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»Im Augenblick gibt es viel Böses auf der Welt – Kriege, ungesetzliche Verhaftungen, Folter; jeden Tag hören wir von neuen, schrecklichen Dingen«, sagte Lloyd.

»Das ist nichts, nichts im Vergleich zu dem, wie es sein würde, wenn die Engel den Kampf verlören. Es wird keine Macht mehr geben, die Dämonen aufzuhalten. Sie werden zu Zehntausenden auf uns herabkommen. Wir alle wissen, daß einige von ihnen bereits auf der Erde sind. Sie machen kaum Schwierigkeiten; aber das liegt nur daran, daß es sich bei ihnen um Deserteure handelt, die sich sowohl vor Satan als auch vor seinen Feinden verstecken. Doch siegreiche Truppen sind anders. Nicht einmal das Wetter werden sie in Ruhe lassen. In einigen Gegenden wird es unerträglich heiß, in anderen bitter kalt werden. Es wird keine gemäßigten Klimazonen mehr geben. Sie werden die Erde vergewaltigen und Berge von Toten in der Hitze verwesen lassen. Sie werden alles zerstören und die Menschheit um eine Million Jahre zurückwerfen. Wir werden einander auffressen…«

»Ich glaube, wir haben verstanden.« Lloyd seufzte. »Ich wünschte, wir würden nicht in diesen jenseitigen Krieg hineingezogen, aber ich denke, Petra hat recht. Wir müssen es weiter versuchen. Hat jemand noch eine Idee?«

Offenkundig nicht.

»Eines sollten wir nicht vergessen«, sagte Petra.

»Und das wäre?« fragte Lloyd.

»Die letzte Plage ist die schrecklichste. Wir müssen Manovitch unbedingt vorher finden.«

KAPITEL DREIZEHN

Dave hatte sich angewöhnt, nachts aus dem Bett zu schlüpfen und durch die Straßen zu streifen. Er nahm an, daß Manovitch sich während der Nacht sicherer fühlte und sich deshalb zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang draußen herumtrieb. Also war es nur logisch aufzustehen und den Feind während der Stunden zu suchen, in denen dieser, gleichfalls auf der Suche, durch die Straßen strich.

In den letzten Tagen war London von Krankheiten heimgesucht worden, verursacht von jenem stinkenden Blut, das immer noch überall war. Die Krankenhäuser waren überfüllt. Viele der Eingelieferten waren bereits gestorben, weitere würden sterben. Es war eine abstoßende und heimtückische Art, eine Stadt zu terrorisieren.

Die heiligen Männer und Frauen hielten die Stellung, trugen immer noch ihre Differenzen am Konferenztisch aus, obwohl die Situation angespannt war und es jeden Augenblick zum Eklat kommen konnte.

Dave war froh, daß Vanessa nicht bei ihm war. Sie hatte schon vor langer Zeit eingesehen, daß er seine eigenen Arbeitsmethoden hatte und eine Einmischung in seinen Job als Polizist weder wünschte noch tolerierte. Obwohl sie sich schon seit Jahren kannten, gestanden sie einander Unabhängigkeit zu. Doch er wußte, daß Vanessa im Bett liegen und sich bis zu seiner Rückkehr Sorgen machen würde, sobald er sich aufmachte, um durch die Straßen zu streifen.

Zwei Nächte nachdem der letzte Tropfen Blut vom Fluß ins Meer geströmt war, nahm Dave die Suche wieder auf und spazierte um zwei Uhr morgens eine Straße in Kensington entlang. In London wurde es nie richtig dunkel, da das Licht des Erzengels wie eine riesige Lampe wirkte. Dave hatte festgestellt, daß man nachts schneller vorankam als tagsüber, weil um diese Zeit die Straßen und Bürgersteige menschenleer waren. Kensington schlief. Dave hörte nur seine eigenen Schritte auf dem Pflaster.

Schatten jagten einander in den schmalen Gassen, wo Obdachlose auf ihren Kartonmatratzen lagen, die mit Zeitungen und zerschlissenen Decken bezogen waren. Katzen und ein oder zwei streunende Hunde bewegten sich, als seien sie Teil der Dunkelheit und zogen auf der Suche nach weggeworfenen Essensresten von einem Mülleimer zum anderen. Gelegentlich kam ein Mann oder eine Frau oder ein Paar die Straße entlang; Menschen, die auf dem Weg zu einer Party oder auf dem Nachhauseweg waren. Polizeiwagen fuhren mit hoher Geschwindigkeit vorüber, um über die Stadt zu wachen.

Da er nicht wußte, wo er suchen sollte, suchte er überall, in der Hoffnung, etwas Ungewöhnliches zu sehen. Um zwei Uhr dreißig kam Wind auf, spielte mit dem Abfall und ließ ihn wie zum Leben erwachte Geschöpfe über das Pflaster tanzen. Bäume raschelten mit ihren Blättern, Äste knarrten. Hinter einer Wolke tauchte die Mondsichel auf, vom Licht des Erzengels zu blassem Silber gebleicht. Alles war überaus normal, überaus gewöhnlich.

Dave seufzte und ließ für ein paar Minuten seine Gedanken schweifen. Er sann über die Absurdität der Aufgabe nach, die man ihnen zugewiesen hatte. Da war er, hing abends in einem Hotel herum und fuhr tagsüber durch die Straßen, um nach jemandem Ausschau zu halten, den keiner von ihnen kannte. Da war Danny, der – betört von einer seltsamen Frau – glaubte, schließlich doch noch die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Und was war mit diesem Lloyd los, der von Tag zu Tag ängstlicher und nörgeliger wurde? Es war ein einziges Durcheinander, und es gab keine Möglichkeit, es zu sortieren.

Ein Kieselstein traf Daves Rücken.

Woher stammte er? Hatte ein Vogel ihn verloren? Normalerweise fliegen nachts keine Vögel.

Dave schaute hoch und musterte die Fenster und Simse über ihm. Alles wirkte friedlich. Plötzlich kam es ihm so vor, als hätte er etwas gesehen; eine dunkle Gestalt, die über die Dachfirste kroch. Ein Mensch? Dave verbarg sich in einem Ladeneingang und starrte auf die gegenüberliegenden Dächer. Ja! Da war die Gestalt wieder. Sie glitt lautlos über die Dachziegel und sprang über eine Brüstung. Jetzt war sie auf dem Flachdach eines Geschäfts.

Dave überlegte, ob er sie verfolgen sollte, entschied sich aber dagegen. Nicht, weil er sich um seine persönliche Sicherheit sorgte, obwohl er auch daran dachte, sondern weil die Möglichkeit bestand, daß er seine Beute aus den Augen verlor. Er brauchte Rückendeckung. Es war wichtig, das Wild zu verfolgen und in die Enge zu treiben, um es zu verbrennen. Er schauderte ein wenig bei dem Gedanken.

Dave zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte Dannys Nummer und lauschte ungeduldig. Er war sich jedoch sicher, daß sich niemand melden würde. Als nächstes wählte er die Nummer des Netzwerks, von dem aus nacheinander alle Nummern angewählt wurden: Danny, Lloyd Smith, Stan Gates, Petra und Rajeb Patel. Ein willkommenes Klicken zeigte ihm, daß jemand den Hörer abgenommen hatte.

»Patel«, meldete sich eine verschlafene Stimme.

»Rajeb, hier ist Dave Peters. Ich habe gerade bei einem Streifzug etwas Verdächtiges gesehen. Kommen Sie, so schnell Sie können, in die… « Dave schaute sich um und sah knapp hundert Meter weiter ein Schild. »Holland Park Road«, fuhr er fort.

»Das ist W 8, oder? Keine Sorge, ich werd’s schon finden. Bin in ungefähr zehn Minuten da.«

Rajeb wohnte in einem kleinen Apartment am Gunnerbury Park. Er schaltete die Nachttischlampe an und sprang nackt aus dem Bett. Als er sich die Unterhosen anzog, wachte Daphne auf.

»Was zum Teufel tust du da?« fragte sie.

»Hab einen Anruf gekriegt«, sagte Rajeb, während er mit seinem Pullover kämpfte. »Hör zu, wähl 702 3658 für mich, schnell, Frau.«

»Nenn mich nicht Frau«, sagte sie und setzte sich auf. »Ich bin nicht dein Dienstmädchen.«

Er lächelte sie an, und sie schmolz dahin.

Sie nahm sein Handy, wählte die angegebene Nummer und gab ihm den Apparat. Rajeb bellte Anweisungen in den Hörer. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Botschaft verstanden worden war, klappte er den Apparat zusammen und steckte ihn in seine Gesäßtasche.

Daphnes blonde Haare lagen wie ein Vorhang vor ihren weißen, mit Sommersprossen gesprenkelten Brüsten. Er mußte sie einfach anschauen, obwohl er es eilig hatte, und wie immer bemerkte sie es.

»Schlechter Zeitpunkt, oder? Du hättest gestern abend daran denken sollen.«