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Marcian gehört dort der Abteilung für Staatsumstürze und Sabotage an, deren Existenz von offizieller Seite strikt geleugnet wird. Mit einer kleinen Gruppe erst kurz nach der Schlacht bei Silkwiesen rekrutierter Agenten bricht er nach Greifenfurt auf, um die Stadt für den Prinzen zurückzuerobern und zu halten, bis die kaiserliche Armee eintrifft. Um die ganze Tragweite der Ereignisse, die daraus folgen werden, besser darzulegen, beginnt unsere Geschichte um die Rückeroberung Greifenfurts etwas mehr als ein halbes Jahr vor dem Aufbruch Marcians.

Ulrich Kiesow und Bernhard Hennen

1

Das Geräusch von Stahl auf Stein hatte sich verändert. Die Spitzhacke vibrierte spürbar in seinen Händen, und das Zittern setzte sich sacht, aber fühlbar unter seinen Füßen fort, fast als wäre unter den steinernen Bodenfliesen nicht länger massiver Fels. Uriens hielt einen Augenblick inne, setzte die Hacke ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab, der ihm in Strömen über Gesicht und Hals lief, in seinen Augen brannte und einen salzigen Geschmack auf den Lippen hinterließ. Es war nicht nur die schwere Arbeit, die ihn schwitzen ließ. Zu der Anstrengung, Stunde um Stunde das schwere Werkzeug zu schwingen, kam der Umstand, daß es noch ziemlich warm für einen Travia-Nachmittag war; dabei müßte eigentlich in wenigen Wochen der erste Schnee fallen.

Aber dieses Jahr war ja ohnehin auf beängstigende Weise anders als alle, die er bislang erlebt hatte - warum also sollte da nicht auch der Winter ausbleiben? Uriens hatte noch vor zwei Monaten schallend gelacht, hätte ihm jemand erzählt, daß er ernsthaft an etwas so Unumstößlichem wie dem Aufeinanderfolgen der Jahreszeiten zweifeln würde, aber seit jenem denkwürdigen Tag vor zwei Monaten war die Welt nicht mehr, wie sie zuvor gewesen war.

Zwei Monate war es her, daß die kaiserliche Armee bei Orkenwall vernichtend geschlagen wurde. Und damit hatte nicht nur die Legende von der natürlichen Überlegenheit des Menschen über die Orks ihr Ende gefunden, sondern auch Uriens Leben als freier Mann. Er hatte die Schlacht zwar wie durch ein Wunder überlebt, war aber mit vielen anderen in orkische Gefangenschaft geraten - was nichts anderes bedeutete als Sklaverei.

Es hatte lange gedauert, bis Uriens den Schrecken der Niederlage überwunden hatte. Sie alle waren in der sicheren Gewißheit ihres Sieges aufgebrochen - schließlich waren sie ein diszipliniertes, kampferprobtes Heer, dem nichts anderes als eine Horde barbarischer, halbtierischer Kreaturen gegenüberstand. Uriens war kein Narr. Er hatte die Möglichkeit seines eigenen Todes durchaus in Betracht gezogen - aber eine Niederlage? Gegen Orks? Einfach lächerlich. Niemals hätte er geglaubt, daß diese beinahe mannsgroßen, schwarz beharrten Kreaturen in der Lage wären, ein diszipliniertes Heer zu schlagen. Orks waren keine Soldaten. Sie waren nicht einmal wirkliche Krieger. Sie waren ... nun, Orks eben. Mit den spitzen Eckzähnen, die wie Hauer aus ihren Unterkiefern ragten, sahen sie schon aus wie Tiere, nicht wie vernunftbegabte Geschöpfe. Dazu kam ihre Sprache - falls man ihre Grunzlaute, mit denen sie sich verständigten, Sprache nennen wollte. Nein - Orks waren keine Gegner. Sie wären Tiere, gefährliche Tiere, aber keine Gegner. Doch alle hatten sich getäuscht. Nicht nur er und seine Kameraden hatten die Kampfkraft der Orks unterschätzt. Einer von ihnen wog in der Schlacht leicht zwei Soldaten auf, und was ihm an Intelligenz und strategischem Geschick fehlen mochte, machte er an Mut und Tapferkeit doppelt wett. Uriens war kein Feigling, aber ihm lief noch heute ein eisiger Schauer über den Rücken, wenn er an die lebende Sturmflut brüllender, schwarzer Ungeheuer dachte, die wie die Berserker über ihre Schlachtreihen hereingebrochen waren und sie niedergemacht hatten. Und auch ihre Heerführer hatten diesen Sadrak Whassoi unterschätzt, den General der Orks, den man jetzt überall den Schwarzen Marschall nannte. Noch eine oder zwei Niederlagen wie bei Orkenwall, dachte Uriens, und das Kaiserreich war verloren. Vielleicht aber war es das bereits. Niemand wußte das genau zu sagen. Seit sie in Gefangenschaft geraten waren, existierte die Welt außerhalb der Reichweite ihrer Ketten praktisch nicht mehr. Nachrichten erreichten die Gefangenen nur äußerst spärlich - was nicht einmal daran lag, daß ihre Wächter sie vor ihnen geheimhielten. Aber einen Ork interessierte für gewöhnlich nur die Frage, wo es etwas zu erobern oder plündern gab.

Uriens holte zu einem weiteren Schlag aus, und wieder erzeugte die Hacke diesen sonderbaren, nachhallenden Klang. Direkt unter seinen Füßen mußte ein Hohlraum sein. Noch immer war keiner der orkischen Wächter zu sehen. Ob er einen der Schwarzpelze rufen sollte? Nein, die würden mit ihrer kehligen fremden Sprache doch nicht verstehen, was er zu sagen hatte. Für einen Moment wog Uriens die schwere Spitzhacke in seiner schwieligen Hand. Dann holte er mit aller Kraft zum Schlag aus, nun wild entschlossen, dem Fußboden des Tempels sein Geheimnis zu entlocken. Vielleicht würde er einen Schatz finden. Der Gedanke beflügelte ihn. Nach einigen wuchtigen Schlägen durchbrach er den Boden. Vorsichtig sah er sich um, was die anderen Arbeitssklaven im Augenblick taten. Die meisten schleppten Steine fort und waren abgelenkt. Nur Karyla schaute gelegentlich zu ihm herüber, wenn sie mit dem Vorschlaghammer eine Pause einlegte. Sie hatte zu einem kaiserlichen Garderegiment gehört und war mit Abstand die stärkste unter den Sklaven. Im Moment war sie damit beschäftigt, ein weiteres Stück der massiven Außenwand des Tempels einzuschlagen.

Vorsichtig bückte sich Uriens, um durch das Loch im Boden zu schauen. Ein modriger Geruch schlug ihm entgegen, und dann spürte er einen schwachen Luftzug auf seinen Wangen. Wie ein langer Finger fiel ein Sonnenstrahl durch das faustgroße Loch, durchmaß vielleicht einen Schritt Finsternis und traf auf eine skelettierte Hand. Am mittleren Finger steckte ein Ring, der golden im Sonnenlicht funkelte. Hastig stand Uriens auf und vergrößerte mit einigen wuchtigen Schlägen das Loch. Dann schaute er sich wieder um. Noch immer beachtete ihn keiner. Langsam ging er in die Knie, blickte noch einmal prüfend umher und schob dann seinen Arm durch das Loch.

Hoffentlich waren da unten keine Ratten! Uriens schluckte und zögerte einen Moment. Nein, er wollte diesen Ring haben! Vorsichtig schob er den Schutt beiseite, der in die Gruft gefallen war. Dann spürte er mit den Fingerspitzen die Hand des Toten. Zögernd tastete er nach dem Ring, dann hatte er ihn. Langsam zog er den Arm zurück. Der Ring steckte noch auf einem Fingerknochen. Wessen Hand das wohl gewesen sein mochte? Uriens zog den Knochen ab und ließ ihn durch das Loch zurück in die Gruft fallen. Der Ring war tatsächlich aus Gold. Er war wie ein kleiner Greifenkopf geformt; durch den weit aufgerissenen Schnabel konnte man den Finger stecken. Mit einem letzten Blick zu den anderen Sklaven ließ er das Kleinod in seinen zerschlissenen Stiefel gleiten. Dort würde der Ring zwar drücken, aber er war sicher aufbewahrt. Dann griff Uriens nach seiner Spitzhacke, um das Loch zu erweitern.

Leider war kaum etwas zu erkennen, obwohl er die Öffnung nun schon um mehr als das Doppelte vergrößert hatte. Uriens legte sich flach auf den Boden, um den besten Blick in die Grabkammer zu haben. Auch wenn man im Halbdunkel nur wenig erkennen konnte, fiel auf, daß diese Gruft erheblich größer war als üblich. Das Skelett lag mit weit ausgestreckten Gliedern auf dem Boden.

Beinahe wie einer, den man aufs Rad geflochten hat, ging es Uriens durch den Kopf. Es schien, als hätte man dem Unglücklichen seinerzeit irgendwelche Pfähle oder Messer durchs Fleisch gerammt.