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In den letzten Vormittagstunden kam der Dampfer westlich von der Mündung des Caura vorüber. Dieser Wasserlauf bildet einen der bedeutendsten Zuflüsse des rechten Ufers, strömt von Südwesten her durch die Gebiete der Panares, Inaos, Arebatos und der Taporitos und bewässert die an Naturschönheiten reichsten Thäler von Venezuela. Die dem Orinoco nahe gelegenen Dörfer sind von gesitteten Mestizen spanischen Ursprungs bevölkert. In den entfernteren siedeln nur wilde Indianer, Viehzüchter, die man Gomeros nennt, weil sie sich auch mit der Einsammlung arzneilich verwendeter Gummiarten beschäftigen.

Jean hatte einen Theil seiner Zeit verwendet, den Bericht seines Landsmanns zu lesen, der bei seiner ersten Reise, 1885, den Orinoco verließ, um die Ilanos des Caura, wo die Stämme der Ariguas und der Quiriquiripas hausen, kennen zu lernen. Die Gefahren, die diesen damals bedroht hatten, waren für Jean, wenn er den Oberlauf des Flusses besuchte, gewiß noch dieselben, wenn nicht heute noch schlimmer. So sehr er aber die Energie und den Muth jenes kühnen Franzosen bewunderte, hoffte er doch nicht minder muthig und energisch zu sein.

Freilich war jener ein Mann in den besten Jahren und er nur ein Jüngling - fast noch ein Kind; doch wenn ihm Gott nur Kraft genug verlieh, den Anstrengungen und Mühen einer solchen Reise zu trotzen, so würde er schon an sein Ziel zu gelangen wissen.

Stromaufwärts von der Mündung des Caura hat der Orinoco immer noch eine erstaunliche Breite - fast von drei Kilometern. Seit drei Monaten schon hatten freilich die Regenzeit und die zahlreichen Nebenflüsse an beiden Ufern, die selbst stark gewachsen waren, zur Anschwellung desselben beigetragen.

Trotzdem mußte der Kapitän des »Simon Bolivar« mit großer Vorsicht manövrieren, um nicht jenseits der Insel Tucuragua, etwa in gleicher Höhe mit dem Rio dieses Namens, auf Untiefen zu gerathen. Dennoch streifte der Dampfer dann und wann den Grund, was an Bord stets eine gewisse Unruhe erregte. Doch wenn sein Rumpf das auch ohne Schaden aushielt, da er wie Küstenfahrer ganz flach gebaut war, so konnte man immer noch fürchten, daß der Antriebsmechanismus entweder durch Bruch von Schaufeln oder durch Störung der Dampfmaschine Havarien erlitte.

Dieses Mal ging es jedoch ohne Unheil ab, und gegen Abend ankerte der »Simon Bolivar« in einer Bucht des rechten Ufers bei der nicht unbedeutenden Ortschaft Las Bonitas.

Viertes Capitel

Erste Annäherung

In Las Bonitas, der officiellen Hauptstadt des zugehörigen Kreises, wohnt der Militärgouverneur über den Caura, d. h. über das von diesem großen Nebenflusse bewässerte Gebiet. Die Ortschaft liegt am rechten Ufer und etwa an derselben Stelle, die in früherer Zeit die spanische Mission Altagracia einnahm. Diese Missionäre sind die wirklichen Eroberer der spanisch-amerikanischen Besitzungen gewesen und sahen es nicht ohne Eifersucht, daß sich auch Engländer, Deutsche und Franzosen darum bemühten, die Indianer des Innern zu bekehren. Noch heute kommt es aus dieser Ursache zu wiederholten Reibungen zwischen den Verbreitern der christlichen Lehre.

Der Militärgouverneur befand sich zur Zeit in Las Bonitas. Mit Herrn Miguel war er persönlich bekannt. Auf die Nachricht von dessen Abreise nach dem oberen Orinoco hin, beeilte er sich, sobald der Dampfer angelegt hatte, an Bord zu kommen.

Herr Miguel stellte dem Gouverneur seine beiden Collegen vor. Zwischen den Herren wurden verschiedene höfliche Redensarten gewechselt. Da der Aufenthalt des »Simon Bolivar« bis ein Uhr Mittags dauern sollte, nahmen die reisenden Gelehrten auch eine Einladung zum Frühstück in der Amtswohnung des hohen Beamten an.

Um ein Uhr Mittags war es noch Zeit genug zur Wiederabfahrt, denn der Dampfer erreichte dann immer noch am Abend Caicara, wo die Passagiere, die nicht nach San-Fernando oder andern Ortschaften der Provinz Apure zu reisen beabsichtigten, das Schiff verlassen sollten.

Am nächsten Tage, dem 15. August, begaben sich die drei Mitglieder der geographischen Gesellschaft also nach der Wohnung des Gouverneurs. Vor ihnen aber - der Sergeant Martial hatte auf den Vorschlag seines Neffen hin »befohlen«, einmal auszusteigen - schlenderten diese Zwei schon durch die Straßen von Las Bonitas.

Ein Flecken in diesem Theile Venezuelas bildet immer nicht viel mehr als ein Dorf mit einer Anzahl Hütten, die unter dem dichten Grün der tropischen Pflanzenwelt zerstreut liegen. Da und dort erheben sich Gruppen prächtiger Bäume als Zeugen der vegetativen Macht des Erdbodens - Chaparos mit gewundenem Stamme, gleich dem der Olivenbäume, Copernicia-Palmen mit in Garben vereinigten Zweigen, von denen die Blattstiele fächerartig herausstehen, MauritiusPalmen, die hier den »Morichal«, d. h. eine Art Sumpf erzeugen, da sie die Eigenschaft haben, das Wasser aus der Erde aufzusaugen und es an ihrem Fuße, aber recht schmutzig erscheinend, wieder austreten zu lassen.

Ferner gab es hier Copayseren, Saurans und riesenhafte, weit verästelte Mimosen, die sich durch die zarte Structur ihrer Blätter und deren blaßrothe schöne Färbung auszeichnen.

Jean und der Sergeant Martial lustwandelten unter diesen Palmenhainen, die von Natur ein regelmäßiges Dreieck bildeten, und durch das vom niedrigen Gebüsch befreite Unterholz, wo elegante Bouquets von »Dormideras« oder Schläferinnen genannten Sensitiven von herrlicher Färbung in großer Menge vorkamen.

Auf diesen Bäumen schaukelten sich oder liefen und sprangen ganze Banden von Affen umher. Von solchen Burschen wimmelt es in ganz Venezuela, wo nicht weniger als sechzehn, zwar recht lärmende, doch völlig harmlose Arten derselben vorkommen, unter andern jene Aluates oder Araguatos mit einer wahrhaft entsetzlichen Stimme, die jeden, der das Thierleben in den tropischen Wäldern noch nicht kennt, zu erschrecken pflegt. Von einem Zweige zum andern hüpfte und flatterte eine ganze geflügelte Welt, darunter Truplais, die ersten Tenöre dieses lustigen Orchesters, die ihr Nest an das Ende einer langen Liane zu hängen lieben, ferner LagunenHähnchen, eine reizende, graziöse Hühnerart, und auch, in Spalten und Löchern versteckt, die Dunkelheit zum Ausfluge abwartend, zahlreiche, pflanzenfressende Guacharos, gewöhnlicher »Teufelchen« genannt, von denen es aussieht, als würden sie von einer Sprungfeder in die Höhe geschnellt, wenn sie sich über die Baumgipfel erheben.

Immer weiter drangen die beiden Lustwandelnden in die Palmendickichte ein.

»Ich hätte doch meine Flinte mitnehmen sollen, meinte der Sergeant Martial.

- Wolltest Du etwa Affen erlegen? fragte Jean.

- Affen?. Nein!. Wenn es hier aber andre und lästigere Thiere gäbe.

- Darüber sei ganz ruhig, lieber Onkel! Man muß sehr weit von bewohnten Stellen weggehen, um gefährlichen Raubthieren zu begegnen; es ist aber nicht ausgeschlossen, daß wir später in die Lage kämen, uns gegen solche vertheidigen zu müssen.

- Das ist ganz gleichgiltig. Ein Soldat soll nie ohne seine Waffe ausgehen, und ich verdiente eigentlich bestraft zu werden.«

Der Sergeant hatte seinen Verstoß gegen die Disciplin diesmal indeß nicht zu beklagen. Die großen und kleinen Katzenarten, die Jaguare, Tiger, Löwen, Ozelote und Wildkatzen, kommen meist nur in den dichten Urwäldern am Oberlaufe des Stromes vor. Dort läuft man gelegentlich auch

Gefahr, auf Bären zu stoßen; diese Plantipeden (Sohlengänger) sind aber sanftmüthiger Natur und leben nur von Fischen und von Honig; wegen vorkommender Faulthiere (Bratypus trydactylus) brauchte man sich aber erst recht keine Sorge zu machen.

Bei ihrem Spaziergange bemerkte der Sergeant Martial auch nur furchtsame Nagethiere, darunter viele Cabiais (eine Art Wasserschweine) und einzelne Pärchen von Chiniguis, die sehr geschickt im Tauchen, doch unbehilflich im Laufen sind.