Der Vampir schaute der Halbelfe beim Schwertkampf zu. Nur wenige aus seiner Bürgerwehr konnten es mit ihr aufnehmen. Ihre Art zu kämpfen war fast wie ein Tanz. Sie bewegte sich mit eleganten Bewegungen, wich den Schlägen des Gegners aus, um ihn in eine unvorteilhafte Position zu locken und dann blitzschnell einen tödlichen Schlag zu landen. Übermütig grüßte sie ihn mit erhobenem Schwert vom Fechtplatz. Ihr Gegner lag zu ihren Füßen im Staub. Sie trug ein Kettenhemd und einen Waffenrock, der von einem breiten silberbeschlagenen Wehrgehänge umgürtet war. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie wie immer zum Kampf hochgesteckt. Zerwas verschlang sie mit Blicken. Sie würde heute nacht wiederkommen.
Selbstsicher lächelte Sartassa ihm zu. Sie wußte nicht, was er war. Sie ahnte es nicht einmal. Als er vergangene Nacht von seinem Ausflug zurückgekehrt war, lag sie nicht mehr in seinem Bett. Sie hatte die Sachen gepackt und war verschwunden. Es hatte ihn nicht sehr überrascht, sie nicht mehr zu treffen. Er war die Treppe im verfallenen Turm hochgestiegen, um sich in seinem geheimen Gemach für ein paar Stunden zur Ruhe zu legen. Dabei fiel ihm eine Eule auf, die zwischen den geborstenen Steinen der Turmruine saß. Das Tier hatte er bislang noch nie bemerkt. Eine ungewöhnliche Ausstrahlung umgab den nächtlichen Jäger. Die Kraft ›Seulaslintan‹ ließ ihn erkennen, was es wirklich war. Zunächst hatte er nur die magische Aura der Eule wahrgenommen, doch dann erkannte er Sartassa in ihr. Er war nicht mehr in sein Versteck gegangen, doch sie mußte etwas ahnen. Sie würde mit Sicherheit in dieser Nacht wiederkommen.
Zerwas beendete die Übungen. Es war sehr schwül heute. Der Regen der letzten Tage hatte aufgehört. Dennoch stand der Himmel voller Wolken. Sartassa schlenderte über den Platz auf ihn zu. Mit schweißglänzender Hand griff sie ihm ins Haar. »Na, mein Schöner, wie vertreibt Ihr Euch diese Nacht?« Sie streichelte ihm den Nacken. »Mit Sicherheit angenehm. Vielleicht sollten wir zusammen etwas essen?« Zerwas lächelte sie hintersinnig an. »Ich werde die Offiziersversammlung heute abend früh verlassen. Sei um Mitternacht an meinem Turm! Ich werde dich bei Kerzenlicht und kühlem Wein erwarten.«
»Sei pünktlich, ich werde nicht warten«, entgegnete sie übermütig und ging.
Er war pünktlich. Doch Sartassa kam zu spät. Zerwas hatte Dutzende von Kerzen in seinem Turmzimmer aufgestellt. Räucherstäbchen brannten vor dem Boronschrein und schwängerten die schwüle Luft mit süßlichen Düften. Eine Karaffe mit erlesenem Wein und silberne Pokale standen neben dem Bett. Er hatte sich mit Duftölen aus Maraskan eingerieben und wartete. Diese Nacht war wie geschaffen für ein erotisches Abenteuer. Endlich klopfte es. Zerwas mußte sich zwingen, nicht zu schnell zur Tür zu eilen. Er wollte nicht, daß sie sah, wie sehr er sie herbeigesehnt hatte. Sartassa sah göttlich aus. So mußte die Göttin Rahja sein, die Herrin von Rausch und Liebe. Die Halbelfe trug ihr langes schwarzes Haar jetzt offen. Eine einzelne Blume steckte zwischen den Locken. Ein dünnes Kleid betonte ihren vollkommenen Körper mehr, als daß es ihn verbarg. Um die Hüfte trug sie wieder Wehrgehänge und Schwert. Sie wirkte gefährlich. Um ihren Hals lag eine schwere tulamidische Kette aus Silbermünzen und aus zu schweren Tränen geschliffenen Onyxen. Fußknöchel und Handgelenke zierten filigrane Ketten mit kleinen silbernen Glöckchen, die jede ihrer Bewegungen mit einem hellen Klingeln unterstrichen.
»Ich hoffe, Ihr habt nicht auf mich gewartet«, sagte sie mit keckem Augenaufschlag und trat ein. Sie hatte sehr wohl bemerkt, wie Zerwas sie mit den Augen verschlang. »Schön hast du es gemacht.« Sie strich ihm über die Brust und öffnete spielerisch sein Hemd. »Den ganzen Tag sehne ich mich schon nach dir. Wohin bist du gestern abend verschwunden?«
»Spazieren. Nach deinen feurigen Umarmungen brauchte ich ein wenig kühle Nachtluft.«
»Das Feuer, das ich heute in dir entfachen werde, wird kein Nachtwind mehr löschen können.« Sartassa schlenderte zum großen Himmelbett, ließ sich auf den schweren Brokatstoff fallen und räkelte sich wie eine Katze. »Komm herzu mir!«
Sie winkte Zerwas und fuhr sich mit der Zungenspitze über die sinnlichen Lippen. Sie wollte diesen Mann. Es war ihr Auftrag, ihn zu verführen und ihm seine Geheimnisse zu entlocken, doch noch nie hatte sie einen Auftrag so gern erfüllt. Er war ein göttlicher Liebhaber, und die Aura des Geheimnisvollen, die ihn umgab, machte ihn noch interessanter. Sie streifte ihm das Hemd von den muskulösen Schultern, grub ihre Nägel in seinen Nacken und genoß seine wilden Küsse. Geschickt öffnete er ihr Kleid, ließ seine Hände über ihren Körper streichen und drang in sie ein. Meisterhaft verstand er es, den Liebesakt immer wieder hinauszuzögern, bis ihr Körper ein einziges Sehnen nach lustvoller Erlösung war. Als sie endlich kam, war sie der Ohnmacht nahe. Stöhnend warf er sich über sie, kitzelte mit seiner Zunge ihren Hals und biß in ungezügelter Lust zu. Was für ein Kuß! Der Schmerz war schnell verflogen. Dann fühlte sie sich so leicht wie unter der Einwirkung einer Droge. Schließlich rollte Zerwas mit einem Seufzer zur Seite. Sartassa tastete nach ihrem Hals. Der Biß hatte zwei kleine Male hinterlassen. Sie drehte sich um und spielte mit den Haaren auf der Brust des Henkers. »Du gebärdest dich ja wie ein Raubtier.« Ein kleiner Tropfen Blut hing noch zitternd in seinem Mundwinkel.
»Hat es dir nicht gefallen?« Zerwas schlug mit gespielter Überraschung die Brauen hoch.
»So hat mich noch kein Mann geküßt.« Sartassa schloß die Augen. Nach einer Weile fragte sie: »Gibt es hier ein Versteck? Ich sehe dein Schwert und deine Rüstung nicht.«
Hätte sie nur den Mund gehalten! Zerwas richtete sich auf. Wäre sie seinetwegen hier gewesen, hätte er sie geschont, hätte sie zu seiner Gefährtin gemacht und mit ihr die Stadt verlassen. Aber sie wollte nur seinen Kopf. Dessen war er sich nun sicher. Wieder dachte er an den Ring in ihrem Gürtel, der das goldene Siegel mit dem Greifen trug. Wie ihm die Inquisition nur so schnell auf die Spur gekommen war? Er blickte Sartassa tief in ihre grünen Augen. »Ich werde dir nun mein Geheimnis zeigen. Es gibt hier eine verborgene Kammer. Komm mit mir!« Der Vampir erhob sich aus dem großen Bett und ging zu der kleinen Stiege hinüber. »Zieh dich nicht an! Ich sehe dich lieber nackt, und uns kann niemand beobachten.« Schelmisch grinste die Elfe ihn an und folgte dem Vampir. Sie stiegen auf das provisorische Dach des Turmes und kletterten dann die schmale Steintreppe an der Innenwand hinauf. Auf der letzten Stufe blieb Zerwas stehen. »Hast du Mut?« Verschlagen blickte er Sartassa an.
»Was soll die Frage?« Die Halbelfe wurde zornig. Was spielte der Henker für ein Spiel?
»Wenn du den Mut hast, einen Schritt zu tun, den kein vernünftiger Sterblicher tun würde, wirst du mein Geheimnis sehen.«
»Du sprichst in Rätseln, Henker.« Der Nachtwind spielte in Sartassas Haar. Die Situation war ihr unheimlich. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
»Siehst du die geborstene Stufe, mit der die Treppe ins Nichts endet? Geh einen Schritt weiter!«
»Willst du mich in die Tiefe stürzen sehen?« Die Halbelfe drückte sich gegen die schwarzen Steine der Mauer.
»Ich hätte dich für mutiger gehalten.« Zerwas zuckte resignierend mit den Schultern. Dann trat er über die letzte Stufe und war verschwunden. Sartassa blickte in die Tiefe. Er war nicht abgestürzt. Er war einfach verschwunden, als hätte die Nacht ihn geschluckt. Unsicher erklomm sie die letzte Stufe und tastete vorsichtig mit dem Fuß in die Luft. Da war nichts. Würde sie einen Schritt weiter gehen, stürzte sie ab. »Folge mir! Hab keine Angst!« Die Stimme von Zerwas kam mit dem Nachtwind. Sartassa biß sich auf die Lippen. Sie war sich nicht sicher, ob sie wachte oder träumte. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und machte den Schritt über den Abgrund. Im nächsten Moment spürte sie festen Boden unter den Füßen. Sie stand in einer dunklen, kühlen Kammer.