkt und flüsterte nur noch; seine Hände lagen auf der Reling, so fest, daß die Knöchel weiß durch seine sonnenverbrannte Haut hindurchschimmerten. Er gab sich alle Mühe, seine Unruhe zu verbergen, aber es gelang ihm nicht.

Der Thbarg kam näher und hielt schließlich auf die gleiche, geheimnisvolle Weise, auf die er sich in Bewegung gesetzt hatte, weniger als eine Armlänge neben der SHANTAR an. Ein schwacher Geruch nach frischem Teer und brennenden Kohlen wehte zu ihnen herüber.

In die Gestalten hinter der Reling kam Bewegung. Eine Planke wurde zum Deck der SHANTAR herabgelassen und mit kleinen kupfernen Krallen festgehakt; dann traten drei der Männer - rasch und mit ausgebreiteten Armen, um auf der abschüssigen Laufplanke das Gleichgewicht zu halten - zu ihnen herab.

Skar musterte die Neuankömmlinge mit unverhohlenem Mißtrauen. Sie waren allesamt groß und sehr muskulös und in bodenlange, dunkelblaue, mit silbernen Stickereien verzierte Mäntel gehüllt. Das einzige Unterscheidungsmerkmal war ein wuchtiger, goldbeschlagener Helm, den einer von ihnen trug. Nach dem einfachen, schon beinahe ärmlichen Leben, das Skar an Bord der SHANTAR kennengelernt hatte, erschien ihm die Aufmachung der drei Thbarg schon fast barbarisch in ihrer Pracht.

»Ich bin Gondered«, stellte sich der Anführer der Thbarg vor. Es war der Mann mit dem Goldhelm. Sein Blick tastete, rasch und mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der im Umgang mit Menschen geübt war, über Skars Gestalt, blieb eine halbe Sekunde an seinem Gesicht hängen und wandte sich dann Andred zu. »Ihr seid der Kapitän?« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und allein der herrische Ton, in dem sie vorgebracht wurde, klärte die Fronten zwischen ihnen deutlicher, als es die gespannten Katapulte gekonnt hatten.

Andred nickte. Die Bewegung wirkte abgehackt und verkrampft, und Skar sah, wie die Hand des Freiseglers langsam und in einer Bewegung, über die er sich wahrscheinlich selbst nicht im klaren war, zum Gürtel kroch. Der Griff seines Kurzschwertes zeichnete sich deutlich durch das glänzende Leder des Regenmantels ab. »Mein Name ist Andred«, sagte er mühsam beherrscht. »Ich bin Eigner und Kapitän der SHANTAR. Würdet Ihr mir verraten, was der Grund für Euren Besuch ist?« Seine Stimme klang spröde. Von der Freundlichkeit, die Skar an ihm kennen- und schätzengelernt hatte, war nichts mehr geblieben.