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Zerwas schleuderte sein Schwert beiseite und packte den Inquisitor. Verzweifelt versuchte sich Marcian, dem Griff zu entwinden. Doch der Vampir war stärker. Er beugte ihn zurück, wie ein stürmischer Liebhaber, der seine Braut küssen will, und entblößte seine tödlichen Eckzähne.

Marcian spürte den heißen Atem auf seiner Haut. Doch dann fuhr der Vampir plötzlich schreiend zurück. Ein gezacktes Brandmal lief von seiner Oberlippe bis weit auf die linke Wange. Es sah fast aus wie ein Blitz. Wütend rieb sich das Nachtgeschöpf die verbrannte Stelle. Der Inquisitor nutzte die Gelegenheit und bückte sich nach seinem Schwert. Der Vampir hatte mittlerweile beide Hände vors Gesicht geschlagen und stöhnte. Es roch nach verbranntem Fleisch. Vorsichtig umkreiste Marcian ihn, doch Zerwas beachtete ihn nicht. Dann stieß er dem Vampir seine Klinge tief in den Bauch, drehte das Schwert in der Wunde und wich zurück. Langsam ließ Zerwas die Hände vom Gesicht gleiten, starrte ihn mit glasigen Augen an. In Strömen schoß das Blut aus der tödlichen Wunde. Das Mal im Gesicht hatte sich bis auf den Knochen eingebrannt und seine Züge gräßlich entstellt. »Was ist geschehen?« murmelte er mit erstickter Stimme.

»Gerechtigkeit«, entgegnete Marcian kalt. »Du hast meinen Gott gelästert und seine Kraft zu spüren bekommen. Deshalb trägst du nun das Mal des Blitzes in deinem Gesicht. Und nun stirb!«

Für einen Moment überlegte der Inquisitor, ob er das Schwert aus der Wunde ziehen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Die Waffe sollte zurückbleiben, als Beweis dafür, daß er dieses Monstrum getötet hatte. Langsam, den Blick nicht von Zerwas wendend, schritt er zur Tür. Zerwas wimmerte, er bettelte darum, im Augenblick des Todes nicht allein zu sein. Marcian drehte sich um und begann zu laufen, um der Stimme zu entkommen. Er würde ihm keine Gnade gewähren. Er war die Verkörperung des Bösen. Wahrscheinlich ein Geschöpf des Namenlosen Gottes. Ihm durfte keine Gnade widerfahren.

Gierig atmete Marcian die kühle Nachtluft. Er hatte das Haus des Stadtschreibers und den sterbenden Zerwas weit hinter sich gelassen, war durch die Straßen geirrt und hatte über das nachgedacht, was Zerwas über die Gerechtigkeit gesagt hatte. Ketzerische Gedanken und doch gingen sie ihm nicht aus dem Kopf. War es Glück oder Fügung, daß er nicht zum Vampir geworden war? Er wußte fast nichts über die Geschöpfe der Nacht. Der Großinquisitor selbst führte die Jagd auf sie. Erst vor einigen Jahren hatte er bei Winhall den Umtrieben eines Werwolfs ein Ende gesetzt. Doch er, Marcian, hatte sich niemals an einem solchen Fall beteiligt. Es kam selten vor, daß diese Kreaturen auftauchten, und dann waren es fast immer die Leiter der Inquisition, die ihnen ein Ende bereiteten. Allein sie verfügten über das umfassende Wissen, das man benötigte, dieser Übel Herr zu werden, und nur sie besaßen auch die gesegneten Waffen, mit denen man das Böse bannen konnte. Dinge wie die Greifenfeder, die ihm der Baron zum Abschied gegeben hatte. Ein mächtiger Talisman, der vor dem Zugriff des Bösen schützte. Ihr verdankte Marcian wohl sein Leben. Ohne diese Feder wäre er jetzt ein Vampir. Ein Geschöpf wie Zerwas. Der Inquisitor genoß seinen Triumph. Er hatte der Inkarnation des Bösen getrotzt.

Marcian blickte zum Himmel empor, betrachtete das kalte Funkeln der Sterne. Die Nacht war so schön. Wie konnte es sein, daß in ihrem Schutz das Grauen wuchs? Etwas fiel mit dumpfem Schlag vor ihm in den Staub der Straße. Er bückte sich danach, um den länglichen Gegenstand näher zu betrachten, und erschrak bis ins Innerste. Dort lag sein Schwert!

Ein sengender Schmerz bohrte sich in sein Hirn. Vertrieb jeglichen Gedanken. Es war, als griff eine Hand mit kalten Klauen durch seinen Schädel nach seinem Verstand. Er ging in die Knie, preßte sich die Hände auf die Schläfen, versuchte an Praios zu denken, ein Schutzgebet zu murmeln, doch die Schmerzen verließen ihn nicht. Dann hörte er tief in sich die Stimme von Zerwas. »Heute nacht hast du deine Unschuld verloren. Du wolltest gerecht sein. Doch zur Gerechtigkeit gehört auch die Gnade, und hier hast du versagt. Wärst du das, was du gerne sein möchtest, hättest du den Großmut besessen, bei einem sterbenden Feind auszuharren. Doch dein Stolz und dein Hochmut waren stärker. Wärest du geblieben, hättest du gesehen, daß ich so leicht nicht zu töten bin, aber vielleicht hättest du einen anderen Weg gefunden, um mich zu vernichten, so lange ich schwach war. Nun brauche ich Blut, um meine Kräfte wieder zu gewinnen, und für jedes meiner Opfer trägst auch du einen Teil der Schuld. Auch hättest du in deinem voreiligen Triumph die Akte nicht liegen lassen sollen! Dein einziger Beweis für mein wirkliches Wesen ist jetzt Asche. Versuche nicht, gegen Zerwas den Henker vorzugehen, denn für die Greifenfurter bin ich ein Held aus ihren Reihen und du ein tyrannischer Unterdrücker. Klage mich an, und am Ende wirst du gerichtet werden!«

Die Stimme war verschwunden. Marcian lag mit dem Gesicht im Staub der Straße. Die Schmerzen wichen nur langsam von ihm. Der Vampir hatte recht. Sein Hochmut hatte ihn zu Fall gebracht. Doch er würde daraus lernen. Er würde den Rest der Nacht auf dem steinernen Boden seines Gemachs kniend in Demut verbringen. Würde um die Gnade seines Gottes beten und um Hilfe im Kampf gegen die Finsternis.

10

Zerwas saß am anderen Ende der Tafel und scherzte mit Darrag. Alle lachten hinter vorgehaltener Hand über den Schmied, der zwar tapfer, aber alles andere als ein großer Stratege gewesen war. Allein dieses Monstrum schien sein Freund zu sein, ging es Marcian durch den Kopf. Mit Schaudern erinnerte er sich wieder an die Nacht im Haus des toten Stadtschreibers. Mehr als eine Woche war seitdem vergangen. Er hatte seinen Agenten verboten, noch weiter nach dem Geheimnis des Henkers zu forschen. Er wollte nicht noch mehr Tote unter seinen Leuten. Ohne die Greifenfeder wäre er jetzt wahrscheinlich auch bei Boron. Sie hatten nichts, das sie beschützte, und wer der Wahrheit um den Henker zu nahe kam ...

Zerwas hob ihm grüßend den Pokal entgegen. Er nickte. Keiner durfte merken, daß zwischen ihnen beiden etwas nicht stimmte. Sie hatten heute einen großen Sieg errungen, als die Orks vergeblich versuchten, die Ostmauer zu stürmen. Schon am Vortag hatten die Schwarzpelze bei dem Versuch, die Bastion am Fluß einzunehmen, eine bittere Niederlage einstecken müssen. Jetzt feierte die ganze Stadt. Wieder blickte Marcian verstohlen zu Zerwas. Er kämpfte wie ein Held, und die Bürger hatten es gesehen. Als es einem Streitoger gelungen war, auf die Stadtmauer zu gelangen, hatte sich der Henker dem Monstrum allein in den Weg gestellt. Ohne seine Tapferkeit wäre den Orks der Durchbruch gelungen. Dieser Kampf war entscheidend gewesen.

Marcian schüttete sich erneut Wein in den Pokal. Viele in der Runde waren verwundet. Von Blautann trug den Arm in der Schlinge. Ein Pfeil hatte seine Rüstung durchschlagen. Lysandra hatte einen blutigen Verband am Kopf. Doch ihrer guten Laune schien das keinen Abbruch zu tun. Lancorian und zwei andere Magier lagen im Siechenhaus. Eolan hatte das alles unbeschadet überstanden, doch war er seit dem Zwischenfall bei der Totenbeschwörung schweigsam geworden. Er sah um Jahre gealtert aus und stützte sich beim Gehen auf seinen prächtigen, goldverzierten Zauberstab.