Zerwas versuchte, ihn nun zu erwürgen. Verzweifelt wehrte sich der Ork mit der linken Hand, während er mit der rechten nach seinem Gürtel tastete, um an sein Messer zu gelangen. Mit letzter Kraft gelang es ihm, dem Vampir die Klinge in den Unterleib zu treiben. Mit lautem Aufschrei warf sich Zerwas nach hinten, kam schwankend auf die Beine und griff nach dem Messer in seinem Bauch. Die Klinge schmerzte höllisch, doch er wußte, daß eine solche Wunde ihn nicht töten konnte. Mit vor Schmerzen verkrampfter Hand griff er nach dem Heft des Dolches und riß sich die Waffe aus der Wunde. Dann mußte er sich auf die Kante des Tisches stützen. Ein breiter Strahl Blut quoll aus seinem Leib. Für einen Augenblick konnte er seinen Feind nur verschwommen sehen. Der Ork bückte sich nach der Axt und ließ ihn nicht aus den Augen, schien aber damit zu rechnen, daß er jeden Moment zusammenbrechen würde. Dann hörte die Wunde auf zu bluten, und der Schmerz ließ nach. Zerwas faßte den Dolch fester, fixierte seinen Gegner, der langsam mit erhobener Axt näher kam, um dann in fließender Bewegung den Dolch zu werfen. Für jedes Ausweichen war es zu spät. Die Klinge drang tief in die Brust des Orks ein, der entsetzt rückwärts taumelte. Fassungslos starrte er Zerwas an, der sich umdrehte, um sein Schwert aufzuheben. Als er die Klinge in den Händen hielt, aber waren Schritte vom Wehrgang zu hören. Kampflärm klang vom vorderen Hof der Garnison. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Rebellen auch das zweite Tor stürmten. Er mußte nicht mehr lange durchhalten! Das Schwert ließ ihn die Schmerzen vergessen. Auch hatten sich beide Wunden bereits vollständig geschlossen, und Zerwas fühlte sich nur etwas geschwächt. Mit zwei schnellen Schritten stand er neben der Tür zum Wehrgang. Dem ersten, der die Tür passieren wollte, hieb er ›Seulaslintan‹ in den Leib, so daß sich eine tiefe, klaffende Wunde über dessen Brust zog und der Ork schreiend in die Arme seiner Kameraden zurücktaumelte. Mittlerweile war auch Lärm von der gegenüberliegenden Tür zu hören. Krachend flog sie auf; mehrere Gestalten zeichneten sich im Türrahmen ab. Es wurde ernst!
Nun gut, dachte Zerwas, er hatte es ja nicht anders gewollt. Mit einem Schrei stürmte er zur gegenüberliegenden Tür und ließ sein Schwert über dem Kopf kreisen. Dem ersten Gegner hieb er mit einem glatten Schlag durch den Hals den Schädel vom Kopf. Doch die anderen drängten nach. Der Tote wurde in den Raum geschoben und fiel zur Seite. Die Orks hinter ihm waren mit Schwertern oder Speeren bewaffnet. Auch in seinem Rücken hörte Zerwas die Gegner näher kommen. Wieder ließ er das Schwert tödliche Kreise über seinem Kopf ziehen. Die Orks achteten sorgsam darauf, außerhalb der Reichweite der tödlichen Waffe zu bleiben. Von hinten traf ihn ein Speer in den Rücken. Zerwas zuckte herum, aber nur um im selben Augenblick von der Seite einen Schwerthieb in den Arm zu erhalten. Er mußte den tödlichen Kreis der Gegner durchbrechen. Blindlings stürmte er vorwärts und hieb dem Ork vor ihm mit einem Schlag den Speer entzwei, um ihm dann eine schwere Armwunde beizubringen.
Plötzlich ließ ein metallisches Rasseln den Raum erbeben. Zerwas blickte zur Winde des Fallgitters und sah die Kette ablaufen. Tödlich verletzt, hatte sich der Ork mit den Zöpfen gegen den Hebel des Sperrmechanismus geworfen und die Kette gelöst. Mit einem dumpfen Schlag hörte er das Gitter zu seinen Füßen auf den Torboden fallen. Vom Hof erklang lautes Fluchen. Die Orks ließen sich indessen nicht aus der Ruhe bringen. Wieder riß der Vampir das Schwert hoch und zog seine tödlichen Kreise. Einer der Orks wurde von der Klinge wie von einem schwarzen Blitz im Gesicht getroffen und stürzte gurgelnd nach hinten. Ein weiterer rammte Zerwas einen Speer in den Rücken, so daß die Spitze ihm zur Brust heraustrat. Darauf traten alle Gegner ein Stück zurück, um ihn sterben zu sehen. Die Schmerzen waren so entsetzlich, daß sie nicht einmal durch die magischen Kräfte ›Seulaslintans‹ völlig aufgehoben werden konnten.
Zerwas mußte den Speer aus der Wunde ziehen, sonst würde sie nicht heilen und der Blutverlust würde ihn immer mehr schwächen. Mit dem gehetzten Blick eines Tieres blickte der Vampir in die Runde. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Etwas stimmte nicht! Der Geruch von schwelendem Fleisch stieg ihm in die Nase. Der Schaft des Speeres! Er mußte aus Eschenholz sein!
Der Vampir würde an dieser Wunde sterben, wenn nicht schnell etwas geschah. Langsam verließen ihn die Kräfte. Mit einem letzten Aufbäumen warf er sich gegen die Rückwand des Wachraums. Der Aufschlag trieb den Speer noch tiefer in die Wunde. Die Spitze ragte nun auf Armeslänge aus seiner Brust; langsam ging er in die Knie. Wirbelnde Lichtkreise zuckten vor seinen Augen. Er ließ das Schwert fallen. Die Schmerzen nahmen jetzt, wo ihm die magischen Kräfte der Waffe fehlten, ein schier unerträgliches Maß an.
Gebannt starrten die Orks zu Zerwas hinüber, während er mit beiden Händen das Stück des Speerschaftes umklammerte, das aus seiner Brust ragte. Das Holz brannte wie glühendes Eisen in seinen Handflächen. Dann riß er an der Waffe. Mit einem Ruck konnte er den Speerschaft ein Stück weiter herausziehen. Einer der Orks kam mit erhobenem Schwert auf ihn zu, er wollte seinem Leiden ein Ende machen. Plötzlich blieb der Ork wie gebannt stehen. Zerwas blickte auf seine Hände. Sie begannen sich zu verwandeln. Er war dabei, jegliche Kontrolle über seinen Körper zu verlieren. Er fauchte die Orks an und entblößte dabei seine Fangzähne. Erschrocken wichen sie zurück. Dann zog der Vampir noch einmal mit aller Kraft an dem Speer. Endlich. glitt die Waffe ganz aus der Wunde. Ein Schwall Blut quoll hervor und Zerwas spürte, wie ihm Blut in den Mund schoß. Er mußte an sein Schwert gelangen, oder er würde sterben. Sterben! Er hatte es für unmöglich gehalten. Das wäre ihm niemals geschehen, wenn nicht dieser verfluchte Speerschaft gewesen wäre. Normale Waffen konnten ihn nicht töten! Er war ein Vampir! Ein Erzvampir! Ein Fürst der Nacht! Er spürte, wie er sich wieder in einen Menschen zurückverwandelte. Ein schlechtes Zeichen! Der Tod war ihm nahe. Er hörte ein Geräusch wie von mächtigen Flügeln. Zerwas kippte nach vorn und fiel auf sein Schwert. Ganz langsam spürte er seine Kräfte zurückkehren. Er vernahm Lärm von den Mauern rechts und links des Torhauses. Er sah, wie sich die Füße der Orks zu den Türen des Wachraums bewegten. Der Vampir rollte sich auf die Seite. Im Türrahmen vor ihm kämpfte ein großer Mann mit einem schweren Hammer. Darrag! Alles schien so weit weg zu sein. Wie in unendlicher Ferne sah er den Schädel des Orks unter einem Hammerschlag des Schmiedes platzen. Dann stand Darrag vor ihm, kniete sich nieder und strich ihm über den Kopf. »Du brauchst nicht mehr zu kämpfen. Wir haben gewonnen! Die Orks sind besiegt. Sie waren so sehr mit dir beschäftigt, daß sie uns nicht einmal daran hinderten, an Seilen über die Mauer zu klettern, als das Fallgitter heruntergestürzt war. Du bist ein Held.« Mit diesen Worten wand er ihm sanft das schwarze Schwert aus der Hand, das der Vampir noch immer umkrampfte. Er wollte aufschreien, doch wie schwarze Wellen rissen ihn die Schmerzen fort aus dieser Welt, und Zerwas sank in Ohnmacht.
Zerwas wurde von einem unerträglichen Brennen wach. Er lag im hellen Sonnenlicht auf dem Burghof. Neben ihm in langer Reihe die anderen Verwundeten der letzten Nacht. Das Schwert hatte wohl Darrag hinter dem Vampir an die Burgmauer gelehnt. Er mußte hier weg. Die Sonne würde ihn zwar nicht töten, aber weiter schwächen. Mühsam versuchte Zerwas sich aufzurichten. Er hatte nicht die Kraft, alleine zu stehen. Er mußte sein Schwert in die Hände bekommen, dann würde alles besser werden. So war es bisher jedenfalls immer gewesen. Zerwas musterte seinen Körper. Überall, wo er nicht bedeckt gewesen war, hatte sich seine Haut rot verfärbt, so wie bei einem Menschen, der im Hochsommer stundenlang der Sonne ausgesetzt war. Nur war jetzt nicht Sommer! Der Vampir sammelte alle Kräfte, um nach dem Schwert hinter sich zu langen. Wie lächerlich. Schon dazu hatte er kaum die Kraft. Mühsam näherte er seine Hand Zoll um Zoll der Klinge. Dann konnte er sie endlich mit ausgestreckten Fingern berühren. Sofort spürte er, wie neue Kraft in seinen Körper flöß. Er konnte ›Seulaslintan‹ jetzt umklammern und zu sich herüberziehen.