Vela war blaß geworden. »Die Drachen«, murmelte sie verstört. »Was ist mit den Drachen los?«
»Hast du selbst mir nicht erzählt, welchen Respekt du vor den Sumpfmännern hast?« fragte Skar. Seine Stimme bebte. »Dort unten sind mehr als tausend Reiter aus Cosh. Genug, um fünfzig deiner Drachen ablenken zu können.«
Vela schluckte. Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie sagte nichts mehr, sondern wandte sich wieder der Schlacht zu.
Drei oder vier der graugeschuppten Giganten waren tot, annähernd die Hälfte hatte keine Reiter mehr, und die andere wandte sich zu kopfloser Flucht. Aber es gab nichts, wohin sie fliehen konnten. Auf drei Seiten wurden sie von den Rebellen bedrängt, die immer neue Schwärme von Pfeilen und Armbrustbolzen auf sie herabregnen ließen; Waffen, die eine Feuerechse vielleicht nur durch einen glücklichen Zufallstreffer töten, ihnen aber immer Schmerzen zufügen und sie dadurch in Raserei versetzen konnten. Und das Bemühen ihrer Reiterinnen, sie zu beruhigen, schien nur noch das Gegenteil zu bewirken. Die Tiere schrien, peitschten mit den Schwänzen den Boden und verletzten sich oder ihre Reiter gegenseitig.
Dann erreichte das erste Tier den Rand der Schlucht.
Skar war nicht einmal überrascht, als der scheinbar massive Fels unter dem Gewicht des Drachen nachgab. Das Tier bäumte sich erschrocken auf, griff mit den winzigen Vorderpfoten haltsuchend in die Luft und stürzte in einer Lawine von Sand, zersplitterndem Holz und Geröll zweihundert Fuß tief in die Schlucht. Skar glaubte die Erschütterung bis hier oben zu spüren.
»Diese Falle habe ich gemeint«, sagte er trocken. »Sieh gut hin, Vela«, fuhr er mit beißendem Spott fort. »Du bist noch nie Zeugin einer totaleren Niederlage gewesen.«
Vela fuhr mit einer blitzartigen, wütenden Bewegung herum. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr Gesicht eine verzerrte Maske des Hasses.
Aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt. »Dein Triumph kommt zu früh, Skar«, sagte sie. »Die Schlacht ist noch nicht vorbei.«
»Das stimmt«, antwortete Skar ruhig. »Aber das dort unten ist nicht mehr der Haufen verängstigter Quorrl und feiger Flüchtlinge, den du ins Leben gerufen hast, Laynanya.« Er benutzte absichtlich diesen Namen, und er sah, wie sie bei seinem Klang zusammenzuckte. »Das dort unten ist Del. Du hast ihn immer für ein großes Kind gehalten, und vermutlich ist er das auch noch. Aber er ist auch mein Schüler, Vela. Ich habe ihm alles beigebracht, was ich je wußte, und er war ein sehr gelehriger Schüler. Vielleicht war diese Schlacht hier der erste Fehler, den du begangen hast, aber es war auch dein größter. Du hättest dich niemals auf sie einlassen dürfen.«
»Unsinn«, widersprach Vela. Sie wirkte fahrig. Ihr Blick flackerte. Sie fuhr sich mit einer hektischen, nervösen Geste durch das Haar, drehte mit einem Ruck den Kopf und sah wieder hinab ins Tal. Der südliche Rand der Schlucht war unter einer brodelnden Qualm- und Staubwolke verschwunden, in der es ab und zu weißblau aufleuchtete. Aber Vela wußte so gut wie Skar, daß der Kampf vorbei war. Die Sumpfleute hatten den Kontakt zwischen den Errish und deren Drachen gründlich unterbrochen, und der Lärm und die Schmerzen, die die Reiter ihnen zufügten, ließen die Tiere wieder zu dem werden, was sie ohne ihre Mentalpartnerinnen waren - Ungeheuer, kraftstrotzende, gewaltige Ungeheuer vielleicht, aber keine ernstzunehmenden Gegner mehr für einen Feind, der Gewalt mit List, und Kraft mit Fallen zu beantworten in der Lage war.
Doch Skar wußte auch, daß der wirkliche Kampf noch bevorstand. Die Drachen hatten sich der Schlucht von Süden her genähert, aber der gefährlichere Feind kam aus der anderen Richtung. Noch war von den Hornkriegern keine Spur zu sehen - Velas Zeitplan war gründlich durcheinandergeraten; wahrscheinlich würden noch Minuten vergehen, ehe die stacheligen schwarzen Helme der Dämonen über den Hügeln erschienen. Skar biß sich nervös auf die Lippen. Er kannte Del und wußte, daß der junge Satai immer für eine Überraschung gut war - aber er, Del, hatte so wenig Zeit gehabt. Zwei, vielleicht drei Tage, um aus einem zusammengewürfelten Haufen von Flüchtlingen und halbwilden Quorrl eine Armee zu formen und darüber hinaus einen Plan auszuarbeiten, mit dessen Hilfe er einen Feind schlagen konnte, gegen den noch niemand bestanden hatte. Skar war nicht sicher, ob er selbst dieser Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Aber wenn es außer ihm noch jemand konnte, dann Del.
Skar hielt nach Velas Reiterei Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Ein Teil der Männer war hier oben bei ihnen, die anderen hatten den Befehl, bei den Drachen zu bleiben, um die Flanken zu sichern. Vermutlich waren sie längst aufgerieben, zermalmt zwischen den beiden aufeinanderprallenden Heeren. »Was wird er tun?« fragte Vela. Ihre Faust ballte sich um den Stein. Plötzlich fuhr sie herum, starrte Skar aus geweiteten Augen an und schrie noch einmaclass="underline" »Was wird er tun?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Skar.
»Du weißt es«, zischte Vela. »Du bist ein Satai wie er, ein Krieger. Du weißt es, und du wirst es mir sagen!«
Skar hielt ihrem Blick ruhig stand. »Es würde dir nichts nützen, Vela.«
»Ich werde dich zwingen. Du weißt, daß ich es kann.«
Skar hob instinktiv die freie Linke zur Schläfe. Die winzige Wunde war verheilt, aber er konnte sie noch immer spüren. »Das könntest du«, nickte er, »aber dir fehlt die Zeit. Du wirst zusehen müssen. Ganz egal, was geschieht.«
Eine seltsame Veränderung ging plötzlich mit der Errish vor sich. Gerade war ihr Gesicht noch eine Maske des Hasses gewesen, aber jetzt breitete sich eine eisige, entschlossene Kälte über ihre Züge aus. Skar unterdrückte ein Schaudern. »Nun gut, Skar«, sagte sie. »Ich lasse dir deinen Triumph. Wir werden sehen, wer den Sieg davonträgt.«
Skar sah zum südlichen Rand der Schlucht. Acht, neun zerschmetterte, verdrehte Körper lagen auf dem felsigen Grund des Einschnittes, und das grelle Wetterleuchten hinter den Staubwolken hatte jetzt fast ganz aufgehört. »Du hast schon verloren, Vela«, murmelte er. »Was hier geschehen ist, wird nicht verborgen bleiben. Fünfzig deiner Drachen sind getötet worden. Der Mythos eurer Unbesiegbarkeit ist beseitigt. Du hast deine stärkste Waffe verloren.«
Vela antwortete nicht, aber Skar konnte sehen, wie es hinter der starren Maske ihres Gesichts arbeitete. »Vielleicht hast du recht«, flüsterte sie nach einer Weile. »Aber auch das wird deine Freunde nicht retten.« Ihre Hand schloß sich fester um den Stein, so fest, daß die Knöchel wie kleine runde, weiße Narben hervortraten. Sie warteten. Der Schlachtenlärm hörte nach und nach auf, und die brodelnde Staubwolke über der Schlucht spie die ersten Reiter aus. Sie waren müde, verletzt und blutend, erschöpft bis zum Zusammenbruch - aber siegreich!
Zeit verging - Skar wußte nicht, wievieclass="underline" Sekunden, die sich zu Minuten dehnten. Zuviel Zeit, wie er an Velas Reaktion erkannte. Sie bot alle Kraft auf, äußerlich gelassen zu erscheinen, aber Skar kannte sie zu gut, um sich täuschen zu lassen. Und die Hügel im Norden blieben leer.
Auch die Verteidiger unten im Tal wurden sichtlich unruhig. Die Überlebenden des Reiterheeres kehrten nach und nach in den Schutz der Schlucht zurück. Es waren weniger, als Skar gehofft hatte. Sie mußten im letzten Teil des Kampfes einen hohen Blutzoll für ihren Sieg entrichtet haben. Aber die Hornkrieger kamen nicht. Es war, als hätte die Zeit, die sie ausgespien hatte, sie ebenso plötzlich wieder verschluckt wie einen Alptraum, der sich unter den ersten Strahlen der Sonne in Nichts auflöste.
»Warum gibst du es nicht zu?« fragte Skar schließlich. »Erinnerst du dich an deine eigenen Worte? Es ist keine Schande, von einem solchen Gegner besiegt zu werden.«