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Verzweifelt blickte sich Uriens um. Nirgends war eine Wache zu sehen. Karyla hatte die Hacke hoch über seinen Kopf erhoben. In Panik versuchte er, sich ihr zu entwinden, doch die Kriegerin hatte einen Fuß auf seine Brust gestellt und drückte ihn zu Boden. Jetzt war es vorbei. Die Hacke sauste auf ihn herab. Mochten die Zwölfgötter ihn gnädig aufnehmen!

Hart schlug die Hacke unmittelbar neben seinem Kopf auf den Tempelboden. Lachend warf die Kriegerin die Spitzhacke beiseite. »Na, hast dich wohl schon in Borons Hallen gesehen! Wie es scheint, hat der Totengott heute noch keinen Gefallen daran gefunden, dich in seinem Reich zu begrüßen.«

Dann setzte sie ernster hinzu. »Das war eine Warnung. Du solltest nicht einmal daran denken, mich zu verraten.«

Mühsam setzte Uriens sich auf. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Sein Bauch schmerzte, und sein Kopf dröhnte. Karyla hockte vor ihm und griff nach etwas auf dem Boden. Uriens sah noch ganz verschwommen. Er rieb sich mit der Hand die Augen. Karyla hielt ihm irgend etwas hin und redete. Dann sah er etwas klarer. Es war der Ring. Sie hatte ihn mit ihrem Hieb in zwei Hälften gespalten.

»... Wir werden jetzt auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sein. Nimm dir schon eine Hälfte. Wenn jeder eine Hälfte des Rings hat, kann keiner den anderen verraten. Würdest du den Orks von der Sache mit dem Dolch erzählen, brauchte ich nur den Ring zu erwähnen und meine Hälfte vorzeigen! Selbst wenn du deinen Teil weggeworfen hättest, denke ich, daß sie mir meine Geschichte glauben würden. Ich brauchte nur zu behaupten, du hättest ihn irgendwo versteckt. Und dann würde ich noch von all den anderen Schmuckstücken erzählen, die du aus dem Grab geraubt hast. Schließlich hast du ja die Grabkammer entdeckt. Ich bin sicher, daß man mir glauben würde! Und dann zaubere mal einen Schatz hervor, wo es keinen gibt. Du würdest wahrscheinlich sogar vor mir sterben, während die Orks auf der Folter Antworten aus dir herausholen wollen, die du beim besten Willen nicht geben kannst. Also sieh ein, daß unser Schicksal von nun an miteinander verbunden ist.«

Lange blickte Karyla Uriens an. Dann drückte sie ihm eine Hälfte des Ringes in die Hand und ging durch die Tempelruine zum Schutthügel. Noch immer war Uriens ganz benommen von ihren Schlägen. In der Ferne donnerte es, und ganz in der Nähe ertönte dumpfer Trommelschlag. Uriens richtete sich auf. Schwarz hob sich der Hinrichtungspfahl auf dem Hügel gegen den blutroten Himmel ab. Wieder donnerte es. Es würde ein Gewitter geben. Eine Wache kam und holte die beiden. Alle Sklaven sollten der Hinrichtung zusehen. Würden die Götter eine solche Ungerechtigkeit dulden?

Uriens fühlte sich schlecht. Tjolmar war tot, und er hatte bei der Hinrichtung zugesehen. Die Götter würden ihn verfluchen! Er war verdammt. Wie konnte er nur zu einem solchen Feigling werden. Es war gräßlich gewesen, die Tairach-Priester zu beobachten, wie sie den armen Jungen ermordeten. Er hatte lange gelitten, bevor er endlich sterben durfte. Noch immer hallten seine Schreie in Uriens Ohren. Karyla hatte bei der Hinrichtung ganz gelassen gewirkt. Ihr schien das alles nichts ausgemacht zu haben. Als die Priester die Opferung beendet hatten, waren sie von oben bis unten mit dem Blut des Jungen bespritzt. Sie mußten ihm Drogen gegeben haben, denn er war bis zuletzt bei Bewußtsein und hatte geschrien, hatte miterlebt, wie sie seinen Körper grausam verstümmelten. Zuletzt schnitten sie ihm das Herz aus der Brust und reichten es Sharraz Garthai. Uriens wurde übel, wenn er sich an diese Szene auch nur erinnerte. Der Stadtkommandant hatte das rohe Fleisch gegessen!

Danach brachte man die Sklaven in ihre Baracken nahe dem Schutthügel, vier grob gezimmerte Hütten, die kaum Schutz gegen Wind und Wetter boten. Solide war hier nur der schwere Balken, der durch die Mitte der Hütte lief und fest im Boden verankert war. In ihn waren Eisenringe eingelassen, an die man sie abends ankettete.

Uriens betrachtete seinen Knöchel. Der Eisenring an seinem linken Fuß hatte das Leder des Stiefels fast durchgescheuert. Ihm ging es immer noch besser als den anderen, denen man diesen Sklavenring ums nackte Fleisch gelegt hatte. Sie waren ständig wund gescheuert und hinkten, wenn es morgens zum Essen ging.

Draußen blitzte und donnerte es. Die Götter machten ihrem Zorn Luft. Vielleicht würde Rondra, die Herrin der Stürme und Göttin des Krieges, sie dafür strafen, daß sie zugesehen hatten, wie der unschuldige Tjolmar sein Leben ließ. Sollte sie doch die Hütte mit ihrem Blitz in Brand setzen, so daß er und die anderen, angekettet wie sie waren, bei lebendigem Leib verbrennen würden!

Uriens wickelte die Decke enger um seine Schultern und versuchte, sich so in seine Ecke zu verkriechen, daß er nicht in einer der zahllosen Pfützen lag. Karyla schlief. Sie machte ein ganz entspanntes Gesicht. Hatte diese Frau kein Gewissen? Kein Alptraum schien sie zu quälen. Wahrscheinlich hatte sie den Tod von Tjolmar längst verdrängt. Uriens biß sich auf die Lippen. Er mußte einen Weg finden, sie ihrem gerechten Schicksal zuzuführen. Finster brütete er vor sich hin. Wenn er sterben sollte, war ihm das gleichgültig. Er hatte nur Angst davor, so zu sterben wie der Junge am Pfahl. Diese gräßliche Marter. Das war zuviel für ihn. Ein tödlicher Schlag, ein schnelles, schmerzloses Ende - so etwas wünschte er sich. Aber Karyla sollte leiden!

Draußen hatte es aufgehört zu regnen. Sturmwind rüttelte an den Barakken, und hin und wieder durchzuckte ein Blitz die Dunkelheit. Gleißendes Licht fiel dann durch die tausend Ritzen der Hütte und verwandelte den Raum für Augenblicke in ein bizzares Muster aus Licht und Schatten. Wäre die Welt nur so einfach wie dieses Spiel der Sturmgöttin. Gäbe es nur Hell und Dunkel, Gut und Böse! Uriens wußte nicht mehr, auf welcher Seite er sich sehen sollte. Er mußte den Tod des Jungen sühnen, oder er war verdammt. Verdammt, weil er mit all den anderen bei der Schändung des Praios-Tempels geholfen hatte. Verdammt, weil er einen Toten bestohlen hatte, und verdammt, weil er ein elender Feigling war.

Eine neue Sturmbö ließ die Baracke erbeben. Als wäre er ein lebendiges Wesen, griff der Wind nach der Tür der Hütte und rüttelte an ihr. Uriens gab sich weiter seinen düsteren Gedanken hin. Doch dann schreckte er plötzlich auf. Was war das? Der Wind hatte sich gelegt, und noch immer schüttelte es die Tür. Unsicher blickte Uriens ans andere Ende der Baracke. Wer konnte versuchen, hier einzudringen? Wollte man sie befreien? Die Greifenfurter Bürger hatten bisher nichts für sie getan. Im Gegenteil. Angespuckt und verflucht hatte man sie, weil sie für die Orks den Tempel des Sonnengottes einrissen.

Der Lärm an der Tür hatte sich gelegt. Angestrengt lauschte Uriens. Ein leises Geräusch wie schlurfende Schritte war zu hören. Oder täuschte er sich? Wieder fegte der Sturmwind gegen die Hütte. Für einen Moment war außer dem Toben des Windes und dem Knarren der Bretter nichts zu hören. Dann war das schlurfende Geräusch wieder da. Wer auch immer dort draußen um die Hütte schlich, er würde jeden Augenblick an ihm vorbeikommen. Angestrengt versuchte Uriens, durch einen Spalt nach draußen zu sehen. Zwischen den Sturmwolken stand das Madamal hoch am Himmel und tauchte die Nacht in silbernes Licht. Ein leises Kratzen war zu hören. Ganz so, als würde man mit einem dürren Zweig über die Bretter der Baracke fahren. Nur noch wenige Augenblicke, und die Schritte würden um die Ecke der Baracke kommen. Langsam schob sich eine große Wolke vor das Madamal. Uriens wünschte sich, der Fremde würde ein klein wenig schneller gehen. Das Madamal war ganz hinter den Wolken verschwunden. Man konnte fast nichts mehr sehen. Jetzt kamen die Schritte um die Ecke der Hütte und mit ihnen das kratzende, tastende Geräusch. Suchte der Fremde vielleicht ein lockeres Brett, um es herauszureißen und in die Baracke schauen zu können? Jetzt blieb er genau vor ihm stehen. Das Kratzen wurde heftiger. Ein leises Knirschen und Knacken von splitterndem Holz war zu hören. Der Fremde machte sich an dem Spalt zu schaffen, durch den Uriens in die Finsternis gestarrt hatte.