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Legis schüttelte den Kopf. »Nein. Wir müssen es riskieren. Aber wir haben eine Chance. Sie sehen nicht sehr gut. Wenn wir ihnen nicht zu nahe kommen, so daß sie uns nicht wittern können, und wir keinen Lärm machen, können wir es schaffen.«

»Das gefällt mir nicht«, murrte der Quorrl.

»Mir auch nicht«, sagte Skar. »Aber niemand hat dich gezwungen mitzukommen. Vielleicht tust du dich mit Herger zusammen und wartest hier unten, bis wir zurück sind.«

Mork schenkte ihm einen bösen Blick, schwieg aber.

»Wir müssen es riskieren«, sagte Legis. »Und wir müssen uns beeilen - ich fürchte, wir sind selbst hier unten nicht sicher. Gehen wir zurück und holen die anderen.«

Sie wollte aufstehen, aber Skar hielt sie mit einer raschen Bewegung fest. »Es reicht, wenn einer von uns geht«, sagte er. »Bleib mit Mork hier und halt die Augen auf - ich beeile mich.« Er stand unverzüglich auf, warf einen Blick zu den Drachen hinüber und rannte los.

22.

Der Rückweg kam ihm weiter vor als der Weg hinunter.

Skar fror mit jeder Minute stärker. Der nasse Mantel begann auf seiner Haut zu trocknen, und die Kälte kroch allmählich in seinen Körper hinein und nagte an seinen letzten verbliebenen Kraftreserven. Er lief schneller und rannte schließlich den steil ansteigenden Weg hinauf, aber selbst die Bewegung vermochte die beißende Kälte nicht vollends aus seinen Gliedern zu vertreiben. Sein Herz hämmerte, als das Stollenende schließlich vor ihm auftauchte. Er blieb stehen, atmete ein paarmal tief durch und ging langsamer weiter. Die Höhle, in der Herger und die anderen zurückgeblieben waren, lag jetzt direkt vor ihm. Eigentlich hätte er ihre Stimmen hören müssen (oder wenigstens irgendwelche Laute). Aber vor ihm war nichts.

Skar blieb stehen. Er spürte, daß dort vor ihm irgend etwas nicht stimmte. Es war zu still, zu ruhig, selbst wenn er annahm, daß die Zurückgebliebenen sich bemühten, keinen Lärm zu machen. Elf Personen konnten einfach nicht so vollkommen lautlos sein, auch wenn sie es wollten.

Langsam ging er weiter. Seine Hand glitt unter den nassen Umhang und tastete nach dem Griff des Tschekal. Das Leder war klamm, vollgesogen mit Wasser und Kälte, und das beruhigende Gefühl von Sicherheit und Stärke, das ihn normalerweise immer überkam, wenn er die Waffe berührte, blieb diesmal aus.

Ein schwacher, süßlicher Geruch wehte ihm entgegen, als er weiterging. Im ersten Moment erkannte er nicht, was es war, aber er wurde stärker, je näher er der Höhle kam, und schließlich gewahrte er einen dunklen, formlosen Schatten unmittelbar vor ihrem Eingang.

Skar blieb abermals stehen, warf einen sichernden Blick über die Schulter zurück und zog die Waffe aus dem Gürtel. Das Geräusch, mit dem die Klinge aus der schmalen Lederscheide glitt, erschien ihm in der lastenden Stille überlaut; wer immer hier lauern mochte, mußte es hören.

Unsinn, dachte er zornig. Es gibt niemanden, der hier lauerte. Dieser Weg in die Verbotene Stadt braucht keinen Wächter; er bewacht sich selbst; besser, als es jeder Posten könnte.

Skar verscheuchte den Gedanken mit einem unwilligen Kopfschütteln, wechselte das Schwert von der Rechten in die Linke und ging weiter. Der Geruch wurde stärker.

Blut.

Es war Blutgeruch; jenes schwere, süßliche, auf morbide Art beinahe angenehme Aroma, das er von so vielen Schlachtfeldern und aus so vielen Arenen kannte, und zwar zu gut, um sich einzureden, daß es etwas anderes sein konnte. Es war Blutgeruch, und der dunkle Umriß vor ihm war ein Körper. Der Körper eines Quorrl.

Skar ließ sich neben dem Schuppenkrieger auf ein Knie nieder, legte das Schwert, lautlos und so nahe, daß er es mit einem raschen Griff sofort wieder erreichen konnte, auf den Boden und drehte den Quorrl um.

Er war tot. In seinen pupillenlosen Fischaugen war ein Ausdruck ungläubigen Schreckens festgefroren, ein Schrecken, der schlimmer gewesen sein mußte als der körperliche Schmerz. Sein rechter Arm war fort - an seiner Schulter gab es nur noch einen zerrissenen Stumpf, aus dem überraschend wenig Blut floß. Der Quorrl war weder verblutet noch an einer anderen Verletzung gestorben. Was ihn getötet hatte, war der Schock gewesen, eine Furcht, die sich selbst im Tode noch tief in seine Züge gegraben hatte.

Aber was konnte ein Wesen wie einen Quorrl im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode erschrecken?

Skar nahm sein Schwert auf, sah sich - nun wirklich mehr in Angst als beunruhigt - noch einmal um und ging weiter. Seine Schritte wurden langsamer.

Die Höhle war voll von Toten. Er hatte es erwartet - nicht erwartet: gewußt -, aber der Anblick traf ihn trotzdem wie ein Hieb. Der winzige Raum glich einem Schlachthaus - überall war Blut, waren tote, zerfetzte Körper, abgerissene Arme, Beine ... Skar unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte die Szene schon einmal erlebt. Verstümmelte. Menschen, die mit gnadenloser Brutalität ermordet - geschlachtet - worden waren. Er schob sein Schwert in den Gürtel zurück, trat vorsichtig über den verkrümmt daliegenden Leichnam eines Quorrl hinweg und sah sich um. Der Anblick ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Übelkeit und Haß.

Er wußte, wer dieses Gemetzel angerichtet hatte.

Der Wolf war hier, ganz in seiner Nähe. Er belauerte ihn, so, wie er ihn die ganze Zeit belauert hatte. Er hockte vielleicht gerade jetzt irgendwo in der Dunkelheit des Ganges vor ihm und starrte ihn aus leblosen Augen an.

Skar entdeckte Herger am anderen Ende des Raumes. Er lag auf dem Gesicht, die Hände zu Klauen verkrümmt, als hätte er versucht, sich in seiner Angst in den felsigen Boden zu graben. Die rechte Hälfte seines Kopfes war abgebissen. Der zersplitterte Schädelknochen zeigte Spuren von Zähnen, gewaltigen, einwärts gekrümmten Zähnen. Zähne aus Stein, dachte Skar, aus schwarzem, auf unselige Weise zum Leben erwachtem Granit, der beseelt war von einer Magie, die seit Äonen vergessen war und ihrer Welt schon einmal den Untergang gebracht hatte.

Skars Hände begannen plötzlich zu zittern. Er schloß die Augen, senkte das Haupt und preßte die Kiefer so heftig zusammen, daß es schmerzte. Aber es half nichts. Der körperliche Schmerz vermochte die andere, tiefergehende Qual, die in seiner Seele gelauert hatte und wie ein böser Alpdruck jetzt wieder zum Leben erwachte, nicht zu vertreiben.

Jetzt erst, in diesem Moment, als er vor Hergers verstümmeltem, ausgeblutetem Leichnam kniete, wurde ihm klar, wie sehr er den Hehler gemocht hatte. Er hatte sich nur eingeredet, ihn zu verabscheuen, hatte versucht, sich das selbst glaubhaft zu machen, weil er gewußt hatte, daß dies geschehen würde, weil er - ohne daß er den Gedanken jemals wirklich bewußt gedacht hätte - Angst vor diesem Augenblick gehabt hatte, vor dem Moment, in dem er sich seiner wahren Gefühle für Herger bewußt werden würde. Vor dem Moment, in dem er sich eingestand, Herger zu mögen. Er hatte gewußt, daß ihn der Wolf töten würde, in genau diesem Augenblick.

So wie der Wolf alles vernichtete, was er, Skar, liebte.

»Warum bringst du mich nicht um?« flüsterte er. »Warum kommst du nicht endlich aus deinem Versteck heraus und stellst dich zum Kampf?« Die gekrümmte Decke über Skars Kopf fing den Klang seiner Worte auf und warf ihn als verzerrtes Echo durch den Gang, und für einen Moment glaubte er fast, ein höhnisches Lachen als Antwort zu bekommen. Er sah auf. Der Tunnel vor ihm war voller Schwärze, Schwärze und Furcht, die aus seiner Seele heraufgekrochen war und in der wabernden Finsternis Gestalt anzunehmen begann.

»Komm heraus«, flüsterte er. »Komm endlich heraus und zeige dich, du verdammte Bestie!« Seine Hände krallten sich in den blutigen Stoff von Hergers Jacke, aber er merkte es nicht einmal. »Ich weiß nicht, was du von mir willst«, flüsterte er, »aber du kannst es haben. Komm her und stell dich zum Kampf, du Ungeheuer!« Aber die Dunkelheit vor ihm blieb stumm. Allmählich begann er zu begreifen, daß es etwas Schlimmeres als Verzweiflung gab - Ohnmacht. Nicht einmal gegenüber Vela, die sein Leben zerstört und alles, woran er glaubte und wofür er kämpfte, in den Schmutz getreten hatte, hatte er dieses Gefühl in solcher Stärke verspürt. Gegen sie konnte er wenigstens kämpfen, auch wenn er kaum eine Chance hatte, diesen Kampf jemals zu gewinnen.