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Warum, möchte man fragen, wollte der Sergeant Martial das verhindern?

Welchen Nachtheil hätte es haben können, daß angesehene Personen, wenn sie sich bei einer niemals ganz gefahrlosen Fahrt auf dem Orinoco hilfswillig zeigten, mit dem Neffen und dem Onkel auf vertrauteren Fuß kamen? Das ist doch einmal der gewöhnliche Verlauf der Dinge.

Ja, und wenn man den Sergeanten Martial gefragt hätte, warum er sich dem widersetzen wollte, würde er doch nur abweisenden Tones geantwortet haben: »Weil mir das nicht behagt!« und man hätte sich schon mit dieser Erklärung zufrieden geben müssen, da ihm doch keine andere zu entlocken gewesen wäre.

Eben jetzt konnte er Seine Excellenz nicht einmal sich »seiner Wege scheeren« heißen und mußte den jungen Mann ganz nach Belieben an dem eingeleiteten Gespräche theilnehmen lassen.

Dem Gouverneur schien viel daran gelegen, Jean über den Zweck seiner Reise auszufragen.

»Sie gehen also nach San-Fernando? sagte er.

- Ja, Herr Gouverneur.

- Und aus welcher Absicht, mein junger Freund?

- Ich hoffe dort einige Auskunft zu erhalten.

- Auskunft?. Auskunft?. Ueber was oder über wen?

- Ueber den Oberst von Kermor.

- Oberst von Kermor? wiederholte der Gouverneur. Diesen Namen höre ich hier zum allerersten Male, und es ist mir nicht zu Ohren gekommen, daß in San-Fernando seit der Durchreise des Herrn Chaffanjon je von einem Franzosen die Rede gewesen wäre.

- Er befand sich dort schon einige Jahre früher, bemerkte der junge Mann.

- Worauf stützt sich Ihre Behauptung? fragte der Gouverneur.

- Auf den letzten Brief des Obersten, der in Frankreich eingetroffen ist, einen Brief, der an einen seiner Freunde in Nantes gerichtet war und als Unterschrift seinen Namen trug.

- Und Sie sagen, liebes Kind, fuhr der Gouverneur fort, daß der Oberst von Kermor vor einigen Jahren in San-Fernando geweilt habe?

- Daran ist kaum zu zweifeln; sein Brief war vom 12. April 1879 datiert.

- Das nimmt mich wunder!

- Warum denn, Herr Gouverneur?

- Weil ich mich zu jener Zeit als Gouverneur selbst in genanntem Orte befand, und wenn ein Fremder, wie der Oberst von Kermor, dort aufgetaucht wäre, würde mir das ohne Zweifel gemeldet worden sein. Ich erinnere mich dessen aber nicht. nicht im geringsten!«

Diese so bestimmte Aussage des Gouverneurs schien auf den jungen Mann einen tiefen Eindruck zu machen. Sein Gesicht, das im Laufe des Gesprächs einen lebhafteren Ausdruck angenommen hatte, verlor die gewöhnliche Färbung. Er erbleichte, seine Augen wurden feucht und er mußte alle Willenskraft zusammennehmen, um sich aufrecht zu erhalten.

»Ich danke Ihnen, Herr Gouverneur, sagte er, ich danke Ihnen für die Theilnahme, die wir, mein Onkel und ich, bei Ihnen finden. So gewiß Sie sich aber auch sein mögen, nie etwas vom Oberst von Kermor gehört zu haben, steht es dennoch fest, daß dieser sich in San-Fernando aufgehalten hat, denn von da aus kam der letzte Brief, den man in Frankreich von ihm erhielt.

- Und was hatte er in San-Fernando vor?« fiel jetzt Herr Miguel mit einer Frage ein, die der Gouverneur noch nicht gestellt hatte.

Sie brachte dem ehrenwerthen Mitgliede der geographischen Gesellschaft einen vernichtenden Blick vom Sergeanten Martial ein, der zwischen den Zähnen murmelte:

»Muß der sich denn auch noch einmischen?. Der Gouverneur. na, meinetwegen, doch dieser Philister.«

Jean zögerte indeß gar nicht, auch dem »Philister« Antwort zu geben.

»Was der Oberst dort beabsichtigte, mein Herr, das weiß ich selbst nicht, das ist ein Geheimniß, das wir enthüllen werden, wenn es Gott gefällt, uns ihn finden zu lassen.

- In welchem Verhältniß stehen Sie zu dem Oberst von Kermor? fragte noch der Gouverneur.

- Er ist mein Vater, erklärte Jean, und ich bin nach Venezuela gekommen, um meinen Vater zu suchen!«

Fünftes Capitel

Die »Mariepare« und die »Gallimtta«

Eine Ortschaft, die sich in dem Winkel eines Stromes hätte ansiedeln wollen würde Caicara um seine Lage beneiden müssen. Es liegt da wie ein Gasthaus an einer Straßenbiegung oder vielmehr an einem Kreuzwege, was sein Emporblühen, selbst vierhundert Kilometer vom Orinoco-Delta, vorzüglich begünstigt hat.

Caicara erfreut sich auch herrlichen Gedeihens, Dank der Nachbarschaft eines großen Nebenflusses, des Apure, der stromaufwärts den Handelsverkehr Columbias und Venezuelas vermittelt.

Der »Simon Bolivar« hatte den Stromhafen erst gegen neun Uhr abends erreicht. Nachdem er Las Bonitas um ein Uhr mittags verlassen, dann nacheinander an dem Rio Cuchivero, am Manipare und an der Insel Taruma vorübergekommen war, hatte er seine Passagiere am Quai von Caicara ans Land gesetzt.

Von den Passagieren natürlich nur die, die der Dampfer nicht auf dem Apure nach San-Fernando oder Nutrias weiter befördern sollte.

Das Geographenkleeblatt, der Sergeant Martial mit Jean von Kermor und eine kleine Anzahl andrer Reisender gehörten zu den letzteren. Am nächsten Morgen sollte der »Simon Bolivar« schon mit Tagesanbruch wieder abgehen, um den bedeutenden Zufluß des Orinoco bis zum Fuße der columbischen Anden hinauszufahren.

Herr Miguel hatte nicht verfehlt, seine beiden Freunde mit dem, was er aus dem Gespräche des Gouverneurs mit dem jungen Manne erfahren hatte, bekannt zu machen. Beide wußten nun also, daß Jean unter dem Schutze des alten Soldaten, des Sergeanten Martial, der sich seinen Onkel nannte, zur Aufsuchung seines Vaters auszog. Vor vierzehn Jahren hatte der Oberst von Kermor Frankreich verlassen und sich nach Venezuela begeben. Aus welchem Grunde er dem Vaterlande den Rücken gekehrt habe und was er in diesem weltfernen Lande treibe, das würde ihnen die Zukunft vielleicht noch entschleiern. Zur Zeit ergab sich nur als gewiß, aus dem von ihm an einen Freund gerichteten Schreiben, -einem Briefe, der erst viele Jahre nach seinem Eintreffen bekannt wurde - daß der Oberst im April 1879 durch San-Fernando gekommen war, als der Gouverneur des Caura damals seinen Sitz in genanntem Orte hatte.

Jean von Kermor unternahm die jetzige gefährliche und beschwerliche Reise also in der Absicht, seinen Vater wieder zu finden. Die Verfolgung eines solchen Zieles durch einen jungen Menschen von siebzehn Jahren war ja geeignet, das Interesse aller gefühlvollen Seelen wachzurufen. Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen sich auch vor, ihm bei allen Bemühungen, die er aufwenden würde, den Oberst von Kermor betreffende Nachrichten zu erhalten, nach Kräften behilflich zu sein.

Nicht zu entscheiden blieb es freilich vorläufig, ob es Herrn Miguel und seinen beiden Collegen gelingen werde, den Widerstand des unzugänglichen Sergeanten Martial zu brechen, ob es diesem passen würde, daß sie mit seinem Neffen nähere Bekanntschaft machten, und ob sie den Triumph erleben würden, das ganz ungerechtfertigte Mißtrauen des alten Soldaten zu besiegen. Ob sich dann wohl seine Cerberusblicke, die jetzt jedermann abstießen, sänftigten? Das mochte schwierig sein, und doch kam es vielleicht dazu, vorzüglich wenn beide Parteien in demselben Fahrzeuge nach San-Fernando fuhren.

Caicara zählt etwa fünfhundert Einwohner und wird von zahlreichen Reisenden besucht, die in Geschäften nach dem Oberlauf des Orinoco wollen. Man findet hier deshalb ein oder zwei Hotels, in Wirklichkeit einfache Hütten, und in einer derselben sollten die drei Venezuolaner einerseits und die beiden Franzosen andrerseits für die wenigen Tage Unterkunft suchen, die sie hier am Orte blieben.

Schon am folgenden Tage, am 16. August, durchstreiften der Sergeant Martial und Jean Caicara, um nach einem passenden Fahrzeug zu spähen.

Caicara ist in der That ein hübscher, freundlicher kleiner Flecken; es liegt hineingeschmiegt zwischen den ersten Hügeln der Bergwelt des Parime und dem rechten Ufer des Stromes, gegenüber dem Dorfe Cabruta, das sich an der andern Seite am Apurito hinstreckt. Im Vordergrunde erblickt man eine der am Orinoco so häufigen, mit schönem Baumwuchs bedeckten Inseln. Sein kleiner Hafen liegt zwischen granitnen Felsenmassen, die steil aus dem Strome emporstreben. Man zählt daselbst hundertfünfzig Hütten, oder sagen wir Häuser, die, meist aus Stein errichtet, ein Dach aus Palmenblättern haben, während nur einzelne Dächer Ziegel aufweisen, deren Roth deutlich durch die grüne Umgebung schimmert. Die Ortschaft wird von einem etwa fünfzig Meter hohen Hügel beherrscht. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein seit dem Zuge Miranda's und seit dem Unabhängigkeitskriege verlassenes Kloster von Missionären, in dem sich in frühester Zeit scheußliche Scenen von Cannibalismus abgespielt haben sollen, was den mit Recht schlechten Ruf begründete, in dem die alten Caraiben standen.