Mork nickte auffordernd. Skar schluckte die bissige Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, hinunter, packte die Kette fester und trat widerwillig ins Wasser.
Es war kalt, viel kälter, als er geglaubt hatte; eine dünne, schneidende Linie mörderischer Kälte, die an seinen Beinen und seinem Körper emporkroch und gefühllose Taubheit hervorrief. Skar ließ sich behutsam ganz ins Wasser gleiten, biß die Zähne zusammen und schwamm, die Rechte fest um die straff gespannte Kette geklammert, los. Hinter ihm glitten Legis, dann Mork und die anderen Quorrl ins Wasser.
Sie schwammen schräg über den See bis weit über seine Mitte hinaus. Skar spürte, wie seine Kräfte schon nach den ersten Zügen nachzulassen begannen. Die Kälte saugte das Leben aus ihm heraus, lähmte ihn und verwandelte seine Muskeln in starre, schmerzende Knoten, die sich mehr und mehr weigerten, seinen Befehlen zu gehorchen. Die Kette verschwand plötzlich unter ihm in der Tiefe. Er hielt an, trat einen Moment Wasser und nahm einen letzten, tiefen Atemzug, ehe er tauchte.
Die Strömung riß ihn mit sich. Er konnte nichts sehen, obwohl er - trotz des brennenden Schmerzes und des Widerwillens, mit dem ihn das übelriechende, schleimige Wasser erfüllte - die Augen weit geöffnet hielt. Sein Rücken schrammte an hartem, rissigem Stein entlang. Ein schmerzhafter Schlag prellte ihm die Kette aus der Hand, aber der Sog des abfließenden Wassers leitete ihn sicherer, als es die Kette gekonnt hätte. Irgend etwas schrammte an seiner Schulter entlang, und etwas Weiches, Schleimiges floß über sein Gesicht und blieb einen Moment daran haften.
Skars Herz begann zu hämmern. Kälte und Strömung rissen weiter an ihm, verbrannten seine Haut und saugten das letzte bißchen Kraft aus ihm heraus. In seiner Kehle saß plötzlich ein dicker, schmerzhafter Kloß, der mit jeder Sekunde dicker zu werden schien. Er wollte atmen, doch es ging nicht. Seine Lungen brannten, schmerzten unerträglich, aber selbst wenn es ihm gelungen wäre, den Mund zu öffnen, wäre seine Kehle zu verkrampft gewesen, um zu atmen.
Und dann, von einer Sekunde auf die andere, erreichte er die Oberfläche. Er sah Licht über sich, stemmte sich mit einer letzten verzweifelten Anstrengung gegen die Strömung, die ihn weiter in die Tiefe reißen wollte, und brach durch den Wasserspiegel. Mit raschen, gierigen Zügen saugte er die Luft in seine Lungen, hustete, würgte und schwamm gleichzeitig auf das Ufer zu.
Dicht neben ihm brach Morks geschuppter Schädel durch die Wasseroberfläche. Der Quorrl rief etwas, das Skar nicht verstand, und deutete hektisch nach rechts. Skar ruderte mit den Armen und versuchte, sich auf der Stelle zu drehen. Der Sog der Strömung wurde stärker. Skar blinzelte, um wieder klar sehen zu können, spuckte einen Mundvoll Wasser aus und sah sich aufmerksam um. Sie befanden sich in einer weiteren Höhle, die aber ungleich höher und größer war als die, in die der Abfluß gemündet hatte. Das Wasser floß mit einem mächtigen Rauschen durch ein schmales, künstlich geschaffenes Bett, das auf der rechten Seite von der Stirnwand der Höhle und auf der linken von einem gewaltigen unterirdischen Plateau begrenzt wurde. Aber das war es nicht, worauf ihn Mork hatte aufmerksam machen wollen.
Vor ihnen, wie ein Gebirge aus Fleisch und Panzerplatten, stand eine Feuerechse.
20.
»Nicht bewegen!« keuchte Mork. Sein Kopf tanzte dicht neben Skar auf den Wellen, und seine Worte gingen im Gurgeln und Rauschen des schnell fließenden Wassers beinahe unter. Aber Skar mußte sie nicht verstehen, um zu gehorchen. Sein Blick hing gebannt am Schädel der gewaltigen Bestie, die kaum einen Steinwurf entfernt am Ufer des Flusses stand und mißtrauisch zu ihnen herüberäugte. Sie war ein Gigant, selbst für eine Feuerechse. Skar schätzte ihre Größe auf gute zehn Meter; nicht sehr viel weniger, als Velas Staubdrachen gemessen hatte, obwohl er weitaus massiger und kraftvoller gewesen war als diese Echse hier. Ihr Kopf pendelte ständig hin und her, als wäre sie auf der Suche nach irgend etwas, und das dumpfe, rasselnde Geräusch ihrer Atemzüge übertönte sogar das Tosen des Flusses.
Nach und nach tauchten auch die anderen auf - Herger zuerst, gefolgt von zwei Quorrl-Kriegern und Legis' Männern, die in rascher Folge durch den Wasserspiegel brachen. Die Strömung versuchte sie auseinanderzutreiben und mit sich zu reißen, aber die Quorrl, gegen deren gewaltige Körperkräfte selbst der Sog des Wasser nicht ankam, hielten sie zusammen.
Skar sah sich verzweifelt nach Legis um. Die Errish war ein paar Meter den Fluß hinuntergerissen worden und kämpfte sich jetzt mühsam gegen die Strömung zurück.
»Der Drache!« rief er über das Brüllen der Wassermassen. »Kannst du ihn fortjagen?«
Es war nicht zu erkennen, ob die Errish seine Worte verstanden hatte oder nicht, aber sie änderte ihren Kurs ein wenig und schwamm jetzt nicht mehr direkt auf ihn und die anderen zu, sondern würde, wenn sie die Richtung beibehielt, dicht unterhalb der Raubechse das Ufer erreichen.
Eine Hand berührte Skar an der Schulter und krallte sich schmerzhaft durch den dünnen Stoff seines Mantels. Er fuhr herum, schlug den Arm instinktiv beiseite und erkannte Herger. Sein Gesicht war eine Grimasse der Furcht, und sein Mund formte ununterbrochen lautlose Worte.
»Reiß dich zusammen!« schrie Skar.
Herger paddelte wie wild mit den Armen und versuchte immer wieder nach Skar zu greifen. In seinen Augen flackerte blinde Panik.
»Der Drache«, keuchte er. »Er wird uns töten, Skar.«
Skar sah instinktiv zum Ufer hinüber. Das Ungeheuer hatte sich aufgerichtet und stand jetzt, die winzigen, armähnlichen Vorderläufe in der typischen Angriffshaltung seiner Gattung erhoben, direkt am Wasser. Der gewaltige Schwanz peitschte nervös den Boden. Skar wußte, daß sie hier keineswegs in Sicherheit waren. Die Echse mußte nur einen großen Schritt in den Fluß tun, um ihn und die anderen zu erreichen. Aber Skar wußte auch, wie sehr die gewaltigen Raubechsen das Wasser scheuten. Für das Tier mußten die im Fluß treibenden Menschen und Quorrl eine verlockende - und dazu leichte - Beute sein, aber seine Abneigung gegen die Nässe war stärker. Noch.
Skar verstärkte sein Wassertreten, weil die Kälte allmählich seine Glieder zu lähmen begann. Er konnte jetzt spüren, wie seine Kräfte schwanden; schneller, als er befürchtet hatte.
Einer der Männer schrie plötzlich auf, warf in einer grotesk anmutenden Geste die Arme in die Luft und verschwand mit weit geöffnetem Mund im Wasser. Mork rief einem seiner Krieger einen scharfen Befehl zu. Der Quorrl tauchte, kam aber bereits wenige Augenblicke später wieder an die Oberfläche und schüttelte wortlos den Kopf.
Der erste, dachte Skar düster. Sie hatten noch nicht einmal einen Fuß in die Verbotene Stadt gesetzt, und schon war der erste Mann tot.
»Bleibt zusammen!« schrie Mork. »Wenn euch die Strömung davonträgt, seid ihr verloren!«
Skar fand diese Warnung höchst überflüssig. Seine Kraftreserven waren fast erschöpft - er würde den Kampf gegen die Strömung nur noch wenige Augenblicke durchhalten.
Legis hatte mittlerweile das Ufer erreicht. Skar sah, wie sie verzweifelt versuchte, sich an der glatten Kante emporzuziehen, aber ihre Hände fanden an dem nassen, glitschigen Stein keinen richtigen Halt, und sie glitt vier-, fünfmal wieder ins Wasser zurück, ehe sie endlich oben war.
Die Feuerechse hatte ihr Näherkommen mißtrauisch verfolgt. Der gewaltige schuppige Kopf der Bestie pendelte noch immer nervös hin und her, und ihr Schwanz schlug monoton gegen Felsen und Stein. Es klang wie das Dröhnen einer gewaltigen Todestrommel. Als sich die Errish auf den Felsen hinaufzog und erschöpft auf die Knie sank, richtete sich die Echse auf und trat mit einem einzigen gewaltigen Schritt auf sie zu. Skar unterdrückte im letzten Moment einen Schreckenslaut.