Als er genug hatte, zog der Vampir das lange Schwert aus dem Gürtel auf den Rücken. Nun galt es dafür zu sorgen, daß es keine Rivalen geben würde. Mit einem kräftigen Schlag trennte er dem Ork den Kopf ab und hob ihn auf. Einen Augenblick starrte er seinen toten Gegner an. Nach menschlichen Maßstäben waren sie sehr häßlich. Mit dem dichten schwarzen Haar, das ihnen am ganzen Körper wuchs, und den wuchtigen Hauern, die aus ihren Unterkiefern ragten, sahen Orks fast aus wie zweibeinige Wildschweine. Es ließ sich auch nicht vermeiden, Haare im Mund zu haben, wenn man sie biß. Orks waren wirklich nicht die idealen Opfer für einen Vampir. Ein Orkvampir würde aus diesem Kerl jedenfalls nicht werden, dachte Zerwas und schleuderte in hohem Bogen den abgetrennten Kopf in den Fluß.
Vorsichtig blickte der nackte Vampir durch die angelehnte Tür ins Innere des Torhauses. Drei Orks saßen beieinander, erzählten sich Jagdgeschichten und tranken dabei. Über eine große Winde konnte hier ein Fallgitter herabgelassen werden, um den Torbogen gegen Angreifer zu schützen.
Wenn er die Kette auf der Winde mit einem wuchtigen Hieb durchtrennte, würde das Gitter herabstürzen. Wie der Mechanismus zu blockieren war, konnte er nicht erkennen. Er mußte also die Kammer besetzen und verhindern, daß die Orks sie zurückerobern konnten, bevor die Rebellen den inneren Burghof gestürmt hatten. Weil das Tor so leicht zu blockieren war, hatte man darauf verzichtet, auch die schweren Torflügel zu verschließen.
Wieder musterte der Vampir die Orks. Einer von ihnen hatte sein strähniges Haar zu federgeschmückten Zöpfen zusammengeflochten. Er wirkte muskulös und gewandt. Auf diesen Krieger würde er aufpassen müssen! Prüfend wog Zerwas sein Schwert in der Hand. Eine prächtige Waffe aus einem dunklen, fast schwarzen Metall. Die Klinge war geflammt, und die Enden der vergoldeten Parierstange zeigten zwei Drachenköpfe. Das fast anderthalb Schritt lange Schwert war so ausbalanciert, daß man es sowohl mit einer als auch mit beiden Händen führen konnte. Im engen Wachraum würde er aufpassen müssen, um nicht ausmanövriert zu werden. Eine so große Waffe war hier von Nachteil. Trotzdem war es an der Zeit, ›Seulaslintan‹ Blut kosten zu lassen. Zerwas meinte zu spüren, wie sich die Klinge vor Begierde zu töten und die Seelen der Opfer zu verschlingen, regelrecht in seinen Händen wand. Mit einem Krachen trat der Vampir die Tür auf und stand im Wachraum. Erschreckt starrten die Orks ihn an. Dann griffen sie nach ihren Waffen, doch für den ersten war es bereits zu spät. Mit einem tödlichen Pfeifen schnitt ›Seulaslintan‹ durch die Luft und fuhr dem vordersten Ork, noch während er aufsprang, tief in den Leib. Zerwas trat ihm in den Rücken und riß die Klinge aus dem toten Gegner. Die beiden anderen schrien mittlerweile nach Leibeskräften Alarm. Der Tisch, an dem sie eben noch zusammengesessen hatten, stand nun zwischen ihnen und dem Vampir. Der Ork mit den Zöpfen gab seinem Kameraden ein Zeichen. Sie würden versuchen, ihn von beiden Seiten gleichzeitig anzugreifen, dachte Zerwas und ließ seine Klinge hin- und herpendeln, um mal den einen und dann den anderen zu bedrohen. Mit einem Kampfschrei griffen beide gleichzeitig an.
Zerwas sprang auf den Tisch und hieb im nächsten Augenblick dem einen Ork die Waffe aus der Hand. Mit einem raschen Blick über die Schulter, erkannte er, wie der Krieger mit den Zöpfen mit seiner Axt ausholte, um ihn von den Beinen zu holen. Zerwas machte einen halsbrecherischen Sprung nach vorne, warf das schwere Schwert so nach oben, daß es mit der Spitze in einem der Deckenbalken stecken blieb und landete auf der anderen Seite des Tisches. Krachend fuhr die Axt seines Gegners in die Tischplatte.
Doch schon war der zweite Ork wieder um den Tisch herum und bedrohte Zerwas mit dem Schwert, das er mittlerweile wieder aufgehoben hatte.
Der Vampir zog seine immer noch zitternde Waffe aus dem Deckenbalken und hielt den Gegner auf Abstand. Auch der Zopfträger hatte seine Waffe wieder befreit und suchte nach einer Lücke in der Deckung des Vampirs. Wieder riefen beide Orks lauthals Alarm. Vom anderen Hof waren ein lautes Kettenrasseln und ein dumpfer Aufschlag zu hören. Die anderen Rebellen mußten das Haupttor gestürmt und die Zugbrücke herabgelassen haben.
Kurz blickten die beiden Orks sich erschreckt an, Zerwas nutzte die Gelegenheit. Mit einem Schrei stürzte er vor, holte mit der Klinge aus und führte einen Schlag von der Seite. Sein Gegner versuchte, das Schwert zur Deckung zu heben, doch die Wucht des Schlages riß ihm den Arm zur Seite. Mit einem knirschenden Geräusch glitt ihm das große Schwert zwischen die Rippen und schnitt durch Fleisch und Knochen. Der Ork war nicht einmal in der Lage zu schreien. Den entsetzten Blick auf die Klinge geheftet, ging er langsam in die Knie. Schon auf der Schwelle zum Tod, schien er zu begreifen, was ›Seulaslintan‹ ihm antat, schien zu ahnen, daß er nicht allein sein Leben verlor, sondern auch das Unsterbliche, das mit schwacher Flamme in jeder Kreatur leuchtete. Entsetzt riß er den Mund auf, griff mit den Händen nach der dunklen Klinge, um sie aus der tödlichen Wunde zu ziehen, und fiel dann kraftlos in sich zusammen.
Wie vom Blick einer Schlange gebannt, hatte der Ork mit den federgeschmückten Zöpfen den Tod seines Freundes beobachtet. Nun wich er vorsichtig vor Zerwas zurück. Der Vampir konnte sehen, wie seinem Gegner der Angstschweiß auf der Stirn stand. Immer darauf bedacht, mindestens einen Schritt Abstand zu halten, wich er weiter nach hinten zurück. Erst jetzt erkannte der Vampir, daß er seinen Gegner unterschätzt hatte. Er stand unmittelbar vor der Winde, über die die Kette des Fallgitters lief. Nur noch einen oder zwei Schritte und der Ork könnte den Hebel lösen, mit dem die Winde gesichert war.
Zerwas fluchte und ließ sein Schwert fallen. Völlig verblüfft starrte der Ork ihn an. Mit dem Fuß stieß der Vampir die Waffe in eine Ecke des Raums. Es klappte! Sein Gegner hatte die Winde vergessen. Weit mit der Axt ausholend, stürzte er auf ihn zu. Geschickt wich Zerwas zur Seite aus, konnte aber nicht verhindern, daß der Ork im letzten Moment die Richtung änderte und ihn mit der Axt streifte. Für einen Augenblick klaffte ein langer, schmerzender Schnitt in seinem Arm, doch dann begann die Wunde, sich langsam zu schließen. Sein Gegner bemerkte dies im Eifer des Gefechtes nicht. Erneut holte er mit der Waffe aus, um dem Vampir diesmal den Schädel zu spalten, doch Zerwas sprang vor und rammte dem Ork seinen Kopf in den Magen. Beide kippten nach vorne. Mit eisernem Griff versuchte der Vampir seinem Gegner die Axt zu entwinden. Der Ork war zwar bedeutend schwächer, doch sehr geschickt. Es gelang ihm, seinen Arm frei zu bekommen und die Axt wegzuschleudern.