Sie begannen damit, diesen und die beiden anderen Toten freizulegen. Die Verstrebungen und Kabel konnten ihren Zangen wenig Widerstand entgegensetzen, aber für die Maschinenteile mußten sie Werkzeug benutzten. Diejenigen Krieger, die auf der Erde ausgebrütet worden waren, empfanden vage Verwunderung bei der Erkenntnis, daß sich die Menschen der Moroni-Technologie bedient hatten. Es war beinahe Ironie, daß andererseits menschliche Technologie den Absturz des Lastschiffes bewirkt hatte.
Die Trümmer boten wenig Aufschluß darüber, wie groß die Besatzung des Lastschiffes gewesen war und ob es Überlebende gegeben hatte. Dieser Teil der Moroni-Macht war seit Wochen abgeschnitten gewesen von den Moroni, die auf der Erde zurückgeblieben waren, oder den versprengten Resten der Raumflotte, die der Vernichtung bei der Orbit-Station entgangen waren. Es gab keinen Kontakt mehr dorthin, genauso wie die Gleiter keinen Kontakt zu ihrem Herrn hatten, bis sie wieder zu ihm zurückkehrten. Seit dem Angriff auf die Schwarze Festung hielten sich die Moroni verborgen, und die ungewohnten Anweisungen stürzten die Ameisen-Krieger in zunehmende Verunsicherung, soweit sie von der Erde stammten. Die mondgeborenen Moroni zeigten andere Reaktionen. Keiner von ihnen war zu bewußten Gedanken fähig, denn sie entstammten einem früheren Entwicklungsstadium, das weit davon entfernt war, selbständig handelnde Krieger oder gar Inspektoren hervorzubringen. Ohne erdgeborene Krieger in ihrer Begleitung wären die anderen Ameisen trotz körperlicher Überlegenheit zu keiner sinnvollen Handlung in der Lage gewesen.
Drei Inspektoren begleiteten den kleinen Trupp, und einer von ihnen war den Kriegern in das Wrack gefolgt. Im Gegensatz zu ihnen begriff er in einem Winkel seines zweckgerichteten Verstandes, welcher Gefahr er sich im Sonnenlicht aussetzte, aber gegen die Anweisungen, die ihn leiteten, war er machtlos. In fünfzehn Stunden würden die Gleiter wieder den Rückflug antreten, und bis zu diesem Zeitpunkt würden seine Körperfunktionen nicht erkennbar beeinträchtigt werden. Trotzdem verspürte der Inspektor so etwas wie Angst, nicht um seine eigene Unversehrtheit, sondern angesichts der Erkenntnis, daß die Situation verzweifelt genug war, um sogar ihn und die anderen beiden Inspektoren der Gefahr auszusetzen. Es würde lange Zeit dauern, bis das Moronivolk hier wieder Inspektoren hervorbringen konnte, und solange sie abgeschnitten waren von der Erde und vom Transmitternetz, gab es keinen Ersatz für die wenigen von ihnen, die aus der schwarzen Festung entkommen waren.
Eine stumme Warnung des Unterbewußtseins brachte den Inspektor dazu, sich aus seinen halbbewußten Überlegungen zu lösen. Er schwenkte den mächtigen Kopf und starrte auf zwei Ameisenkrieger, die regungslos zwischen den Trümmerstücken standen. Sie verharrten schon eine Weile dort. Er näherte sich vorsichtig und erkannte an der kräftigen Statur der Ameisen, daß es sich um mondgeborene Krieger handelte, die gebannt auf etwas am Boden vor ihnen starrten. Dann umrundete er den Haufen von Maschinenteilen, der ihm den Blick versperrte.
Die Heftigkeit seiner eigenen Reaktion überraschte den Inspektor noch mehr als der Anblick. Er drängte die beiden Krieger beiseite und beugte sich über das Ei, das in seiner farblos gewordenen, abgestorbenen Hülle zwischen Stahlstangen und Verstrebungen lag. Ein hastiger Blick zeigte ihm, daß noch mindestens zwei weitere Eier zwischen den Trümmern lagen. Seine Klauenhand berührte das Ei, und als er die Bewegung unter der kaltgewordenen Haut spürte, übernahmen uralte, tief verborgene Programme die Kontrolle über seine Handlungen. Die beiden Krieger lösten sich aus ihrer Erstarrung, in die ihr überforderter Verstand verfallen war, und halfen ihm, die Trümmer beiseite zu räumen. Er entdeckte eine zerplatzte Schale, zerquetscht zwischen zwei Energiezellen, und die Schutzreaktion ließ ihn hilflos die Klauen entblößen. Die Zangen schnappten leer zusammen. Weitere Krieger waren aufmerksam geworden und näherten sich, und gleich darauf bargen sie die ersten beiden Eier und trugen sie beiseite.
Während der Inspektor fieberhaft weiterarbeitete, völlig machtlos gegen die Instinkte, die seinen Körper übernommen hatten, reihten sich zusammenhanglos Gedanken aneinander, Überlegungen, wieso sich Moroni-Eier in einem von Menschen geflogenen Lastschiff befinden konnten, ob sie vielleicht auch Ameisen in den Trümmern finden würden oder ob es Jared gewesen waren, in deren Hand sich das Schiff befunden hatte. Und während er ein viertes Ei intakt aus dem spröde gewordenen Gewebe löste, mit dem es geschützt und befestigt worden war, empfand der logische Teil seines Bewußtseins plötzlich eine tiefe Furcht vor dem, was er in den Händen hielt.
7
Die Röhre hatte einen Durchmesser von sechs Metern. Sie begann irgendwo an einem Ende der Welt und endete am anderen Ende, und auf dem Weg dorthin zog sie an einem Bahnsteig in der Nähe der Bauhangars vorbei. Die sechs Magnetschienen an den Wänden wandten sich in einer leicht geschwungenen Linie zum Horizont, was in diesem Fall der Reichweite ihrer Scheinwerfer entsprach.
Die Beschriftung an der Wandseite gegenüber dem Bahnsteig war rätselhaft, aber eindeutig menschlichen Ursprungs. Auf dem ersten Kilometer befanden sich zwischen den Magnetschienen in regelmäßigen Abständen kleine Leuchtröhren, die nach beiden Seiten hin einen Abschnitt der Röhre in ein seltsam mattes Licht tauchten. Keine der Leuchtröhren war defekt oder abgeschaltet, und irgendwie war dieser Umstand beunruhigend.
Die Röhre selbst war luftleer, um den Kabinen weniger Reibungswiderstand entgegenzusetzen. Ein Vakuum war auf dem Mond billig zu haben und leicht herzustellen; man mußte nur hin und wieder ein Loch in die oberirdische Röhre stanzen oder einen Schlauch legen, wenn die Transportröhre unterirdisch verlief. Eine dicke Wand mit Fenstern aus Panzerglas trennte den Bahnsteig vom Röhreninneren, und eine Druckschleuse mit einem Ziehharmonikaschlauch stellte die Verbindung zu den Kabinen her, sofern sich welche auf dem Bahnsteig befanden.
Im Moment war der Bahnsteig leer. Charity hatte nach kurzem Zögern auf die Ruftasten gedrückt, und seitdem warteten sie. Es war immerhin schon fünf Minuten her, und langsam kam sie sich ein wenig lächerlich vor. Der Gedanke, in einer seit sechzig Jahren verlassenen Basis auf einen Zug zu warten, der nicht kam, hatte etwas von einem modernen Theaterstück an sich. Was auf die gesamte Basis zuzutreffen schien, die wie die Kulisse einer gewaltigen, absurden Geisterbahn wirkte. Sie hatten keine weiteren Bomben gefunden, aber zahlreiche Türen, die sich nicht öffnen ließen, während andere sich in unpassenden Momenten von allein schlossen. In einigen Abschnitten war die Luft mit Resten von Wasserstoffgas oder Methan versetzt gewesen. In einem anderen Mischungsverhältnis hätte das zu heftigen Explosionen geführt. Rolltreppen bewegten sich in die falsche Richtung, Laufbänder blieben plötzlich stehen, und hin und wieder fanden sie sich in Räumen wieder, die völlig luftleer waren. Sie hatten es nicht gewagt, die Anzüge zu öffnen. Charity hätte es nicht überrascht, wenn plötzlich Nervengas aus der Belüftungsanlage geströmt wäre oder wenn irgend jemand eine hochaktive Säure in die Sprinkleranlage geleitet hätte.
Sie sah zu Estevez hinüber, die einen Sensor an eine Glasscheibe geheftet hatte, der per Kabel mit ihrem Helm verbunden war. »Irgendeine Bewegung?« fragte sie, vermutlich zum fünften Mal.
»Nichts zu hören«, kam die gleichmütige Antwort.
»Großartig«, sagte Skudder. »Nur gut, daß wir nicht auch den Weg bis zum Mond zu Fuß zurücklegen mußten.«
»Kommt noch«, erwiderte Charity ohne Humor. »Was den Rückweg betrifft, werden wir wohl noch einmal darüber nachdenken müssen.«
Darauf hatte niemand eine Antwort, und die Gesichter wirkten plötzlich noch angespannter. Charity bedauerte ihre Bemerkung. Es hatte wenig Sinn, ihren momentanen Problemen noch zukünftige hinzuzufügen.