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Aber noch während er dort saß und sich einzureden versuchte, im Haus sei alles in Ordnung, vertiefte sich seine Sorge. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß über ihm etwas war; daß in der Vertiefung zwischen den beiden Dächern etwas lag und sich ausruhte. Und was immer es auch sein mochte, es war kein Mensch.

Der Priester hatte niemals zu jenen Geistlichen gehört, die an den Teufel als körperliches Wesen, als ein Geschöpf von Fleisch und Blut, glaubten, das durch die Straßen wanderte und Böses tat. Er glaubte, daß das Böse zur menschlichen Natur gehörte, daß das Böse in der Menschheit steckte, und daß Männer und Frauen sich vor sich selbst statt vor einer übernatürlichen Kreatur hüten sollten, die ruchlose Taten verübte.

Und dennoch spürte er, als er am Bett seines jüngsten Sohnes saß, etwas Entsetzliches, Erschreckendes über jenem Ort, an dem seine Familie schlief. Bilder, die ihm zuerst als Illustrationen alter Bibeln in der Bibliothek des College zu Gesicht gekommen waren, wo er seinen theologischen Grad erlangt hatte, schossen dem Priester durch den Kopf. Er wurde das Gefühl nicht los, daß sich zwischen seinen Söhnen und einer schändlichen Wesenheit nur ein paar Dachziegeln und Dachsparren befanden.

Er hatte das Gefühl, daß nur eine Macht das Ding davon abhielt, ins Innere des Hauses zu schlüpfen – und diese Macht war seine Gegenwart. Er war ein Priester, ein Mann Gottes, und somit in den Augen jedes teuflischen Geschöpfes mit abscheulichen Absichten widerwärtig.

Dieses Gefühl war so stark, daß er am liebsten auf der Stelle einen Exorzismus zelebriert hätte, aber er wußte nicht genau, was dazu nötig war. So wie es aussah, war er ein recht gewöhnlicher Pfarrer mit drei Kirchen im Distrikt, dessen mystische Seite niemals über die normalen Gebete und die Austeilung des Sakraments hinaus bestärkt worden war.

Er dachte daran, in seinem Arbeitszimmer das Abendmahl zu feiern, wollte jedoch nur ungern das Schlafzimmer seiner Söhne verlassen.

Vielleicht wäre er auf unbestimmte Zeit dort sitzen geblieben, hätte nicht jemand die Haustür zugeschlagen. Er stand auf und lief nach unten, nur um festzustellen, daß seine Frau nach Hause gekommen war. Sie stand im Flur, zog Mantel und Schal aus und hängte beides an die unter der Treppe angebrachten Haken.

»Alles in Ordnung?« fragte sie, ohne ihn anzuschauen, in Erwartung der üblichen Antwort.

»Ich weiß nicht«, erwiderte er.

Sie drehte sich zu ihm und starrte ihn an. »Was ist los?«

»Oh«, murmelte er, dann beschloß er, sie nicht zu erschrecken. »Noel hatte einen Traum.«

Sie wirkte erleichtert. »Der Arme, er ist im Augenblick ein wenig erkältet. Er fiebert immer, wenn er eine Erkältung hat. Ich werde nach oben gehen und ihn mir anschauen.«

Sie ging die Treppe hinauf. Der Priester blickte ihr nach und fragte sich, ob er sie begleiten sollte. Dann sagte er sich, daß er zuviel Phantasie hatte. Er hatte viel von Noel, oder genauer gesagt, Noel hatte viel von ihm. Sie waren beide überaus sensibel, wenn es um Stimmungen ging.

Der Priester seufzte und begab sich ins Wohnzimmer, um die Magazine einzusammeln, die seine Tochter auf dem Boden verstreut hatte. Dann ging er zur Hintertür, um Skip für die Nacht ins Haus zu lassen.

»Skip?« rief er. »Komm schon, Junge.«

Aber Skip meldete sich nicht.

»Skip?«

In diesem Augenblick spürte der Priester, wie ihn eine Welle von Übelkeit überschwemmte, ihn wie ein leichter Schlag traf. Er schloß rasch die Tür und schluckte mehrmals. Dieser Gestank! Er hatte ihm die Luft zum Atmen genommen und ihn vor Angst würgen lassen. Etwas war dort draußen: eine Kreatur aus einer anderen Sphäre. Der Priester lehnte sich gegen die Tür und fragte sich, was er dagegen unternehmen sollte. Was wollte es von ihm und seiner Familie?

Plötzlich erinnerte er sich an einen Abschnitt, den er kürzlich in einem alten, von einem Mönch im elften Jahrhundert auf der Insel Lindisfarne geschriebenen religiösen Werk gelesen hatte.

Er ging eilig an seinen Schreibtisch, nahm das Buch aus dem Bücherfach, suchte und fand die entsprechende Stelle:… ein Dämon, von Satan zur Erde gesandt, wird als erstes das blutvolle Herz eines unschuldigen Geschöpfes verschlingen, gleich dem eines Kindes, um nach der Reise aus den Regionen der Hölle seinen Hunger und seinen Durst zu stillen.

Der Priester starrte sekundenlang auf den Abschnitt, sein Magen rebellierte. Er spürte, wie ihm die Gallenflüssigkeit die Kehle hochstieg und ihn zu ersticken drohte. Panik und Schock bannten ihn, bis er plötzlich aus dem Zimmer stürzte, den Flur entlang geradewegs zum Schlafzimmer seiner Tochter lief, die Tür aufriß und brüllte: »Samantha?«

»Daddy?« schrie das Mädchen, das aufrecht im Bett saß.

Sie sah erschreckt aus, ihre Augen waren weit aufgerissen – aber sie wirkte heil und gesund.

»Schon gut, Liebes«, sagte er. »Keine Angst.« Er starrte sie eine Weile an, dann stürzte er die Treppe hoch ins Schlafzimmer der Jungen, wo seine Frau im Schein des Nachtlichtes ein paar herumliegende Spielzeuge einsammelte. Sie schaute verwirrt auf.

»Gott sei Dank!« Der Priester atmete erleichtert auf, als er seine schlafenden Söhne sah.

Dann rannte er die Treppe hinab und schnappte sich unterwegs ein Kreuz, das in einer Fensternische stand. Ohne an seine eigene Sicherheit zu denken, stürzte er in den Garten. Als er über den Rasen lief, stolperte er über etwas. Er schaute nach unten, und im Licht, das aus dem Küchenfenster drang, sah er Skip ausgestreckt im Gras liegen, kalt und steif.

Skips Brustkorb ähnelte einer schauerlichen Höhle; er war leer, sein Herz fehlte. Es sah so aus, als hätte ihn jemand an den Vorderbeinen gepackt, sie auseinandergebogen und ihn bis zur Mitte durchgerissen, dann hineingegriffen und das Herz entnommen.

Der Priester taumelte zurück; er konnte keinen klaren Gedanken fassen, ihn schwindelte, er sank zu Boden.

Als er sich wieder ein wenig erholt hatte, ging er ins Haus zurück und verriegelte die Hintertür. Dann nahm er den Telefonhörer von der Gabel und wählte die 999.

»Die Polizei«, sagte er zur Vermittlung. »Da ist ein… da war ein… mein Hund ist… bitte, ich brauche jemanden hier, sofort.«

Der Priester blieb neben dem Telefon sitzen und wartete auf die Polizei. Zehn Minuten später waren sie da. Er ließ die Polizisten ins Haus und dankte ihnen für ihr rasches Kommen. »Es ist mein Hund«, sagte er, »er liegt draußen.«

Er führte sie zu dem verstümmelten Kadaver auf dem Rasen. Sie sagten, daß sie sich gern umschauen würden.

Sie benutzten die Leiter des Priesters, um im Licht der Taschenlampe die Dachziegel zu begutachten, und entdeckten Blutflecken und Knorpelteile, die in der Dachrinne und darum herum verstreut waren. Einer der Polizisten sagte, daß es so aussähe, als hätte jemand hier oben ein Picknick abgehalten: ein wildes Tier oder ein Raubvogel.

Sein Freund, der unten stand, dachte, er mache Witze und beschied ihm, es sei nicht die Zeit für schwarzen Humor.

»Ich mache keine Witze«, erwiderte der andere. »Ich meine es ernst.«

Doch noch beunruhigender waren die tiefen Kratzer, wie von Klauen, in einer Ecke des Giebelfensters, als hätte jemand versucht, zu den Kindern zu gelangen und schließlich aufgegeben.

Sie informierten den Priester über ihre Entdeckungen. Als sie fort waren, feierte er das Heilige Abendmahl. Danach besprengte er den Boden um das Haus mit Weihwasser. Er betete die ganze Nacht über, um das Böse von seinem Haus fernzuhalten.