Выбрать главу

»Da war ich müde«, sagte er. »War den ganzen Tag unterwegs.«

»Du solltest den Gören in Brixton das Addieren beibringen«, sagte sie, »dann wüßtest du, was müde sein ist.«

Daphne war Lehrerin. Sie hatten sich in Indien während eines Rucksack-Urlaubs kennengelernt. Daphne hatte ihm erst vor kurzem gestanden, daß sie sich ihm nur angeschlossen hatte, weil sie dachte, er sei ein Einheimischer, der ihr beim Übersetzen helfen könnte.

Aber Rajeb, der wie seine Eltern in Stepney das Licht der Welt erblickt hatte, sprach nichts außer seinem eigenen englischen Slang.

»Kein Hindi?« hatte sie gefragt. »Kein Urdu?«

»Nein«, hatte er lächelnd geantwortet. »Auch kein Tamil – eine Schande, nich?«

»Das heißt: Nicht wahr! Verdammt, du kannst ja noch nicht einmal Englisch sprechen!«

»Doch, kann ich verdammt noch mal.«

»Aber nicht korrekt.«

Rajeb war ein aufgeweckter junger Mann, der diese Diskussion nicht zum ersten Mal führte. »Englisch ist eine dynamische Sprache«, erklärte er ihr. »Sie verändert sich mit dem Gebrauch. Man benutzt sie, um miteinander zu kommunizieren. Wenn jemand ›nich‹ sagt, dann ist ›nich‹ korrekt. Und alle, die ich kenne, sagen ›nich‹.«

»Dann kennst du eben nur die Plebs.«

»Plebs?« hatte er in gespieltem Entsetzen gefragt. »Was für ein Wort ist das? Das is nich Englisch, oder?«

Sie merkte, daß er sie ertappt hatte. »Es… es ist ein lateinisches Wort, nun, wenigstens, zur Hälfte. Kommt von Plebejer.

So nannte man die römische Unterklasse. Die Oberklasse hieß Patrizier.«

»Ah, nun, genau da hast du mich falsch verstanden«, sagte er und überraschte sie aufs neue, »denn ich bin Patrizier. Mein Großvater war ein Radscha.«

»Wirklich?«

»Nein, aber du bist leicht zu beeindrucken, nich? Du solltest dich schämen. Du bist ein verdammter Snob.«

Als er ihr später erklärte, er arbeite in London als Polizist, war sie noch tiefer gekränkt, aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich bereits in ihn verliebt und konnte nicht viel dagegen unternehmen. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn nicht anzurufen, wenn sie wieder in England war, aber schon bald ertappte sie sich dabei, wie sie von seinem schlanken, sonnengebräunten Körper träumte, seinen dichten schwarzen Haaren und seinem Lächeln. Sie sehnte sich nach dem Klang seiner Stimme in ihrem Ohr und nach seinem Lachen. Rajeb besaß ein freundliches, unbekümmertes Wesen, das überaus beruhigend wirkte.

Also hatte sie ihn am Arbeitsplatz angerufen.

»Du weißt, weshalb ich anrufe, oder?« sagte sie, ängstlich darauf bedacht, die wenigen Überbleibsel ihres Stolzes zu bewahren.

»Ja, weil ich so ein netter Kerl bin«, erwiderte er.

»Nein, nicht deswegen, sondern weil ich noch etwas von dir habe – das Buch, das du mir geliehen hast.«

»Ich habe dir ein Buch geliehen?«

»Ja, und ich möchte es dir zurückgeben.«

Rajeb lachte ins Telefon. »Das ist ein guter Trick, meine Liebe, den muß ich mir merken. Behalt etwas, damit du später anrufen und so tun kannst, als wolltest du es zurückgeben. Komm schon, gib zu, daß du hinter meinem Körper her bist.«

»Bestimmt nicht«, schrie sie in den Hörer. »Tatsächlich würde es mir nicht das geringste ausmachen, wenn ich dich nie wiedersehen würde.«

»Einen Augenblick«, sagte er. Sie rauchte eine Zigarette, während sie am anderen Ende der Leitung leise Stimmen hörte, dann war er wieder am Apparat.

»Was hast du gesagt?«

»Ich sagte«, erwiderte sie, »ich hoffe, daß du tot umfällst. Ich dachte, das Buch sei wichtig für dich und habe mir extra die Zeit genommen, dich anzurufen, und dann muß ich mir diesen Blödsinn anhören.«

»Du bist nicht in mich verliebt?«

»Bestimmt nicht.«

»Das ist schade, denn ich bin sehr in dich verliebt – ich habe versucht, dich zu finden, seit ich wieder in London bin. Du hast mir die falsche Nummer gegeben.«

Das Geständnis brachte sie aus dem Konzept, aber ihr schrecklicher Stolz ließ nicht zu, daß sie ihm ihre Gefühle gestand. Sie sagte, sie hätte ihm absichtlich die falsche Nummer gegeben, um ihn aus ihrem Leben herauszuhalten. Dann warf sie den Hörer auf die Gabel und brach in Tränen aus.

Zehn Minuten später klingelte es an ihrer Tür.

Sie öffnete und sah einen grinsenden Rajeb.

»Wie… wie hast du…?« stotterte sie, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte.

»Habe den Anruf zurückverfolgen lassen«, sagte er, und sein Grinsen wurde breiter. »Cleveres Kerlchen, oder? Bin nicht umsonst Polizist. Hey«, fuhr er fort, »du hast wegen mir geweint.«

»Ich habe Zwiebeln geschält«, gab sie zurück.

»Klar«, erwiderte er und trat ein. Zehn Minuten später hatten sie sich in ihrem Bett geliebt, vierzehn Tage später war sie in sein Apartment gezogen. Das war vor einem Jahr gewesen, und sie hatte es nicht bedauert – wenigstens bis jetzt.

Rajeb ließ sie im Bett sitzen und lief die Treppe hinab, wobei er drei Stufen auf einmal nahm. Sein Wagen stand hinter dem Haus. Es dauerte nicht lange, und er raste in Richtung Holland Park Road.

Dave stand an der Ecke.

»Wo ist er?« fragte Rajeb, während er aus dem Wagen sprang.

»Irgendwo auf den Dächern«, erwiderte Dave. »Haben Sie weitere Verstärkung gerufen?«

»Ist auf dem Weg«, antwortete Rajeb. »Aber wahrscheinlich dauert es noch eine Weile. Sollen wir ihn verfolgen?«

»Ich denke, ja – ich möchte ihn nicht verlieren.«

Da es keine Feuerleitern gab, gingen sie zum nächsten Hauseingang und traten die Tür aus den Angeln. Dann liefen sie durch den Flur und eine Treppe hinauf, von der sie nicht wußten, wo sie endete; sie waren schon zufrieden, daß sie nach oben führte. Auf einem Treppenabsatz stellte sich ihnen ein ängstlich aussehender Mann in den Weg.

»Was wollen Sie?«

»Polizei«, sagte Rajeb. »Wie kommen wir aufs Dach?«

»Von hier aus auf keinen Fall. Ich glaube, am besten durchs Schlafzimmerfenster.«

Er führte sie zum Schlafzimmer. Dave sprang auf das Bett einer erschreckt aussehenden Frau mittleren Alters, um an das gegenüberliegende Fenster zu gelangen. Die mit Lockenwicklern bewehrte Frau verschränkte die Arme vor der Brust, als Dave über sie hinwegschritt. »Bert?«

»Alles in Ordnung, Liebes, es sind Polizisten«, beruhigte Bert sie.

Dave öffnete das Fenster und schaute hinab. Das Zimmer lag im dritten Stock. Er kletterte auf die Fensterbank und hielt sich mit beiden Händen an der Dachrinne fest. Dann zog er sich hoch und hoffte, daß sich die Rinne nicht vom Dach lösen würde. Sie hielt. Kurz darauf schob er sich bereits über die moosbewachsenen Dachziegel. Rajeb folgte ihm, jünger, wendiger und um einiges schneller. Sie krochen im Angriffsstil zum Dachfirst.

Unterhalb des Daches, auf dem sie sich befanden, lag eine Reihe von Flachdächern. Auf dem dritten von ihnen hatte Dave die Gestalt ausgemacht.

»Da drüben«, flüsterte er Rajeb zu.

Die beiden Männer zogen ihre Waffen und lösten die Sicherungen. Dann ließen sie sich über die andere Seite des Daches gleiten, um auf der Teerpappe des ersten Flachdachs zu landen.

»Ich gehe vor«, flüsterte Dave. »Sie bleiben hinter mir – ungefähr zwanzig Meter – falls ich ihn verfehle, müssen Sie ihn festnageln. Lassen Sie ihn nicht zu nahe an sich herankommen. Er kann Ihnen innerhalb von Sekunden das Genick brechen. Wenn er ein Dämon ist, besitzt er die Stärke von zwanzig Männern.«

»Alles klar«, sagte Rajeb mit heiserer Stimme. »Verstanden.«

Dave bewegte sich langsam vorwärts, die Pistole im Anschlag. Auf dem dritten Dach rührte sich nichts, aber Dave hatte es nicht aus den Augen gelassen, seit er die schwarze Gestalt zum ersten Mal gesehen hatte, und er war sicher, daß sie – wer oder was auch immer sie sein mochte – nicht verschwunden war; wenigstens nicht über die Dächer. Es gab vier große Luftschächte, von denen jeder mit einem Lattenverschlag ummantelt war, in dem sich zwei bis drei Männer verstecken konnten.