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Der Falke hatte sich entschieden. Er legte die Flügel an und schoß in halsbrecherischem Sturzflug auf den Boden zu. Nur um Augenblicke verzögert folgte ihm der Adler, an dem er pfeilschnell vorbeigestoßen war. Bald erwies sich der Königsadler als schneller. Schon drohte er den Falken einzuholen, als der Vogel geschickt zur Seite wegdrehte und in einem langgezogenen Bogen wieder an Höhe gewann.

Mit breit gespreiztem Gefieder bremste der Adler seinen Flug und versuchte, ebenfalls wieder an Höhe zu gewinnen. Doch jetzt stieß der Falke auf ihn herab.

Für jedes Ausweichen war es zu spät, und die beiden Vögel wurden zu einem stürzenden Knäuel aus Federn, als der Falke dem Königsadler seine Fänge in den Rücken trieb. Bis in den Garten konnte man die schrillen Schreie der kämpfenden Raubvögel hören. Der Falke hatte nur den Vorteil des überraschenden Angriffs gehabt. Jetzt löste sich der Adler. Kalakaman geriet in seiner Vogelgestalt ins Trudeln. Einer seiner Flügel schien verletzt zu sein.

Mit kräftigen Schlägen flog der Adler einen kleinen Bogen und stieß dem stürzenden Falken hinterher. Gnadenlos stieß sein Schnabel vor. Federn stoben in die Luft. Gellend war der Schrei des Falken zu hören. Wieder löste sich der Adler, während der Falke offensichtlich am Ende seiner Kräfte auf den Boden zustürzte. Triumphierend schrie der mächtige schwarze Vogel seinen Sieg hinaus, während der Blaufalke in wenigen Augenblicken tot sein würde.

»Nein!« schrie Eolan. »Nein!«

Und dann geschah das Wunder. Knapp über den Dächern der Stadt breitete der Falke wieder die Flügel aus, bremste den Fall und segelte auf den Garten des Magierhauses zu. Der Königsadler stieß hinterher, doch es war zu spät. Schon verschwand der Falke zwischen den Bäumen. Während seine Adepten weiter den Adler im Auge behielten, stürmte Eolan auf den Falken zu, der wie tot unter einem Baum lag. Blut sickerte durch sein blaues Gefieder, und er atmete nur noch schwach. Dann durchlief ein Zittern den Körper des Vogels, seine Krallen begannen sich zu verformen, und der kleine Körper begann unkoordiniert zu zucken. Die Krallen verschwanden in den langen dünnen Zehen, die langsam dicker wurden und sich zu einem zarten Rosa verfärbten. Gleichzeitig bildeten sich am ganzen Körper des Vogels die Federn zurück, verschwanden in blasser Haut, während alle Gliedmaßen auf abscheuliche Art anzuschwellen begannen.

Marcian wandte den Blick ab. Allein das letzte, was er gesehen hatte, würde ihn noch lange in Alpträumen verfolgen. Ein schwellender Kopf, halb Mensch halb Vogel, der ständig widerliche Ausbuchtungen trieb und kurz vor dem Zerplatzen schien. Erst als er ein eindeutig menschliches Stöhnen hörte, riskierte es Marcian, sich wieder umzudrehen. Eolan kniete neben dem blonden Zauberer und versuchte, ihn aufzurichten. Tiefe blutende Schrammen zogen sich über Kalakamans Rücken. Auch an Brust und Schulter war er verletzt.

»Was hast du gesehen?« Marcian mußte es wissen. Vielleicht würde der Magier seinen Verletzungen erliegen. Würde er jetzt nicht sprechen, mochte alles umsonst gewesen sein.

»Laß meinen Schüler in Ruhe!« herrschte ihn Eolan an.

»Aber ich muß es wissen ... Jetzt!«

»Da war nichts.« Kalakamans Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Marcian beugte sich zu ihm hinab. »Was?« Er konnte nicht fassen, was er hörte.

»Da war nichts.« Die Stimme des jungen Zauberers klang nun ein wenig fester. »Hinter den Holzwänden war nichts. Nichts als Gras. Und hinter den Hügeln waren Gerüste aus Balken, doch ich konnte nicht genau erkennen, wozu sie dienten. Der Bau war noch nicht weit genug fortgeschritten.«

»Jetzt reicht es.« Harsch unterbrach Eolan seinen Schüler. »Du sprichst mir kein Wort mehr. In deinem Zustand hast du jede Anstrengung zu vermeiden. Und du, Marcian, verlasse den Garten! Wie du siehst, hast du uns wieder einmal Unheil gebracht.« Die jungen Adepten hatten inzwischen eine Decke aus dem Haus geholt. Sie rollten den Verletzten auf das Tuch und trugen ihn auf sein Zimmer. Marcian blieb allein unter den Bäumen zurück. Er blickte zum Himmel. Der Königsadler war verschwunden. Langsam schritt er zu dem Portal, das aus dem Garten auf die Straße führte. Dort standen überall Menschen und diskutierten. Der Kampf am Himmel hatte großes Aufsehen erregt, und viele hielten den Triumph des Königsadlers für ein schlechtes Omen.

12

Mehr als eine Woche war seit dem Duell am Himmel vergangen, und die Orks hatten beängstigende Fortschritte gemacht. Das Hauptlager war von Gräben und Erdwällen umgeben, doch waren die Verteidigungsanlagen noch nicht lückenlos. Dafür hatten allerdings die ersten Geschütze wieder das Feuer auf die Stadt eröffnet. Mehr als das, was man sah, beunruhigte alle, was sich hinter den Erdhügeln verbergen mochte. Unmengen von Brettern und Balken waren auf Karren dorthin geschafft worden, und immer mehr glaubten, daß von dort Tunnel unter die Ostmauer getrieben wurden.

»Wir brauchen endlich Klarheit!« Lysandra war von ihrem Sitz in der Offiziersversammlung aufgesprungen. »Mag sein, daß ein Ausfall gefährlich ist, aber langsam drehen mir die Rekruten durch. Wenn die Schwarzpelze dieses Spielchen noch ein wenig weiter treiben, ergeben sich die Bürger noch freiwillig.«

»Meine Rede«, stimmte ihr Oberst von Blautann zu. »Ein Ausfall kann gar nicht so gefährlich sein wie die Ungewißheit, die uns langsam alle wahnsinnig macht.«

»Ja, Wahnsinn!« Der Zwerg Himgi hatte das Wort ergriffen. »Jeder, der da hinaus ins Feuer der Orks reitet, muß wahnsinnig sein. Wer von uns weiß schon, wie viele Fallgruben sie nachts heimlich ausgehoben haben? Wer weiß, was sie sich sonst noch ausgedacht haben? Sicher ist nur: Sie wollen, daß wir herauskommen. Sie wollen uns mit ihrer Geheimnistuerei provozieren! Und jeder Soldat sollte wissen, daß es niemals klug ist, das zu tun, was der Gegner gerne möchte.«

»Aus dir spricht doch nur die Angst. Wäre ich so klein wie du, würde ich die Welt sicher auch ängstlicher sehen. Ich denke, daß die Orks in ihrem Lager sitzen und sich über unsere Feigheit totlachen, weil wir uns nicht trauen, einen Ausfall zu unternehmen, bevor sie ihre Arbeiten vollendet haben. Sind sie erst einmal fertig, wird es wirklich zu spät sein.« Der junge Gernot Brohm hatte gesprochen. Der Patriziersohn mit dem dunklen Lockenschopf brannte darauf, endlich wieder in die Schlacht zu ziehen. Seit seiner Verletzung beim Kampf am Fluß war er noch nicht wieder zum Einsatz gekommen.

Darrag saß an der Tafel und sagte nichts. Er war still geworden. Zwar kam der Schmied regelmäßig zu den Offiziersversammlungen und erfüllte auch sonst all seine Pflichten, doch schien es, als sei das Feuer verloschen, das einst in ihm brannte. Er hatte sich völlig in sich zurückgezogen.

Zerwas hob in feierlicher Geste seinen Pokal. »Ruhe!« rief er mit schallender Stimme über das Gemurmel im Saal. »Auch ich denke, wir sollten schnell einen Angriff führen. Am besten noch heute nacht. Wir können uns nicht leisten, länger zu warten. Es mag sein, daß dies ein Fehler ist und daß die Orks genau darauf warten. Doch sicher ist auch, daß wir unsere Autorität verlieren werden, wenn wir nichts unternehmen. Ich weiß, daß viele meiner Bürgerwehrsoldaten schon lange hinter vorgehaltener Hand darüber tuscheln, wir seien Feiglinge. Laßt uns unseren Kämpfern beweisen, daß wir den Mut zur Schlacht nicht verloren haben. Auf unseren Sieg!« Zerwas trank den Pokal in einem Zug leer und warf ihn über seine Schulter.

»Das ist ein Wort!« rief Oberst von Blautann und tat es ihm gleich. Auch Lysandra und Gernot Brohm erhoben sich von ihren Sitzen. Schließlich stand mehr als die Hälfte der Männer und Frauen, die Offiziersränge bekleideten.