Unbehaglich blickte sich Sharraz im Zelt des Druiden um und betrachtete die Tierschädel, die an den Zeltstangen aufgehängt waren. Schädel von Wesen, wie er sie als Jäger noch nie getroffen hatte. Schädel mit gewundenen Hornern oder mit den Reißzähnen von Raubtieren. Speere und ein Schild lehnten an der Rückwand. Ein großer kupferner Kessel stand davor. Auf den Boden aus gestampfter Erde hatte Gamba verschlungene Zeichen gemalt. Einen Stern mit sieben Zacken. Daneben einen Kreis, in dessen Mitte er stand, und viele Symbole, die Sharraz nicht erkennen konnte. Stern und Kreis waren von einem zweiten großen Kreis umgeben. Vor den Druiden steckten zehn schwarze Pfeile im Boden. Gamba hatte sich mit Amuletten behängt und trug wieder sein Bärenfell. Obwohl es draußen heiß und staubig war, herrschte im Zelt eine beinahe schon angenehme Kälte. Eine Gänsehaut kroch Sharraz über die nackten Arme, und seine Haare stellten sich wie kleine schwarze Borsten auf.
»Du wirst gleich ein wenig Mut brauchen, Sharraz. Für einen Krieger wie dich ist das doch kein Problem, oder? Nun, was immer auch passiert, berühre auf keinen Fall die Zeichen auf dem Boden! Selbst dann nicht, wenn ich dich gleich darum bitten sollte! Hast du das verstanden?«
Der Ork nickte. »Was soll das, Gamba? Was für ein Spiel treibst du mit mir?«
»Setz dich hin und sieh!« Der Druide begann seinen Oberkörper hin und her zu wiegen und unverständliche Worte zu flüstern. Immer und immer wieder murmelte Gamba dieselben Worte, dann schrie er einzelne Silben, um bald wieder in einen Flüsterton zu fallen.
Plötzlich war er still. Sharraz hatte den Eindruck, daß es dunkler im Zelt geworden war. Die wenigen Kerzen waren kurz vor dem Verlöschen. Es wurde noch kälter. Sharraz fühlte sich aus der Dunkelheit heraus beobachtet. Er wollte sich erheben und gehen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Minuten zogen sich ins Unendliche. Der Druide stand völlig bewegungslos, den Kopf in den Nacken gelegt. Eine Windbö ließ das Zelt erbeben. Ganz in der Nähe schlug ein Blitz ein. Der Boden erzitterte, und Sharraz konnte aufgeregtes Rufen aus dem Lager hören. In dem Stern mit den sieben Zacken erhob sich eine Säule aus schwarzem undurchsichtigen Rauch. Bizarre Laute waren zu hören. Erst wie ein Lachen, dann wie das Wiehern eines Hengstes, um schließlich wie ein schmerzhaftes Stöhnen zu klingen. Der Rauch verfestigte sich zu einer Gestalt. Ein großes Wesen auf Pferdebeinen, mit dem Körper eines Kriegers und dem Kopf eines schwarzen Hengstes stand in dem Bannkreis. Die Augen des Geschöpfes leuchteten wie glühende Kohlen, und aus seinem Rücken bogen sich fünf lange Hörner, von denen etwas Dunkles wie Blut herabtropfte.
»Altijar, Herr der Ränke«, hörte Sharraz die heisere Stimme des Druiden flüstern. Die Gestalt wandte sich um und blickte Gamba an. Sie versuchte, ihn zu greifen, doch plötzlich zuckten Blitze aus blauem Licht um ihre klauenbewehrte Hand. Mit einem Schmerzenslaut zog das Geschöpf sich zurück und versuchte, an einer anderen Stelle aus dem siebengezackten Stern auszubrechen. Doch vergebens. Ein metallischer Geruch zog durch das Zelt.
»Altijar, erhöre mich!« erklang wieder die Stimme des Druiden. »Ich möchte dir ein Opfer bringen. Ich will dir zehn Leben schenken. Siehst du die Pfeile im Boden stecken?«
Statt zu antworten, versuchte das Wesen, wieder aus dem Stern auszubrechen. Immer wieder rannte es gegen den Bannzirkel an. Sharraz rutschte so weit zurück, wie er nur konnte.
»Altijar, sei weise, besiege deinen Zorn! Was hast du schon von mir? Ich biete dir zehn Leben statt des einen, das du mir nehmen kannst. Komm zu mir und überzeuge dich von der Wahrhaftigkeit meiner Worte!«
Gamba mußte wahnsinnig sein! Er durchbrach mit seinem Fuß den Schutzzirkel und wischte auch eine Spitze des siebenzackigen Sterns aus. Wieder wieherte die Gestalt wie ein Hengst, dann zerlief sie zu schwarzem Rauch und umhüllte den Druiden.
Als der Rauch sich verzogen hatte, stand Gamba allein in den Zirkeln und starrte Sharraz mit roten Augen an. »Komm zu mir!« sprach er mit Donnerstimme, doch Sharraz blieb, wo er war. Das war nicht mehr Gamba, was er dort vor sich sah. Das mochte wohl noch der Körper des Druiden sein, doch in ihm herrschte nun etwas, das noch finsterer war als die ohnehin schon verlorene Seele Gambas. Dem Befehl nachzukommen hieß, den Kreis zu durchbrechen und sich und seine Leute diesem Geschöpf auszuliefern. Die roten Augen seines Gegenübers schienen sich Sharraz tief in den Kopf zu bohren. Der Ork zitterte, und blanker Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. »Komm zu mir, und ich erlöse dich von allem Übel!« erklang es wieder hämisch aus Gambas Mund.
Sharraz nahm all seinen Mut zusammen und versuchte, dem Blick standzuhalten. Vergeblich! Er starrte auf den Boden, um der Macht der roten Augen auszuweichen. Sein Blick fiel auf die Bannzeichen im Staub. Die gewundenen Linien schienen ihm Kraft zu geben. Nun fand sein Wille zum Widerstand endlich Worte. Er brauchte lange, um das »Nein!« seinen Lippen abzuringen. Dann fügte er hastig, gleichsam als Schutzformel hinzu: »Weiche von mir, elender Dämon!«
Mit einem Schrei des Zorns rannte das Wesen in der Gestalt Gambas erneut gegen den Schutzzirkel an. Doch vergebens! Der Zauber, den der Druide in die Symbole auf dem staubigen Boden gelegt hatte, hielt der Macht des tobenden Dämons stand. Dann wurde die Gestalt in den Zirkeln wieder ruhig. Sie blickte auf die Pfeile, die im Boden steckten. Dann fixierten die bösen roten Augen erneut Sharraz Garthai. »Nicht ich bin hier der Verdammte. Ich werde noch sein, wenn deine Knochen zu Staub zerfallen sind, und selbst wenn die Schamanen, die ihr Wissen von einem auf den anderen weitergeben und die sündige Schrift meiden, deinen Namen vergessen haben werden. Dein Schicksal steht fest. Ich habe Tag und Art deines Todes bestimmt, und du wirst mir nicht entgehen, denn mein ist die Rache!«
In einer drohenden Geste hob der glutäugige Gamba die Arme und begann mit einem unverständlichen und bedrohlichen Singsang. Wie von Geisterhand geführt, lösten sich die schwarzen Pfeile aus dem Boden und hoben sich von einem unheimlichen Glanz umgeben in die Luft. Immer lauter wurden die Beschwörungen des Wesens, das sich Gambas Körper bemächtigt hatte. Immer durchdringender wurde das Licht, das von den Pfeilen ausging. Schließlich überschlug sich die Stimme in immer höher werdenden Kreischlauten, bis schließlich für Sharraz nichts mehr zu hören war, obwohl der Druide noch immer weit den Mund aufgerissen hatte und mit aller Kraft zu schreien schien. Dann schoß ihm ein Schwall Blut über die Lippen. Gamba stürzte vornüber. Wieder schlug nahe dem Zelt ein Blitz ein, und eine gewaltige Sturmbö zerrte an den Lederplanen. Danach war es still.
Sharraz war irritiert. Der Körper des Druiden ruhte sich noch immer nicht. War dies ein neuer Trick des Dämons? Wollte er, daß er nun in Sorge um das Leben des Druiden die Zirkel durchschritt? Falls das sein Plan war, hatte er sich geirrt. Sollte dieser Mensch doch sterben! Sharraz wäre es eine Erleichterung, in Zukunft den heimtückischen Gamba nicht mehr in seinem Lager zu wissen. Ein Röcheln ließ den Ork zu der Gestalt am Boden blicken. Mühsam stützte sich der Druide auf seine Hände und versuchte, sich hochzustemmen. Würgend spuckte er Blut in den Staub und drehte sich zu Sharraz um. Das glühende Rot war aus seinen Augen gewichen. »Nun, Ork, habe ich dir zuviel versprochen? War das kein eindrucksvolles Schauspiel?« krächzte er mit heiserer Stimme.
Sharraz war immer noch mißtrauisch. Er machte keinerlei Anstalten, dem Druiden zu Hilfe zu kommen. Der Mensch bückte sich indessen stöhnend nach den schwarzen Pfeilen, die auf dem Boden verstreut lagen. Prüfend wog er sie in den Händen, fing an hysterisch zu kichern und flüstere immer wieder: »Es ist gelungen, es ist gelungen ...« Dann brach sein Kichern jäh ab. Argwöhnisch musterte er einen der Pfeile, der im Gegensatz zu den anderen verschlungene weiße Zeichen trug. Gamba legte die Stirn in Falten, musterte erneut den Pfeil und fuhr mit seinen Fingerspitzen vorsichtig über die geheimnisvollen Zeichen. Dicht hinter der Pfeilspitze war eine schwarze Haarlocke um den Schaft geschlungen. Der Druide blickte zu Sharraz, und dem Ork schien es so, als habe er Mitleid. Aber mit wem? Und warum?