»Das Moronischiff ist anscheinend schwer beschädigt worden.« Einige Markierungen auf einem Radarbild verdeutlichten die Bewegungen des diskusförmigen Kampfschiffes. Der Beobachter, ein Mann namens Henderson, folgte der Bahn mit einem Lichtmarker. »Sieht so aus, als ob sie in einer elliptischen Bahn bleiben. In zwanzig Minuten verschwinden sie hinter dem Erdhorizont.«
»Und dann?« fragte Skudder.
»Kommt drauf an. Wenn der Antrieb hin ist, bleiben sie in dieser Umlaufbahn, und nach einem halben Dutzend Umläufen sind sie in der Atmosphäre.« Er deutete mit dem Daumen nach unten.
»Und wenn der Antrieb okay ist?«
»Dann werden sie im Schatten der Erde ihre Bahn drastisch verändern, und wir haben sie in ein, zwei Stunden wieder auf dem Hals.« Henderson zuckte die Achseln. »Zumindest würde ich das so machen.«
Skudder blickte zu Charity.
»Er hat recht«, sagte sie. »Wir sind sie noch nicht los.«
»Wir passieren in elf Minuten die geostationäre Umlaufbahn«, warf Bender ein, der vor der zweiten Bildschirmgruppe saß. HOME RUN bot genug Platz, also hatten sie alle wichtigen Systeme doppelt installiert. Tatsächlich standen ihnen weit mehr Geräte als Menschen zur Verfügung. Von der Mittelachse ausgehend waren eine große und eine kleinere Plattform eingebaut worden. Einige Träger und ein paar aufgespannte Stahltrossen hielten sie an den glatten Innenwänden der Kapsel, aber bei jedem Beschleunigungsmanöver begann die größte Plattform zu schwingen, und während des kurzen Gefechts hatten sie mehrfach das Gleichgewicht verloren. Die meisten Geräte, die Computerbänke, Bildschirme und Kabelverteiler waren an den Plattformen befestigt. Es hatte Wochen gedauert, die Moroni-Schaltpulte mit neuen Geräten zu verbinden, zu ergänzen oder zu ersetzen. Die Bedienungselemente waren eine angsterregende Mischung aus Hebeln und Tastern, die nur mit Zangenhänden korrekt benutzt werden konnten, simplen Computer-Tastaturen und provisorischen Pulten mit Kippschaltern, Schiebereglern und anderen Kontrollen, für die sie nicht einmal einen Namen hatten. Etiketten, größtenteils von Hand beschriftet, klebten überall auf den Pulten. Seit Beginn der Startvorbereitung vor drei Tagen, als Charitys Mannschaft die HOME RUN übernommen hatte, hatten sie immer wieder Schilder versetzt, geändert oder einfach weggeworfen. Die Bewaffnung war eine ähnliche Mischung aus bizarrer Moroni-Technik und robusten Museumsstücken aus NATO-Arsenalen. Die drei Lasersysteme an der Außenhaut waren Beutestücke, und ihre Ansteuerung erfolgt über ein Moroni-Kontrollpult, an dem sie vorsichtshalber keine Änderungen durchgeführt hatten. Zusätzlich waren außen zwölf Raketenbehälter angebracht worden, die zugleich als Abschußrohre dienten. Nur vier wiesen in Richtung Bug, also zur Kapselspitze, und einer der Behälter war leer. Die Raketen wickelten nach dem Start eine Signalleitung ab, die eine weitere Lenkung gestattete. Sie konnten die Raketen starten oder abwerfen, wie sie es während des ersten Gefechts gemacht hatten. Die Raketen waren nicht für die Schwerelosigkeit gebaut worden. Der Feststoff-Treibsatz konnte, war er erst gezündet worden, nicht abgeschaltet werden. Einmal verbraucht, stellten die Geschosse nicht mehr dar als Lenkbomben, und ohne die kleinen Korrekturdüsen drifteten sie wie Minen auf ihrer festgelegten Bahn. Der Antrieb dagegen war ausschließlich Moroni-Technik, während die Lebenserhaltungssysteme von den Menschen stammten. Charity hatte darauf bestanden. Die Moroni-Systeme waren zwar noch vorhanden, aber nicht eingeschaltet, ein wenig vertrauenerweckendes Gebilde, das entfernt an eine überdimensionale Himbeere erinnerte, wobei einige der fleischigen roten Blasen nur faustgroß waren, andere fast einen Meter maßen. Wie einige andere beunruhigende Maschinen, deren Zweck sie nur erraten konnten, war auch diese Maschine zur Luftaufbereitung unter der großen Plattform verschwunden. Eine Luke nahe der Mittelachse gestattete den Zugang in diesen unbeleuchteten Teil der HOME RUN, den sie alle nur den ›Keller‹ nannten. Neben der Luke begann die Leiter, die hinauf zur kleineren Plattform führte, welche bis zu einer der drei transparenten Kuppeln reichte und ›Brücke‹ genannt wurde. »Dreihundertachtzigtausend Kilometer«, sagte Marie Dubois. Die Waffenoffizierin stand in der Nähe des Feuerleitpultes.
»Was ist mit der geostationären Umlaufbahn?« fragte Charity.
»Leergefegt«, versetzte Henderson. »Da draußen ist nichts mehr, was größer wäre als ein Mülleimer.«
»Minen?«
»Möglich.« Die Antwort war wenig ermutigend.
Charity sah zu den sogenannten Mannschaftsquartieren hinüber, kokonartigen Gebilden, die an gepolsterte Schlafsäcke erinnerten und am Rand der großen Plattform aufgestellt worden waren. Die vier Soldaten, zwei Männer und zwei Frauen, hatten sich nach dem Gefecht ein wenig Bewegungsfreiheit verschafft, aber sie blieben in ihrer ›Verpackung‹. Über der Plattform trieben Bruchstücke von Gurten und Halterungen und einzelne Ausrüstungsgegenstände herum, die sich während der heftigen Ausweichmanöver gelöst hatten. Die pulsierenden, blutroten Alarmtafeln an der Unterseite der Brücke verliehen dem Raum ein gespenstisches Aussehen. Sie hatten den akustischen Alarm nach dreißig Sekunden abgeschaltet, weil das infernalische Geheul jedes Wort übertönt hatte. Inzwischen glaubte Charity sogar das Einrasten einzelner Schalter hören zu können. Einer der Ausrüstungsgegenstände war ihre Atemmaske, die sich in einem besonders kritischen Moment losgerissen hatte. Ihre Reflexe waren schlechter geworden, dachte sie mißmutig. Früher wäre ihr so eine Panne nicht passiert.
»Schäden?«
»Das Heckradar ist hin. Die Reserveantenne funktioniert leidlich.« Bender zuckte die Achseln. »Wir haben ein wenig Strahlung abbekommen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob wir in diesem Wirrwarr wirklich feststellen können, weshalb ein System gerade nicht funktioniert.«
»Geschweige, es zu reparieren«, murmelte Skudder.
»Die Ortung ist okay«, erwiderte Henderson beleidigt.
Charity warf ihm einen Blick zu. »Wir bleiben in Bereitschaft«, entschied sie. »Laßt um Himmels willen diesen verdammten Alarm abgeschaltet. Und auch die Innenbeleuchtung.« Sie grinste mürrisch. »Ich traue diesem zusammengeflickten Radar nicht. Und ich weiß nicht, über welche Antiradar-Technologien die Moroni-Schiffe verfügen.«
»Welche Schiffe?« fragte Henderson verwirrt.
»Die, die wir nicht sehen«, erwiderte Dubois mit bestechender Logik.
Charity lächelte der Frau zu. »Schlimmstenfalls sind wir auf unsere Augen angewiesen«, sagte sie. »Vielleicht sind diese verdammten Sichtkuppeln wirklich noch nützlich.«
»Wir könnten ein paar Raketen abwerfen«, sagte Dubois. »Nur ein kleiner Schubs, damit sie ein paar Kilometer seitlich abdriften und uns zweihundert Kilometer vorauseilen.«
»Oder hinterherhinken«, fügte Charity hinzu und dachte an das Verfolgerschiff.
»Genau. Wir lassen sie einfach an unseren Drähten hängen und warten, bis etwas in ihre Nähe kommt, und dann lösen wir aus.«
»Sprengen uns den Weg frei.« Skudder nickte. »Das klingt gut.«
»Alte Indianerlist«, spottete Charity. »Okay. Drei Raketen aus den heckwärtigen Rohren, eine aus dem Bug. Lassen Sie sich Zeit, aber machen Sie es richtig.«
»Kein Problem«, erwiderte Dubois geschäftig. Charity musterte sie nachdenklich. Ohne Dubois' Fähigkeiten mit der kargen Bewaffnung der HOME RUN wäre ihre Rettungsmission bereits innerhalb der Erdatmosphäre rasch und feurig beendet worden.
»Diese Frau legt eine ungesunde Begeisterung an den Tag«, sagte sie leise zu Skudder, als sie zu den Soldaten hinübergingen.
»Feuereifer«, witzelte Skudder, dann wurde er ernst. »Sie zeigt Initiative, das ist alles.«
»Und schießt auf alles, was sich bewegt.« Charity tat den Gedanken mit einem Schulterzucken ab. »Unsere Munition macht mir Sorgen. Das nächste Gefecht wird irgendwo im Vakuum stattfinden. Keine Atmosphärenausläufer, die wir aufheizen können, um uns dahinter zu verstecken. Könnte sein, daß wir nach einer Minute nackt dastehen.«