Zehn Sekunden lang tobte ein Inferno aus schmelzendem Metall und berstendem Glas, und drei große Flächen des Bahnsteiges verwandelten sich in rauchende Wunden. Harris kam mühsam auf die Beine und hastete los, nutzte die Ladezeit der Kanonen, um sich in Sicherheit zu bringen. Zwei der Laserpulse hatten ihn nur knapp verfehlt. Skudder schob sich über eine Kante hinter ein Laufband, und Dubois löste sich von den zerschmolzenen Überresten der Plastikbehälter, die ihre Deckung gewesen waren. Ihre Stiefel zogen lange, schwarze Fäden, als sie die in der Hitze flüssig gewordenen Bodenplatten hinter sich ließ.
Dann kam die zweite Lasersalve, und das Rolltreppengeländer neben Charity zerplatzte. Die Hitzewelle ließ ihre Anzug-Kontrollen in warnendem Gelb aufleuchten, und eine kleine Leuchtschrift im Display informierte sie darüber, daß der Druckanzug unter allen Umständen sofort einer umfassenden Wartung unterzogen werden müßte. Sie ignorierte die Aufforderung, feuerte zwei Granaten auf die einzige Kanone, deren Standort sie in der Eile hatte erkennen können. Der Laserpuls hatte für einen winzigen Sekundenbruchteil eine glühende Bahn in die dichter werdenden Rauchschwaden geschnitten, die ihr die Richtung angezeigt hatte. Die Geschosse verfehlten die Kanone, die wie eine klobige, schwere Kamera auf einem niedrigen, massiven Dreibein kauerte, halb verborgen in den Resten ihrer Plastiktarnung. Der Doppelschlag der Explosion erschütterte die Aufzugsäulen in der Bahnhofsmitte und verteilte eine riesige Wolke feiner, glitzernder Glassplitter von einer Liftkabine in der Luft. Kabel lösten sich und fielen majestätisch langsam von der Decke herab, während Estevez auf dasselbe Ziel feuerte, trotz der größeren Entfernung mit größerem Erfolg. Die automatische Kanone verschwand in einem Feuerball, der sich schlagartig noch einmal aufhellte, als auch hier die Energiezelle barst. Die Druckwelle riß Charity einfach von den Beinen.
Als sie wieder hochkam, feuerten die beiden anderen Kanonen zum dritten Mal, brachen der Rolltreppe das stählerne Rückgrat und ließen das untere Drittel auseinanderfallen. Splitter wirbelten um Charity herum, während sie auf den Gang mit der Bezeichnung Nord Zwei lief, den Harris und Skudder bereits erreicht hatten. Irgend jemand, vermutete Henderson, schrie über Funk, ein Schrei, der plötzlich abgeschnitten wurde, als sein Funkgerät in einem knisternden Kurzschluß verbrannte. Dubois stand ein paar Meter entfernt, verteilte ihre gesamte Munition über die Plattform, auf der eine der beiden verbliebenen Kanonen stand, und dann feuerte die andere Kanone einen Puls, der Dubois verfehlte und statt dessen eine der Panoramascheiben an der Vakuumröhre traf.
Irgendwie schaffte Charity es, sich an einer der aus dem geborstenen Boden ragenden Trägerstreben festzuhalten. Der Sog riß schmerzhaft an Handgelenk, Ellenbogen und Schultergelenk, und sie spürte, daß ihr das Gelenk fast ausgekugelt worden wäre, und dann prallte irgend etwas, das die entweichende Luft mitgerissen hatte, schwer gegen ihre linke Seite und trieb ihr die Tränen in die Augen. Charity hörte ein hohes, unterirdisches Pfeifen, das sich in Frequenz und Lautstärke immer mehr steigerte, und als es an die Grenze ihres Hörvermögens gelangte und wieder leiser wurde, weil die verbleibende Luft immer dünner wurde, riskierte sie es, den Kopf zu heben. Der Bahnsteig sah aus, als würde er von einer Orkanböe leergefegt. Leere Behälter und Platten aus der Wandverkleidung bewegten sich wie von einem heftigen Wind erfaßt an ihr vorbei, auf die Panoramascheibe zu, die auf voller Länge zerborsten war. Sie hörte die dumpfen, grollenden Schläge, mit denen sich in der Vakuumröhre des Magnetbahnsystems die schweren Druckschotts schlössen, und die weniger lauten Geräusche der zufallenden Sicherheitstüren in den verschiedenen Gängen. Mühsam plagte sie sich auf die Knie. Dubois wankte ein paar Meter vor ihr auf den Gang zu, dessen Doppeltür sich wegen der von der Explosion verbogenen Bodenplatten nur schwerfällig bewegen konnte. Sie sah Henderson auf dem Rücken liegen. Der Druckanzug war brandgeschwärzt und qualmte noch immer. Charity stützte sich auf, aber die Knie gaben unter ihr nach. Sie sah sich vergeblich nach Estevez um, erinnerte sich schließlich daran, daß die Frau nur wenige Meter vor der geborstenen Panoramascheibe gestanden hatte. Sie entdeckte Fetzen des Druckanzuges zwischen den Trümmern der Transportkabine, die unter der Wucht der Explosion aufgerissen worden war. Estevez war so gestorben, wie sie gelebt hatte, unbemerkt und ohne Worte. Charity wandte sich ab und kämpfte die Übelkeit nieder. Der Anblick von Dubois, die inzwischen den Gang erreicht hatte, machte sie wütend, und die Wut verlieh ihr neue Kraft, ließ sie auf die Beine kommen und der allmählich schwächer werdenden Gewalt des Windes widerstehen. Die Wand halbrechts von ihr zerbarst plötzlich wie unter dem Faustschlag eines unsichtbaren Riesen, und sie begriff beiläufig, daß die letzte Kanone noch intakt war. Dann hatte sie die Doppeltür erreicht. Skudder zog sie in den Gang, durch den sich immer rascher schließenden Spalt hindurch.
Auf der anderen Seite fiel sie auf die Knie und rang nach Luft. Ihr Herzschlag übertönte alles andere, löschte jeden Gedanken aus. Irgendwie kam sie wieder auf die Beine, faßte ihr Gewehr mit beiden Händen und stolperte auf Dubois zu, die sie erst im letzten Moment bemerkte. Der Kolben traf die völlig überraschte Frau mitten in den Rücken und ließ sie vorwärts taumeln, wobei sie ihre eigene Waffe verlor, und als sie sich halb herumgedreht hatte, die Hände zur Abwehr gehoben, traf Charity sie ein zweites Mal brutal in den Bauch, bevor jemand sie mit eiserner Kraft an den Oberarmen packte und unnachgiebig festhielt, obwohl sie sich heftig wehrte. Dubois fiel langsam auf den Rücken und stand nicht wieder auf, und nach einer Weile hörte Charity auf, sich zu winden und nach Skudder zu treten. Sie ließ das Gewehr fallen und wehrte sich nicht, als er sie stumm in die Arme schloß. Hinter ihnen schloß sich die Doppeltür mit einem dumpfen Laut, und plötzlich wirkten alle Geräusche wie in Watte gepackt.
8
Stone war ein wenig aus der Übung, was die militärischen Funkzeichensysteme betraf. Daß er auf die Unterstützung der Computer verzichten mußte, hatte die Sache auch nicht gerade erleichtert. Trotzdem hatte er deutliche Fortschritte gemacht. Die vollständige Botschaft war nicht weniger lückenhaft als die kürzere Fassung, die die Jared Captain Laird und ihm überlassen hatten, aber es gab ein paar zusätzliche Informationen.
Nach einer Weile lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und versuchte, die einzelnen Teile des Puzzles zusammenzusetzen. Da war der Satz, der von der Rückseite des Mondes sprach. Diesen Teil kannte er schon. Vom folgenden Satz war nur das Wort Tiefe übriggeblieben.
Der nächste Satz allerdings war von den Jared ganz übergangen worden, und obwohl er auch hier nur ein Wort entziffern konnte, erschien das Interesse der Jared an der Expedition zum Mond in einem völlig neuen Licht.
Shait, hieß es lapidar.
Stone betrachtete die Zeichenfolge am Ende des Satzes. Er konnte ein paar Buchstaben zuordnen, aber er wußte nicht einmal, ob sie zu einem Wort oder zu mehreren gehörten. Es hätte Mitte heißen können oder mittel oder auch ...
»Transmitter«, sagte er entgeistert. »Diese verdammten Halunken.« Und plötzlich hatte er eine ziemlich deutliche Vorstellung davon, wer diese Nachricht geschickt hatte und wie es geschehen war.
»Governor Stone«, sagte eine menschliche Stimme respektvoll. Er blickte hastig zur Tür und erkannte den Umriß eines Mannes.
»Wer sind Sie?« fragte er barsch, um seinen Schreck zu überdecken. In letzter Zeit wurde es anscheinend zur Gewohnheit, daß jeder seine Tür öffnete, wann es ihm paßte.