Der Vampir drehte sich um und betrachtete die schöne Elfe, die neben ihm auf dem Lager aus Teppichen und Kissen in seinem geheimen Versteck tief unter der Stadt lag. Im gedämpften Licht der bronzenen Ampeln, die von der gewölbten Decke hingen, hatte Sartassas Haut einen goldenen Schimmer. Ihr schwarzes Haar fiel fast bis zu den Hüften. Als sie merkte, daß er sie beobachtete, drehte sie sich langsam um und strich mit ihren schlanken Fingern durch sein Haar. Küßte seine Brust, auf der noch immer die rote Narbe zu sehen war, die der Orkspeer aus Eschenholz hinterlassen hatte. Langsam glitt sie tiefer. Neckte ihn mit ihrer Zunge, bis er vor Lust aufstöhnte. Doch bevor er zum Orgasmus kam, richtete sich die Elfe überraschend auf und blickte ihn mit sprühenden grünen Augen an.
»Warum tötet mich Sonnenlicht, und dir macht es nichts?« Zerwas hatte diese Frage schon hundertmal zu hören bekommen und keine befriedigende Antwort geben können. Er wollte nicht, daß sie mit ihren Liebkosungen aufhörte.
»Meine Andersartigkeit muß mit der Macht des Schwertes zusammenhängen. Ich bin sicher, die Klinge hat mich zum Vampir gemacht. Doch bin ich nicht das, was man für gewöhnlich unter einem solchen Geschöpf versteht. Ich profitiere von der Macht des Schwertes. Gestärkt hat mich auch mein Tod. Wann immer ein Vampir stirbt und wieder ins Leben zurückkehrt, ist er mächtiger. Doch jetzt hör auf mit den Fragen. Ich finde, du hast dir den falschen Augenblick dazu ausgesucht.«
»Nein, das ist genau der richtige Moment. Töte mich und hole mich ins Leben zurück, und du wirst Dinge erleben, von denen du bislang nicht einmal geträumt hast.« Sartassa sagte das mit einem verführerischen Lächeln, griff ihm zwischen die Beine und spielte mit seiner Männlichkeit. »Ich möchte dir gleich sein, nur dann können wir wirklich ein Paar werden.«
Zerwas griff nach ihrer Hand. Er war des Spiels müde und blickte die Elfe ernst an. »So leicht ist das leider nicht. Du mußt zufällig wiedererweckt werden. Willentlich könnte ich dich nicht ins Leben zurückholen. Deshalb kommt es so selten vor, daß ein Vampir ein zweites Mal ersteht. Damit ich wiederkehren konnte, mußte der Fußboden unter dem Allerheiligsten des Praiostempels aufgebrochen werden. Das allein ist schon unwahrscheinlich, denn ein solcher Tempelfrevel geschieht nur alle paar Jahrhunderte einmal. Doch das war noch nicht alles. Man mußte die sieben Dolche aus dem Grab entfernen, den Siegelring des Großinquisitors von meinem Finger ziehen und zerschlagen, meine Knochen aus dem Bannkreis holen und in einer Vollmondnacht mit frischem Blut benetzen. Und das alles mußte zufällig geschehen. Du siehst, eigentlich dürfte ich hier gar nicht sitzen. Der Großinquisitor hatte sich damals alle Mühe gegeben zu verhindern, daß ich jemals ins Leben zurückkehren könnte. Und doch ist es geschehen. Es muß wohl mein Schicksal gewesen sein, noch einmal zu leben, um Rache an der Stadt zu nehmen, die mich nach Jahrhunderten treuer Dienste in einen grausamen Tod geschickt hat.«
»Und unter welchen Bedingungen könnte man mich wieder zum Leben erwecken?«
»Ich weiß es nicht, Sartassa. Auf jeden Fall spielt Blut in dem Ritual eine wichtige Rolle, und es sollte eine Nacht sein, in der das Madamal rund am Himmel steht. Mehr weiß ich nicht zu sagen. Doch vergiß es, denn jeder Versuch, dich mit Absicht zu erwecken, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.«
»Und was wäre, wenn du deine Opfer nicht enthauptest? Würde es dann immer mehr und mehr Vampire geben?« Diese Eigenart an Sartassa gefiel Zerwas überhaupt nicht. Sie stellte Fragen über Fragen. Der Vampir erhob sich vom Lager, schlüpfte in seine lederne Hose und griff nach dem Hemd.
»Die meisten, die zum Vampir werden, begreifen zunächst nicht, was mit ihnen geschieht. Sie treten am nächsten Morgen nichtsahnend ins Sonnenlicht und sterben. Nähme eine Bürgerin von Greifenfurt ein so spektakuläres Ende, würde das natürlich zu Nachforschungen führen. Deshalb sorge ich dafür, daß meine Opfer so aussehen, als wäre ein Wahnsinniger über sie hergefallen oder ein Ork. Manchmal lasse ich sie auch ganz verschwinden. Doch nun wollen wir über etwas anderes reden.« Zerwas schloß seinen Gürtel und kam noch einmal zu Sartassa herüber. Zärtlich strich er der Elfe über die Schultern, küßte ihren Hals und liebkoste ihre Brüste. Sie hatte ihn seine Einsamkeit vergessen lassen. Mit ihr konnte er reden, hatte einen verwandten Geist gefunden, vor allem seit sie sich änderte. Sie hatte akzeptiert, daß sie würde töten müssen, um zu leben.
»Wohin gehst du?« Sartassa griff nach einer dünnen, fast durchsichtigen Decke und zog sich ein Stück zurück.
»Ich muß zur Offiziersrunde. Sie planen einen Schlag gegen die Stellungen der Orks. Wir müssen etwas gegen den dauernden Beschuß der Stadt unternehmen. Es zermürbt den Kampfwillen der Bürger, wenn wir nur hier sitzen und zuschauen, wie die Stadt Haus für Haus durch die Katapulte der Orks vernichtet wird. Noch in dieser Nacht soll ein Angriff stattfinden.«
Geschmeidig erhob sich die Elfe vom Lager. »Dann nimm mich mit! Ich brenne darauf, dieses Gewölbe endlich wieder zu verlassen. Für mich sind diese Mauern hier zum Grab geworden. In all den Wochen habe ich dein Versteck erst dreimal verlassen. Ich muß hier raus, oder ich werde wahnsinnig.« Entschlossen griff Sartassa nach ihren Kleidern und begann sich anzuziehen.
Zerwas packte sie fest an den Schultern und drehte sie um. »Wie stellst du dir das vor? Man wird dich wiedererkennen und fragen, wo du gewesen bist. Marcian hat sich, seitdem wir unseren Pakt geschlossen haben, zwar ruhig verhalten, aber eine solche Gelegenheit würde er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ich bin sicher, er sucht noch immer nach einem Weg, mich zu vernichten. Bekommt er dich in die Hände und erkennt, was du bist, dann hat er, was er braucht, um mich vor ein Inquisitionsgericht zu bringen. Du bist eine Närrin, wenn du glaubst, du könntest so einfach dieses Versteck verlassen, Sartassa.«
»Und ich sage dir, ich muß hier raus.« Die Elfe hielt dem Blick des Henkers stand. »Dann laß uns gemeinsam jagen gehen. Ich fühle mich schwach. Ich brauche Blut.« Genießerisch leckte sie sich die Lippen und entblößte dabei ihre Vampirfänge. »Gönne mir wenigstens dieses Vergnügen!« Zerwas zögerte. Es würde auffallen, wenn er bei der Versammlung fehlte. Dann blickte er zu Sartassa hinüber. Er würde einen Weg finden!
Der Monat Rondra war schon fast verstrichen. Anderswo im Kaiserreich wurden nun die Ernten eingefahren. In Greifenfurt hielt allein Boron Ernte. Zerwas lächelte. Der Totengott mußte ihn lieben. Auch wenn sein Schwert sich nahm, was des Gottes war, so blieben immer noch genug, die nicht der Klinge zum Opfer fielen. Zwei Angriffe hatte es Anfang des Monats gegeben, doch jedesmal waren die Schwarzpelze blutig abgewiesen worden. Sie hatten erkennen müssen, daß Greifenfurt ohne schweres Belagerungsgerät nicht zu erobern war. Danach war es lange ruhig gewesen. Sie hatten von ihren Mauern zusehen müssen, wie die Orks am Untergang der Stadt arbeiteten. Ein Zwerg unterwies die Belagerer im Bau von Geschützen, koordinierte Trupps, die Bauholz holten, beaufsichtigte die Feldschmiede und ließ Katapult um Katapult fertigstellen. Marcian hatte nichts dagegen unternommen. Er glaubte, daß man sie nur zu einem Ausfall reizen wollte. Eine Woche war es nun her, daß die Orks aufgehört hatten zu bauen.