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»So falsch, wie es Ihnen beliebt, werthe Collegen!«

Dann wendete sich Herr Miguel an den Gouverneur und sagte:

»Hab' ich nicht auch gehört, daß es jenem frommen Pater gelungen sei, eine Mission zu gründen?

- Ganz recht, die Mission Santa-Juana, in der Nähe des Roraima, und sie scheint auch gut zu gedeihen.

- Ein schwieriges Unternehmen, meinte Herr Miguel.

- Vorzüglich, bestätigte der Gouverneur, wo es sich darum handelt, die wildesten der seßhaften Indianer, die in den südlichsten Gebieten hausen, die Guaharibos -beklagenswerthe Geschöpfe, die so tief unter der übrigen Menschheit stehen - zu civilisieren, zum katholischen Glauben zu bekehren, kurz sie von Grund aus umzugestalten. Man vergegenwärtige sich nur, wie viel Muth, Entsagung und Geduld, mit einem Worte: apostolische Tugend dazu gehört, ein solch humanitäres Werk durchzuführen. In den ersten Jahren hörte man gar nichts vom Pater Esperante, und selbst 1888 hatte jener französische Reisende nicht das mindeste über ihn erfahren, obwohl die Mission Santa-Juana gar nicht fern von den Quellen liegt.«

Er hütete sich weislich, hier wieder »des Orinoco« hinzuzusetzen, um keinen Funken ins Pulverfaß zu schleudern.

»Seit zwei Jahren fuhr er fort, drangen jedoch mehrfach Nachrichten von ihm bis San-Fernando und alle bestätigten, daß sein Eifer unter den Guaharibos wahre Wunder bewirkt habe.«

Bis zur Beendigung des Frühstücks drehte sich das Gespräch nur um die Gebiete, die der - kein Streitobject bildende -Mittellauf des Orinoco durchströmt, und um die jetzigen Verhältnisse der Indianer, sowohl derer, die schon »gezähmt« sind, wie derer, die sich jeder geregelten Herrschaft, überhaupt jeder Civilisation entziehen.

Der Gouverneur des Caura theilte eingehende Einzelheiten über alle diese Eingebornen mit, Einzelheiten, von denen Herr Miguel, ein so gelehrter Geograph er auch war, Nutzen ziehen sollte und wirklich Nutzen zog. Kurz, die Unterhaltung artete in keinen weitern Streit aus, da sie den Herren Felipe und Varinas keine geeigneten Angriffspunkte bot.

Gegen Mittag erhoben sich die Gäste der Residenz von der Tafel und begaben sich wieder nach dem »Simon Bolivar«, der um ein Uhr abfahren sollte.

Der Onkel und sein Neffe hatten, seit ihrer Rückkehr zum Almuerzo (Frühstück) an Bord, den Fuß nicht wieder ans Land gesetzt. Vom Hintertheile des Oberdecks, wo der Sergeant Martial sein Pfeifchen rauchte, sahen sie schon von fern her Herrn Miguel und dessen Collegen auf dem Wege zum Schiffe.

Der Gouverneur begleitete sie, da er ihnen noch einmal die Hand drücken und ein letztes Lebewohl sagen wollte, ehe der Dampfer abfuhr. So betrat er diesen mit den Gelehrten und erschien auf dem Spardeck.

Da flüsterte der Sergeant Martial Jean zu:

»Das ist mindestens ein General, der Gouverneur da, obgleich er eine Jacke statt des Waffenrocks, einen Strohhut statt des Dreimasters trägt, und obgleich seine Brust nicht mit Orden geschmückt ist.

- Wohl möglich, lieber Onkel!

- Einer der Generale ohne Soldaten, wie es deren in den amerikanischen Republiken so viele giebt.

- Er hat aber ein recht intelligentes Aussehen, bemerkte der junge Mann.

- Das kann sein; jedenfalls macht er mir mehr den Eindruck eines Neugierigen, erwiderte der Sergeant Martial, denn er beobachtet uns in einer Weise, die mir nicht halb. nein, ganz und gar nicht behagt.«

Wirklich richtete der Gouverneur seine Blicke vorzugsweise auf die beiden Franzosen, von denen beim Frühstück die Rede gewesen war. Ihre Anwesenheit an Bord des »Simon Bolivar«, der tiefere Grund, warum sie diese Reise unternommen hatten, die Frage, ob sie in Caicara bleiben oder, entweder auf dem Apure oder dem Orinoco selbst, noch weiter ins Innere gehen würden, erregte allerdings seine Neugierde. Personen, die den

Strom genauer durchforschen wollen, sind ja gewöhnlich in den besten Jahren, wie die, die vor wenigen Wochen Las Bonitas besuchten und von denen man seit ihrem Aufbruch aus la Urbana keine Nachricht erhalten hatte. Bei dem blutjungen Manne von sechzehn bis siebzehn Jahren und dem wenigstens fünfzigjährigen Soldaten konnte man dagegen kaum voraussetzen, daß sie nur zu einer wissenschaftlichen Reise ausgezogen wären.

Nebenbei bemerkt, hat ein Gouverneur, selbst in Venezuela, gewiß das Recht, sich wegen der Gründe, die ganz Fremde in sein Gebiet führten, zu erkundigen und diese darüber, mindestens officiös, zu befragen.

Der Gouverneur ging also mit Herrn Miguel, den seine in ihren Cabinen beschäftigten Collegen mit dem Regierungsbeamten allein gelassen hatten, einige Schritte nach dem Hintertheile zu.

Der Sergeant Martial durchschaute seine Absicht.

»Achtung! rief er. Der General sacht Fühlung mit dem Feinde, und jedenfalls wird er uns fragen, wer wir sind, warum wir hierher kommen und wohin wir wollen.

- Nun, mein guter Martial, wir haben ja in dieser Beziehung nichts zu verheimlichen, antwortete Jean.

- Ich liebe es aber nicht, daß sich Einer um meine Angelegenheiten bekümmert, und werde ihm den Weg weisen.

- Willst Du uns Schwierigkeiten bereiten, lieber Onkel? sagte der junge Mann, ihn an der Hand zurückhaltend.

- Ich mag nicht, daß jemand mit Dir spricht. mag nicht, daß Einer Dich umschleicht.

- Und ich, ich will nicht, daß Du uns durch Deine Derbheit oder Deine Thorheiten Unannehmlichkeiten zuziehst! entgegnete Jean entschiedenen Tones. Wenn der Gouverneur des Caura eine Frage an mich richtet, werd' ich mich nicht weigern, ihm Rede zu stehen, ja es liegt mir sogar daran, von ihm einige Auskunft zu erbitten.«

Der Sergeant knurrte, passte mächtig aus seiner Pfeife und trat näher an seinen Neffen heran, den der Gouverneur jetzt in spanischer Sprache, die Jean hinlänglich beherrschte, anredete.

»Sie sind ein junger Franzose?.

- Ja, Herr Gouverneur, antwortete Jean, höflich den Hut ziehend.

- Und Ihr Reisegefährte?

- Mein Onkel. ebenfalls ein Franzose, ein verabschiedeter früherer Sergeant.«

Mit der spanischen Sprache sehr wenig vertraut, hatte Martial von diesen Worten doch soviel verstanden, daß von ihm die Rede war. So richtete er sich denn stramm in ganzer Länge auf in der Ueberzeugung, daß ein Sergeant vom 72. Linienregiment doch ebensoviel werth sei, wie ein venezuolanischer General, wenn dieser auch nebenbei Provinzgouverneur wäre.

»Ich glaube nicht indiscret zu sein, mein junger Freund, fuhr der letztere fort, wenn ich frage, ob Ihre Reise noch über Caicara hinausgehen wird?

- Ja. noch darüber hinaus, Herr Gouverneur, bestätigte Jean.

- Auf dem Orinoco oder auf dem Apure?

- Auf dem Orinoco.

- Bis nach San-Fernando de Atabapo?

- Bis zu diesem Orte, Herr Gouverneur, und vielleicht auch noch da drüber hinaus, wenn die Auskünfte, die wir dort zu erlangen hoffen, das nöthig machen.«

Der Gouverneur fühlte sich, ganz wie Herr Miguel, sofort eingenommen für den jungen Mann, der so viele Entschiedenheit zeigte und so klar und bestimmt antwortete, und man erkannte leicht, daß das die aufrichtige Antheilnahme der beiden Herren erweckte.

Grade diese sichtliche Theilnahme wollte der Sergeant Martial aber mit allen Kräften abwehren. Es mißfiel ihm, daß jemand mit seinem Neffen in so nahe Berührung trat, er wollte es nicht leiden, daß Andre, ganz fremde oder nicht, von seiner natürlichen Liebenswürdigkeit gefesselt würden. Am meisten wurmte es ihn, daß Herr Miguel die Gefühle, die er für den jungen Mann hegte, gar nicht zu verbergen suchte. Der Gouverneur des Caura kam weit weniger in Frage, denn der blieb in Las Bonitas zurück; Herr Miguel dagegen mehr als jeder andere Passagier des »Simon Bolivar«, denn er sollte ja bis San-Fernando mit hinausfahren, und hatte er dann mit Jean erst Bekanntschaft angeknüpft mußte es schwierig werden, die Beziehungen wieder zu lösen, die sich zwischen den Theilnehmern einer längeren Reise fast nothwendig entwickeln.