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Wieder widmete sich Marcian den Papieren vor ihm auf dem Tisch. Es waren Akten, die ihm Odalbert und Riedmar aus dem Stadtarchiv gebracht hatten. Schriftstücke, die Hinweise auf Henker enthielten, die vor mehr als dreihundert Jahren der Stadt Greifenfurt gedient hatten. Verblüffend war die Ähnlichkeit ihrer Namen und auch die Tatsache, daß der jeweils amtierende Henker seinen Nachfolger bestimmen durfte. Und da war noch etwas. Er verglich die Namen dreier Henker, die nacheinander der Stadt gedient hatten.

WARSEW DER NIE ALTERNDE

WRESAN DER ZUREITER

ZARWEN DER HELD

Die unterstrichenen Buchstaben des Beinamens, den jeder Henker führte, tauchten bei seinem Nachfolger als neuer Namensbestandteil auf. Dafür verschwand ein anderer Buchstabe, während die übrigen mit denen im Vornamen des Vorgängers identisch blieben. Odalbert und Riedmar hatten versucht, ihn davon zu überzeugen, daß es sich bei all den Henkern um ein und dieselbe Person handelte. Hinweise darauf waren Anspielungen auf das sehr langsame Altern der Scharfrichter, die man immer wieder in den Aufzeichnungen fand, sowie die Tatsache, daß alle immer dasselbe Schwert benutzten. Und hier fanden sich die beunruhigenden Verbindungen zu Zerwas.

Marcian hoffte darauf, daß bald Aufzeichnungen über den Inquisitionsprozeß gegen einen Henker, der vor dreihundert Jahren stattfand, entdeckt würden. Er war sich sicher, daß mit dieser Akte das Geheimnis von Zerwas gelüftet werden konnte. Offensichtlich war es genau das Schriftstück, das den Stadtschreiber Irgan Zaberwitz das Leben gekostet hatte. Leider hatte sich die Spur zu der Patrizierfamilie Brohm sie nicht weitergeführt. Marcian hatte ihre Bibliothek durchsuchen lassen, doch eine Akte über den Prozeß gegen den Henker war dort nicht aufzuspüren gewesen. Neben allerlei Urkunden über die Geschichte der Stadt fanden die beiden Magier hier vor allem Hinweise darauf, daß die heute so hoch angesehene Familie von bitterarmen Holzfällern abstammte und keineswegs seit Gründung der Stadt in Greifenfurt lebte, wie jeder Brohm seit Generationen behauptete. Einige der Dokumente aus der Bibliothek waren offensichtlich auch zur Erpressung anderer Patrizierfamilien genutzt worden.

Wieder zermarterte Marcian sein Hirn. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der Stadtschreiber so dumm gewesen sein sollte, die Akte über den Prozeß zu dem geheimen Treffen auf dem Dachboden des Magistrats mitzunehmen. Nach allem, was er über den Mann gehört hatte, war er extrem vorsichtig gewesen. Er müßte noch einmal mit ihm sprechen können. Das wäre der einfachste Weg. Von ihm konnte er alles erfahren. Er kannte den Inhalt der Akte, und er kannte seinen Mörder. So mußten nun die beiden Magier für ihn mühsam das Stadtarchiv auf den Kopf stellen. Vielleicht würde sich dort doch noch eine Spur finden lassen.

Marcian streckte sich müde in dem hochlehnigen Stuhl. Er verharrte. Irgend etwas hatte sich verändert. Der Lärm des Festes draußen war verstummt. Die Geräusche klangen fremd. Und auch die Beleuchtung im Zimmer war verändert. Durch die Schießscharten im Osten drang ein rötlicher Schein in das Turmzimmer. Der Inquisitor stand auf und ging zu einem der schmalen Schlitze in der Mauer, um auf die nächtliche Stadt zu blicken.

Direkt am Platz der Sonne brannte ein großes Haus. Welches Gebäude es war, ließ sich nicht genau ausmachen. Fluchend griff Marcian seinen Umhang und machte sich auf den Weg in die Stadt. Nahm dieser Tag denn nie ein Ende!

Bis man den Brand gelöscht hatte, war der Morgen angebrochen. Müde und rußgeschwärzt stand Marcian neben den Trümmern des Magistrats. Das Feuer hatte das große Haus vollständig vernichtet. Wie die anderen Männer und Frauen war der Inquisitor am Ende seiner Kräfte. Der Brand mußte im Archiv in den Kellern des Magistratsgebäudes ausgebrochen sein. Nichts und niemand war imstande gewesen, ihn zu löschen. Man konnte froh sein, daß es geglückt war zu verhindern, daß das Feuer auf die angrenzenden Gebäude übergriff. Der Inquisitor betrachtete seine schwieligen Hände. Die ganze Nacht über hatte er Eimer auf Eimer in die Flammen geschüttet.

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Es war Odalbert. »Danke«, sagte er schlicht. »Danke für Riedmar.«

Dank war das letzte, was der Inquisitor jetzt wollte. Er wollte zurück in sein Turmzimmer und schlafen.

»Offen gestanden, hätte ich nicht von dir erwartet, daß du dich so für einen deiner Agenten einsetzen würdest«, redete Odalbert neben ihm weiter.

»Schon gut, vergiß es«, erwiderte Marcian gereizt. Er wollte sich jetzt keine Lobeshymnen dafür anhören, daß er den Magier aus den Flammen gerettet hatte. Der unvernünftige Kerl war doch tatsächlich in das brennende Haus gerannt, um noch einige Dokumente aus dem Archiv zu retten. Marcian hatte ihm nachgesetzt, hatte ihn auf der Treppe zum Keller gefunden und niedergeschlagen, weil er sich einfach nicht ausreden ließ, noch weiter in die Flammenhölle hineinzulaufen. Dann hatte er ihn auf den Schultern aus dem Inferno getragen.

Der Inquisitor spuckte in den Schlamm des Platzes. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Noch immer brannten seine Lungen vom Rauch, den er geschluckt hatte. Er würde nun in die Garnison zurückkehren. Vor Erschöpfung konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Er klopfte noch einigen der Bürger auf die Schulter und lobte sie für ihren selbstlosen Einsatz im Kampf gegen die Flammen, dann verließ er den Platz Richtung Westen.

9

Als Marcian erwachte, war es bereits wieder finster. Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Noch immer trug er die rußverschmierten Kleider. Er zog sich aus und wusch sich mit dem kühlen Wasser, das wohl einer der Wachposten neben sein Bett gestellt hatte. Dann massierte er mit Öl die schmerzhaften Verbrennungen. Noch immer gingen ihm dieselben Gedanken durch den Kopf, wie vor dem Feuer. Könnte er nur ein letztes Mal mit Irgan Zaberwitz reden und von ihm erfahren, was in der verschwundenen Akte stand oder wer ihn ermordet hatte. Mit Bedacht goß er sich frisches Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel, um sein Haar zu spülen. Und da durchzuckte es sein Hirn wie ein Blitz. Die Magier! Es gab vielleicht eine Möglichkeit, mit Zaberwitz zu reden. Der Weg, den er dazu gehen mußte, würde zwar das Mißfallen der Priesterschaft finden, doch es gab ohnehin keine Priester mehr in der Stadt. Marcian mußte mit Eolan reden. Hastig trocknete sich der Inquisitor das Haar und legte frische Kleider an. Dann blickte er über die Burghöfe zum hell erleuchteten Palas. Die Offiziersversammlung war noch nicht aufgelöst. Dort würde er die Magier treffen.

Mit ihren seltsam archaischen Gewändern, den kurzgeschorenen Haaren und asketischen Gesichtern erinnerten die Magier an Priester. Es war Marcian schwergefallen, Eolan zu überreden. Doch schließlich erklärte sich der weißhaarige Anführer bereit, ihm die gewünschte Hilfe zu gewähren. Allerdings forderte er einen hohen Preis. Ihm sollte die letzte Entscheidungsgewalt in allen Dingen zufallen, die direkt oder indirekt die Anwendung von Magie betrafen. Damit hatte Lancorians Wort in der Offiziersrunde kaum noch Gewicht. Eolan hatte auch keinen Hehl daraus gemacht, daß er den Illusionisten und Bordellbesitzer für einen billigen Jahrmarktzauberer hielt.

Der Inquisitor hatte das Offizierstreffen im Palas mit den fünf Magiern schon bald wieder verlassen. Gemeinsam waren sie zu dem Patrizierhaus gegangen, das er den Zauberern am Vortag hatte übereignen lassen. Nun befanden sie sich in einem holzgetäfelten Raum mit steinernem Boden, der einst als Eßzimmer gedient haben mochte. Die Magier hatten den schweren, kostbar geschnitzten Tisch aus der Mitte des Zimmers geschoben und die Teppiche beiseite gerollt. Der Boden war nun mit Zirkeln und arkanen Symbolen bemalt. Marcian war bei der ganzen Sache unwohl. Er wußte, daß der Baron, der Leiter der kaiserlichen Inquisition, ein solches Vorgehen nicht dulden würde. Doch der Inquisitor glaubte, keine Wahl zu haben.