»Gamba, einen so hinterhältigen Halunken wie dich habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht getroffen. Ich glaube, Männer wie dich kann nur die menschliche Rasse hervorbringen.«
»Du schmeichelst mir! Und falls du dir Sorgen machst, daß diese Kriegerin der rächenden Hand Tairachs entgeht, kann ich dich trösten. Das wird nicht geschehen. Auch mit dem Tod, den ich ihr zugedacht habe, wird sie noch einmal Angst und Schrecken unter den Greifenfurtern verbreiten.«
5
»Herr Oberst, Herr Oberst! Aufwachen!« Wieder hämmerte die Wache mit der Faust gegen die schwere Eichentür. Schlaftrunken rieb sich Marcian die Augen. In seinem Arm lag Cindira. Lancorian, dem alten Zweifler, war es doch noch gelungen, ihr das Leben zu retten. Er hatte seine ganze Kraft in das Mädchen fließen lassen, hatte versucht, ihr auf magische Weise das Blut wieder zu ersetzen, das sie verloren hatte. Später hatte der Zauberer ihm erzählt, wie er selbst dabei die Kälte des Todes zu spüren bekam. Boron, der Herrscher über Leben und Tod, duldete nicht, wenn ihm Sterbliche ins Handwerk pfuschten. Und Lancorian hatte nach dieser Heilung selbst lange gebraucht, um wieder zu Kräften zukommen.
Rein äußerlich war Cindira völlig wiederhergestellt. Nicht einmal eine Narbe war auf ihrer Schulter zurückgeblieben; nur kam sie Marcian jetzt etwas stiller und in sich gekehrter vor. Aber er mochte sich auch irren. Schließlich kannte er das Mädchen ja kaum.
Ein erneutes Klopfen an der Tür riß Marcian aus seinen Gedanken. Vorsichtig befreite er sich aus der Umklammerung des schlafenden Mädchens, nahm ein Bettlaken und ging zur Tür. Dort erwartete ihn ein aufgeregter Wachposten. »Herr, ihr müßt sofort mit mir in den Palas kommen. Wir haben endlich Nachricht vom kaiserlichen Heer. Dort wartet eine Baronin, die sich zu uns durchschlagen konnte.«
Einen Augenblick starrte Marcian den Mann fassungslos an. Er konnte nicht glauben, daß es jemanden gab, der sich während der Namenlosen Tage durch die Reihen der Orks schlagen würde. Er selbst hatte für diese fünf Tage jede Operation verboten, denn nichts, was man in dieser Zeit unternahm, konnte zum Guten geraten. Die Macht des Bösen regierte, und jeder vernünftige Mensch verbarrikadierte sich in seinen vier Wänden und betete. Er hatte sich zwar auf andere Weise vergnügt, doch dabei sorgsam darauf geachtet, kein Kind mit Cindira zu zeugen. Was immer in den Tagen zwischen den Monaten Rahja und Praios gezeugt oder geboren wurde, hatte eine finstere Seele. Und ausgerechnet jetzt schaffte es ein Bote, nach Greifenfurt durchzukommen, wo seit Wochen jede Verbindung zum Prinzen abgebrochen war?
»Geh! Und hole die anderen Anführer. Ich ziehe mich um und komme gleich!« befahl Marcian der Wache.
»Die anderen sind schon unterrichtet und wahrscheinlich schon auf dem Weg.«
»Gut, Mann, dann geh auf deinen Posten zurück.« Ohne die Wache noch eines Blickes zu würdigen, lief Marcian in seine Turmkammer zurück, um sich hastig anzukleiden.
Als Marcian im Festsaal des Palas ankam, waren die anderen Anführer schon versammelt. Lysandra die Amazone, Oberst von Blautann, sowie Darrag der Schmied und Zerwas der Henker, die von den Greifenfurter Bürgern zu Milizkommandanten gewählt worden waren. Unter ihnen saß eine Frau. Sie war verletzt und machte den Eindruck, daß sie sich nur noch mit letzter Kraft aufrecht halten konnte.
Der junge Reiteroberst war der erste, der sprach: »Der Prinz ist tot.« Die Worte trafen Marcian wie ein Schlag ins Gesicht. »Das kann nicht sein! Das glaube ich nicht. Das ist ein Trick der Orks! Was glaubt ihr, warum ausgerechnet ein Bote mit so schlechten Nachrichten zu uns durchkommt? Das ist ein Trick, und ihr fallt wie die Idioten darauf herein!«
Wieder war es Oberst von Blautann, der ihm antwortete: »Diese Frau ist über jeden Zweifel erhaben. Das ist die Baronin Ira von Seewiesen, Hauptfrau in der kaiserlichen Armee und seit der Schlacht um Gareth Mitglied der kaiserlichen Leibgarde. Ihre Loyalität steht außer Frage. Außerdem ist sie keine Botin. Sie ist den Orks entkommen. Sieh sie doch nur an! Es ist ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebt. Vor einigen Tagen ist sie bei einem Scharmützel mit den Orks in Gefangenschaft geraten. In demselben Gefecht hat sie auch den Prinzen sterben sehen.«
»Und wenn sie Feldmarschall Haffax persönlich wäre! Ich glaube nicht, daß der Prinz tot ist! Das können die Götter nicht zulassen! Holt Lancorian aus seinem Bett! Ich möchte, daß er ihre Gedanken liest. Einen Magier kann man nicht belügen. Vorher glaube ich ihr kein Wort.« »Ihr beleidigt mich.« Obwohl die verletzte Baronin sich nur zitternd auf ihrem Stuhl halten konnte, versuchte sie sich zu erheben. Doch mit einem Seufzer sank sie in den Sessel vor dem großen Kamin zurück. »Wenn ich nicht so schwach wäre, würde ich auf der Stelle Satisfaktion von euch fordern.«
Dieser lächerliche Ehrenkodex des Offizierskorps. Die Besten waren ständig darauf versessen, sich gegenseitig umzubringen. Argwöhnisch musterte Marcian die Frau. Sie mochte wirklich den Rang bekleiden, den Alrik von Blautann angegeben hatte. Ihr Körper war durchtrainiert, der Schwertarm muskulöser als der linke Arm, an dem sie im Kampf den Schild trug. Wie schwer sie verletzt war, konnte Marcian schlecht einschätzen. Sie sah nicht besser als diejenigen aus, die bei der hochnotpeinlichen Befragung der Inquisition lange Widerstand leisteten. Ihr Gesicht war von Schlägen entstellt, ihre Augenlider so angeschwollen, daß sie kaum noch sehen konnte. Die Nase war gebrochen und das Haar von Blut verklebt. An den Armen hatte man ihr mit Messern Hunderte von kleinen Schnitten beigebracht. Was man ihr sonst noch angetan haben mochte, konnte Marcian nur ahnen. Sie hatte sich eng in einen dunklen Umhang geschlungen, den ihr wohl einer der Wachposten überlassen hatte. Alle Soldatinnen, die er kannte, hätten sich lieber selbst umgebracht, statt lebend in die Hände der Orks zu fallen. Hinter der Kriegerin stand jetzt Lysandra. Sie hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt und wirkte auf eine Weise mitfühlend, die über bloße Betroffenheit weit hinausging. So viel Sensibilität hätte er der Amazone nie zugetraut. Marcian wandte sich um und ging zur Wache an der Tür. Leise flüsterte er dem Mann zu, dem ersten Boten zu Lancorian zu folgen und dafür zu sorgen, daß der Magier auch Kräuter und Verbandszeug mitbrachte. Dem zweiten Türwächter trug er auf, Wasser und Wein zu holen. Dann wandte Marcian sich wieder um. »Laßt uns in Ruhe miteinander reden. Ein kühler Trunk wird uns allen dabei gut tun. Diese Nachricht ist zu wichtig, um sie einfach ungeprüft zu glauben. Ich hoffe, Ihr könnt mir mein Mißtrauen verzeihen, Baronin.«
Die Kriegerin gab keine Antwort. Statt dessen starrte Lysandra den Inquisitor an.
»Vielleicht könnt Ihr mir selbst erklären, auf welch verschlungenen Wegen Ihr durch die Linien der Orks bis nach Greifenfurt gekommen seid.« Marcian blickte die Baronin herausfordernd an.
Stolz straffte sich die Frau, lehnte den Kopf an den lederbezogenen Rücken des Sessels und schaute Marcian fest ins Gesicht. Langsam und stockend trug sie ihre Geschichte vor:
»Es war am 26. Tag des Monats Rahja, als Prinz Brin, nur begleitet von seiner Leibwache, aufbrach, um eine Stellung des Zweiten Garether Freiwilligenregiments am Nordrand des Reichsforstes rund fünfzig Meilen von hier zu inspizieren. Kurz bevor wir das Lager erreichten, gerieten wir auf einer Lichtung in einen Hinterhalt. Bogenschützen der Orks hatten sich im Dickicht versteckt. Mit einigen der Leibwächter galoppierte ich auf die heimtückischen Schützen zu. Der Prinz blieb ein wenig zurück. Doch kaum hatten wir die Schwarzpelze erreicht, wurde Lärm vom anderen Ende der Lichtung laut. Ein zweiter Trupp Orks brach hervor. Ich sah, wie der Prinz von seinem Pferd stürzte und den Feinden fast vor die Füße fiel. Ich versuchte, mein Pferd herumzureißen. Dann traf mich irgend etwas am Kopf. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie Prinz Brin von Orks mit blitzenden Klingen umgeben war. Hinter ihm holte einer mit seiner Axt aus, um ihm die Waffe in den ungeschützten Rücken zu treiben. Alle Leibwächter waren zu weit fort, um Brin noch beizustehen. Ich wollte ihn warnen, doch in diesem Augenblick traf mich selbst ein schwerer Schlag. Dann erinnere ich mich für lange Zeit an gar nichts mehr.«