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»Was machst du denn da?« ertönte es plötzlich über ihm. Karyla hatte ihren Vorschlaghammer weggelegt und war herübergekommen.

»Was schaust du dir an?« Mit einem Stoß in die Rippen schob sie Uriens zur Seite, blickte in das Loch und pfiff durch die Zähne. »Da liegen ja Dolche! Waffen! Du weißt, was das heißt! Das ist der Schlüssel in die Freiheit.«

Uriens schaute zu ihrem Vorschlaghammer. »Wie willst du dir mit Dolchen einen Weg in die Freiheit bahnen, wenn du noch nicht einmal mit deinem Hammer einen Orkschädel eingeschlagen hast?«

Verächtlich sah sie ihn an. »Das, mein kleiner Freund, wirst du schon noch merken.« Dann griff sie durch das Loch und angelte etwas heraus. Was Uriens zunächst nicht recht erkennen konnte, entpuppte sich im hellen Sonnenlicht als massiver, schwarz angelaufener Dolch. Es schien, als sei die ganze Waffe aus Silber.

Karyla ließ den Dolch in ihrem zerrissenen Gewand verschwinden und ging zu ihrem Arbeitsplatz zurück. »Hol die Wächter!« rief sie ihm über die Schulter zu. »Und sag keinem, daß ich mir die Sache schon angesehen habe. Tu so, als hättest du das Grab eben erst entdeckt.« Sofort rief Uriens lauthals nach Krohai, dem Oberaufseher über die Sklaven. Wenig später war er umringt von diesen stinkenden, muskelbepackten Kreaturen. Aufgeregt unterhielten sie sich und schauten abwechselnd durch das klaffende Loch im Tempelboden. Außer dem Namen Sharraz Garthai verstand Uriens nichts.

Dann ließ Krohai noch mehr Sklaven heranholen und teilte weitere Spitzhacken unter ihnen aus.

Nach einer Stunde war die flache Grabkammer ganz freigelegt. Behutsam wurden die Trümmer herausgeholt, und Sharraz Garthai, der neu eingesetzte Verweser der von den Orks eroberten Reichsprovinzen, überwachte persönlich die Arbeit. Als die letzten Gesteinsbrocken beiseite geräumt waren, erkannte man, daß das Skelett inmitten eines großen Sonnenkreises lag. Noch sechs weitere Dolche steckten zwischen seinen Knochen. Einer im linken Unterarm, zwei in den Unterschenkeln, zwei waren durch die Augen gestoßen, und der sechste steckte ungefähr dort, wo das Herz war. Karyla hatte ihren Dolch wohl aus dem rechten Unterarm gezogen. Es war recht offensichtlich, daß hier etwas fehlte. Ängstlich blickte sich Uriens zu ihr um. Wenn herauskam, daß sie etwas aus dem Grab genommen hatten, war das ihr Ende!

Inzwischen betrachtete Sharraz Garthai das große Schwert, das auf der rechten Seite halb unter dem Skelett lag. Obwohl der prächtige Zweihänder schon unzählige Jahre in der Grabkammer gelegen hatte, zeigte er nicht die geringste Spur von Rost. Zufrieden grinste der Ork. Dann richtete er sich zur vollen Größe auf und rief in die Runde: »Fehlt hier was? Hat irgend jemand etwas aus diesem Grab genommen?«

Uriens schluckte. Gemurmel machte sich unter den Sklaven breit, die einander unsicher und verängstigt anschauten. Was würde jetzt kommen? Noch einmal blickte Uriens zu Karyla und sah, wie sie verstohlen den Dolch auf einen Erdhaufen fallen ließ und vorsichtig mit dem Fuß verscharrte.

Dann wendete sich Sharraz an ihn. Er hatte kurz etwas mit den Wächtern besprochen und sah Uriens nun mit stechendem Blick an.

»Du hast das Grab gefunden? War sonst noch etwas darin?«

Uriens schüttelte den Kopf. Sharraz winkte nach einem der Wächter. »Wir werden sehen«, murmelte der Ork.

Mit ihren grobschlächtigen Händen begann die Wache, ihn abzutasten und sagte dann irgend etwas zu Sharraz. Kalter Schweiß stand Uriens auf der Stirn. Sharraz zuckte mit den Schultern und wies die übrigen Orks an, alle Sklaven zu durchsuchen, die bei der Freilegung der Grabkammer geholfen hatten.

Karyla hatte sich mittlerweile ein gutes Stück von dem Erdhaufen entfernt, in dem der Dolch steckte. Sie war bereits durchsucht worden und grinste Uriens an.

Nun war der schmächtige Tjolmar an der Reihe. Leise fluchend näherte sich ihm Krohai. Der Junge wich einen Schritt zurück, stolperte in den Erdhaufen und legte im Sturz mit den Armen rudernd den Dolch frei. Krohai stieß einen überraschten Schrei aus, griff mit der Linken nach dem Knaben und nahm mit der Rechten die Waffe auf. Schon war Sharraz an seiner Seite, der vor Aufregung zunächst in der Sprache der Orks auf Tjolmar einredete. Dann beherrschte er sich wieder, blickte den jammernden Jungen kalt an und sagte so laut, daß es jeder auf dem Platz verstehen konnte:

»Der war wohl für den Rücken von einem meiner Männer bestimmt. Nun, wo du dich durch deine Tölpelhaftigkeit selbst verraten hast, wird dir der Dolch bei Sonnenuntergang den Weg zu Tairach weisen. Und alle, die ihr hier steht, werdet dabei zusehen. Das soll euch eine Lehre sein, nicht einmal daran zu denken, sich gegen meine Herrschaft aufzulehnen. Nun schafft diese Knochen auf den Schutthügel und stellt einen Pfahl für die Hinrichtung auf.«

Während der Verweser mit dem kostbaren Schwert den Platz verließ, musterte Uriens Karyla. Die Kriegerin sah bleich aus, aber sie machte keine Anstalten zu sagen, wer den Dolch wirklich gestohlen hatte. Sollte er sie verraten? Nachdenklich machte Uriens sich wieder an die Arbeit. Zunächst einmal galt es, den Wächtern nicht aufzufallen. Würde er noch weiter untätig herumstehen, bekäme er die Knute zu spüren.

Tjolmar hatten sie mitgenommen. Wütend brütete Uriens vor sich hin. In nicht einmal einer Stunde sollte der Junge geopfert werden. Ein Pfahl mit eisernen Ketten war bereits auf dem Schutthügel errichtet worden. Unheimlich grinsend lag der Schädel aus dem Grab neben dem Pfahl. Was würde passieren, wenn er Karyla verriet? Würde man den Jungen freilassen? Würde man beide dem blutgierigen Gott Tairach opfern? Würde man ihn selbst vielleicht auch noch dazustellen, weil er den Vorfall nicht sofort gemeldet hatte? Das Leben eines Sklaven zählte wenig bei den Orks. Bei ihren Siegen gegen die kaiserliche Armee hatten sie mehr als genug Gefangene gemacht. Noch vor einem halben Jahr war er ein eingebildeter Korporal gewesen, hatte einen Zug Thallusaner Bogenschützen kommandiert, und was war er jetzt?

Ein ehrloser Sklave, der feige zusah, wie ein Unschuldiger umgebracht wurde. Nein, er würde das nicht zulassen! Plötzlich riß ihn ein Schlag auf die Schulter aus seinen Gedanken. Karyla!

»Sag mal, mein kleiner Paradesoldat, gibt es nicht noch etwas, worüber wir zwei reden sollten?«

Unsicher sah Uriens die große Frau an, die ihn mit kalten grauen Augen musterte. Was meinte sie? Er hatte sie doch nicht verraten. Was wollte sie noch? Ihn vielleicht umbringen, damit er nichts ausplauderte? »Du schaust mich ja an wie ein Rotzbengel, dem man seinen Brei weggenommen hat. Es gibt etwas, worüber wir reden müssen. Du weißt zu viel, und ich fühle mich nicht wohl dabei, wie du die letzten zwei Stunden verstohlen zu mir herüber geschaut hast. Jetzt werde mal nicht gleich blaß, Kleiner! Ich schlag' dir schon nicht den Schädel ein. Jedenfalls noch nicht. Ich weiß mehr über dich, als du denkst. Deshalb würde ich jetzt gerne sehen, was du in deinen rechten Stiefel gesteckt hast.« Uriens schluckte. Dieses elende Grab hatte nichts als Unglück gebracht. Jetzt wollte sie ihm auch noch den Ring abnehmen! Langsam zog er den Stiefel aus und holte das Kleinod hervor.

Mit schnellem Griff riß Karyla ihm den Ring aus der Hand.

»Bei allen Göttern! Ein prächtiges Stück. So einen Ring habe ich noch nie gesehen. Wahrscheinlich hat er mal irgendeinem Praios-Priester gehört. Diese Sonnenanbeter lieben Gold und betrachten Greifen als Boten ihres Gottes. In Gareth könnte man sicher eine Menge Dukaten dafür bekommen. - Gib mir jetzt deine Spitzhacke!«

Uriens zögerte. Was wollte sie damit? Unsicher nahm er die Hacke in Brusthöhe, um sich gegen die Kriegerin zu verteidigen. Zu leicht wollte er es ihr nicht machen!

Karyla funkelte ihn an. »Du kleiner Dummkopf.« Sie nahm ihren schweren Hammer hoch, blickte plötzlich ganz freundlich und fragte: »Wollen wir nicht doch lieber miteinander reden? Ich habe dir doch gesagt, daß ich dir noch nichts tun will.« Im selben Moment rammte sie ihm den Stiel des schweren Hammers in den Magen. Uriens sackte zusammen und rang mühsam nach Atem. Während er noch fiel, trat die Kriegerin nach seinem Kopf. Uriens wurde herumgerissen und lag nun wehrlos auf dem Rücken. Breitbeinig stand sie über ihm. Dann ließ sie den Hammer zur Seite fallen. Bösartig grinste sie ihn an und bückte sich nach der Spitzhacke, die neben ihm lag. »Das machen wir anders, mein Kleiner.«