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Skar schwieg.

»Es war der Wolf«, vermutete Legis. »Combats Wächter. Er ist hier, nicht wahr?«

Skar nickte widerwillig. »Ja«, gestand er. »Er war die ganze Zeit über in meiner Nähe. Ihr hättet nicht mitkommen sollen.«

»Dann hätte er uns draußen getötet«, antwortete Legis. Sie schien noch mehr sagen zu wollen, drehte sich aber dann wortlos um und wollte weitergehen.

Diesmal war es Skar, der sie zurückhielt. »Er wird auch dich töten, Legis«, sagte er ernst, »wenn du in meiner Nähe bleibst. Laß mich allein! Ich kenne den Weg jetzt und werde das letzte Stück allein gehen. Es nutzt keinem, wenn du dich auch noch opferst.«

»Eine edle Geste, Satai«, antwortete Legis. Sie sprach ein wenig zu laut, und der Spott in ihrer Stimme war bewußt verletzend, vielleicht weil sie glaubte, dies sei die einzige Art, ihn umstimmen zu können. »Aber sie kommt zu spät. Und ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Er ist mir immer noch lieber als ein Leben als Verfolgte.« Damit streifte sie seine Hand von ihrem Arm ab und stieg rasch die Stufen empor.

Skar folgte ihr. Legis hatte recht - es war wirklich nicht mehr als eine Geste gewesen. Selbst wenn sie gewollt hätte - es gab kein Zurück mehr. Weder für sie noch für ihn.

Er schob den Gedanken mit einem ärgerlichen Knurren beiseite und lief rasch hinter der Errish auch die schmalen Stufen hinauf. Der Stein war ausgetreten und so glatt, daß Skar bei jedem Schritt Angst hatte, den Halt unter den Füßen zu verlieren. Seine Linke tastete an der glatten Felswand neben ihm entlang, während er den anderen Arm weit ausgestreckt über das Nichts hielt, um die Balance zu halten. Er vermied es krampfhaft, nach rechts zu sehen, sondern hielt den Kopf so, daß er immer nur die Felswand und die nächsten drei oder vier Stufen im Blickfeld hatte. Aber er spürte die Tiefe. Ihr Sog wurde stärker, mit jedem Schritt, den sie weiter hinaufgingen, und nach einer Weile brach ihm kalter Schweiß aus den Poren.

Sie mußten sich mehr als eine halbe Meile auf der steilen Spirale in die Höhe bewegt haben, als Legis stehenblieb und zu ihm zurückblickte. Ihr Atem ging keuchend.

»Es ist nicht mehr weit«, sagte sie mühsam. »Sei von jetzt an vorsichtig. Keinen Laut mehr. Wir sind direkt unter dem Tempel.« Skar sah zum ersten Mal nach oben. Über ihnen, noch vier, fünf Windungen dieses bizarren, steinernen Schneckenhauses entfernt, wölbte sich ein Himmel aus Granit; schwarzer, zernarbter Fels, von einer Unzahl titanischer Säulen getragen, und dazwischen ... Skar blieb so abrupt stehen, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Zwischen den Pfeilern, dünn und im schwachen Licht dieser unterirdischen Welt mehr zu erahnen als wirklich zu erkennen, spannten sich schwarze Fäden, die, Spinnweben gleich, ineinander verflochten waren und Knoten, Netze und Verdickungen bildeten. Manche waren zerrissen und pendelten lose im Zugwind, andere waren zu dicken Klumpen verwachsen wie geschmolzenes Pech, das Fäden zieht.

»Was ... ist das?« fragte er.

Legis blieb abermals stehen, sah ungeduldig zurück und runzelte die Stirn. »Was meinst du?«

Skar deutete auf das schwarze Gewebe. »Dies. Was ist das? War es schon immer hier?«

Legis' Blick folgte seinem Fingerzeig. Sie schwieg ein paar Sekunden, schüttelte den Kopf und sah wieder zu ihm hinunter. »Immer nicht«, sagte sie langsam. »Aber als ich das letzte Mal hier unten war, hat es begonnen.« Sie zögerte. »Inzwischen ist es mehr geworden. Viel mehr. Warum fragst du?«

Skar schüttelte hastig den Kopf. »Aus keinem Grund«, sagte er rasch. »Es war ... reine Neugierde.«

Auf Legis' Gesicht erschien ein zweifelnder Ausdruck, aber sie schwieg und ging weiter.

Skar starrte wie gebannt auf das ölig glänzende Gewebe, während sie höher stiegen. Allmählich begann alles einen Sinn zu ergeben. Skar wußte noch nicht, welchen, aber er fühlte, daß er der Lösung des Rätsels jetzt ganz nahe war. Noch wenige Teile, und er hatte das Mosaik zusammen.

Die Säule verbreiterte sich über ihnen und ging wie das Dach eines gewaltigen steinernen Pilzes in die Höhlendecke über. Legis sah sich im Gehen um, legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit der anderen Hand nach oben. Die Treppe endete abrupt vor einer gezackten, roh aus dem Felsen gebrochenen Öffnung. Legis bückte sich, verschwand in der Dunkelheit und hantierte eine Weile an einem metallenen Riegel herum. Dann ertönte ein leises Quietschen. Es war ein Laut, als bewege sich ein rostiges Scharnier in einer uralten Angel. »Komm jetzt«, ertönte ihre Stimme aus der Dunkelheit.

Skar folgte Legis, blieb aber dicht hinter dem Eingang des Stollens noch einmal stehen und warf einen Blick in die gähnende Tiefe. Sie mußten eine halbe Meile hoch sein, vielleicht noch mehr. Der erstarrte Steinwald war zu einer winzigen Spielzeuglandschaft geworden. Von den Drachen war keine Spur mehr zu sehen. Er versuchte dem Lauf der Treppe mit Blicken zu folgen, aber das Bild verschwamm fast sofort vor seinen Augen, und dafür stieg Übelkeit in ihm auf. Hastig wandte er sich ab und kroch hinter der Errish her.

Der Gang führte etwa zehn Meter geradeaus und endete vor einer niedrigen, metallbeschlagenen Holztür. Er war wirklich aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt worden, nicht gebrannt oder auf magische Weise entstanden wie die Tunnel in Tuan; eine schier unglaubliche Arbeit.

Skar richtete sich mit einem erleichterten Seufzen auf, als er die Tür hinter sich hatte. Das graue Irrlicht, das die Höhle erhellte, blieb hinter ihnen zurück, aber durch ein vergittertes Fenster unter der Decke fiel flackernder gelber Schein. Sie waren im Keller des Palastes, und draußen mußte bereits heller Tag herrschen. Skar überlegte - sie waren kurz vor Sonnenaufgang in die Höhle eingedrungen, und es mußte, wenn sein Zeitgefühl nicht ebenfalls durcheinandergekommen war, jetzt ungefähr Mittag sein. Keine gute Zeit, um in eine streng bewachte Festung einzudringen. Aber auch eine Zeit, zu der niemand mit einem solchen Vorhaben rechnen würde.

Er bewegte Arme und Schultern, um seine verspannten Muskeln zu entkrampfen, und sah sich neugierig um. Der Raum war klein; ein asymmetrisches Rechteck von zehn auf fünfzehn Schritten Größe, dessen Decke auf der einen Seite höher als auf der anderen war. Die Winkel, in denen die Wände zusammenstießen, waren nicht klar zu erkennen; es war, als würde Skars Blick von einem unsichtbaren Spiegel abgelenkt und genarrt. Er kannte diese Art von Architektur, aber er hatte gehofft, sie niemals wiedersehen zu müssen.

»Und jetzt?« fragte er.

Legis deutete zur Tür. »Dahinter liegen die Vorratskeller«, sagte sie. »Es ist selten jemand hier. Aber weiter oben müssen wir vorsichtig sein.«

»Was heißt das, weiter oben?« fragte Skar.

»Die Privatgemächer der Margoi liegen im Westturm«, erklärte Legis.

»Gibt es Wachen?«

Legis verneinte. »Niemand muß die Margoi bewachen«, sagte sie tadelnd. Sie zögerte, sah ihn unsicher an und schlang die Finger ineinander. »Du willst wirklich zu ihr?«

Skar sah überrascht auf. »Ein bißchen spät für solche Überlegungen, nicht?« fragte er.

»Oh, es ist nicht das, was du denkst«, sagte Legis rasch. »Aber was tust du, wenn Vela nicht hier ist? Wenn die Margoi selbst auf dem Thron sitzt und Vela ihre Fäden im verborgenen zieht?« Auch Skar hatte schon daran gedacht, aber er wußte, daß es nicht so sein würde. Trotz allem blieb Vela berechenbar - sie wollte Macht, und sie würde sich nicht damit begnügen, wie ein Schatten im Hintergrund zu bleiben und ihre Intrigen zu spinnen. Er wußte, daß er Vela entweder auf dem Stuhl der Ehrwürdigen Mutter oder überhaupt nicht finden würde. »Gehen wir«, sagte er, ohne auf Legis' Frage zu antworten.