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Das kränkte Dave. Er hielt sich für genauso spirituell wie seine Mitmenschen. Vielleicht hatte er in geistigen Dingen nicht viel Übung oder schenkte ihnen zuwenig Aufmerksamkeit, aber er war davon überzeugt, daß er nicht weltlicher war als Danny.

»Sie nennen mich wegen meiner Integrität Mutter Teresa«, sagte er förmlich, und fragte sich, wann eigentlich das Verhör eine Wende genommen hatte.

Sie seufzte. »Sie verstehen wirklich nicht, was ich, was die meisten Menschen, mit dem Wort spirituell meinen, nicht wahr? Sie können nicht einfach spirituell sein, sie müssen üben, lernen, um es zu werden. Wie oft waren Sie in den letzten zehn Jahren in einer Kirche?«

»Woher wollen Sie wissen, daß ich ein Christ bin?« schnappte er. »Vielleicht bin ich Buddhist?«

»Und wie oft meditieren Sie täglich? Wie oft beschäftigen Sie sich mit spirituellen Angelegenheiten? Ich werde es Ihnen sagen. Nicht ein einziges Mal. Sie denken viel, aber Sie meditieren nicht.«

»Sie glauben, einiges über mich zu wissen.«

»Ich weiß nicht sehr viel über Sie, Lieutenant Peters, aber soviel weiß ich.«

Dave schwieg. Ihn ärgerte die Tatsache, daß sie wahrscheinlich recht hatte. Wenn der Geist einem Muskel ähnelte, der trainiert werden mußte, um sein volles Potential zu erreichen, dann lag Danny einige Blocks vor ihm.

»Okay«, sagte Dave nach einer Weile mit ruhiger Stimme. »Sie haben mir erklärt, weshalb Sie in Danny verliebt sind und weshalb mir das richtige Verständnis fehlt. Jetzt hätte ich gern gewußt, weshalb Sie über Zäune klettern und auf Fenstersimsen hocken. Sind Sie ein Voyeur?«

Diesmal hatte er ins Schwarze getroffen. »Wie können Sie es wagen? Glauben Sie, es würde mich anregen, wenn ich zuschaue, wie andere sich lieben? Das ist widerlich!«

»Lady, Spannen ist in der Stadt, aus der ich komme, nur eine harmloses Delikt. In die echt ekelhaften Sachen sind verdorbene Erwachsene mit einem Haufen Instrumente verwickelt. Einfach nur schauen ist Kindergartenkram – du zeigst mir deins, ich zeig dir meins, so ähnlich.«

Petras Nasenflügel bebten, ihre Augen wurden schmal. »Ich habe nicht auf dem Fenstersims gehockt, sondern auf einer Trennmauer; und ich habe meine Familie beobachtet.«

Seine Pupillen weiteten sich ein wenig. »Familie? Sie sind verheiratet?«

»Mit Familie meine ich meine Mutter, meinen Vater und meinen Bruder.«

Ein schmutziger Gedanken, sickerte durch Daves Gehirn. Er verdrängte ihn rasch. Er hatte sich bereits mehrmals in dieser Frau geirrt, und er wollte keine weiteren Vorurteile produzieren.

»Okay«, sagte er. »Aber warum wollten Sie Ihre Eltern sehen, ohne von ihnen gesehen zu werden? Hat Ihr Vater Sie rausgeworfen und Sie davor gewarnt, die Schwelle noch einmal zu übertreten? Oder vielleicht ist es ja auch Ihre böse Stiefmutter, die Sie loswerden will?«

Die Trauer in ihren Augen ließ ihn seine Worte bereuen. »Nein«, sagte sie. »Weder noch. Meine Familie hält mich für tot. Es ist wichtig, daß sie es weiterhin glaubt, obwohl ich wünsche, es wäre nicht so. Mehr brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Es ist nichts Schreckliches an dem, was ich mache. Ich meine, es ist schrecklich, daß sie denken, ich sei tot, aber ich möchte nicht aus egoistischen Gründen, daß sie es weiterhin glauben. Im Augenblick ist es für mich wirklich unmöglich, sie aufzuklären.«

Dave, der zahllose Männer und Frauen kennengelernt und manchmal auch verhaftet hatte, die unter die Rubrik ›vermißt, wahrscheinlich tot‹ gefallen waren, merkte, daß eine weitere Befragung Petras zwecklos war.

Die Situation kam ihm bekannt vor. Er hatte junge Menschen gekannt – vielleicht mehr Mädchen als Jungs –, die von zu Hause fortgelaufen waren, aber gelegentlich bei ihren Eltern anriefen, um deren Stimme zu hören, ohne daß diese sie hörten oder wußten, wo sie sich aufhielten. Familien sind Kontrollinstrumente; einige Familien kontrollieren stärker als andere. Sobald man der Kontrolle der geliebten Menschen entkommen war, wollte man außerhalb des Einflußbereiches der Manipulation seiner Familie bleiben, obwohl man sie liebte. Vielleicht rief man deshalb an, ohne etwas zu sagen, oder spähte durch ein Fenster, um zu sehen, wie sie ohne einen lebten. So war die menschliche Natur. Man wollte die Sicherheit, eine Familie zu haben, ohne ein Teil von ihr zu sein; ohne daß einem jemand sagte, was man tun sollte.

»Okay, ich geb’ auf«, sagte Dave. »Vergessen wir’s.«

Sie lächelte. Endlich hatte er verstanden.

Auf dem Rückweg ins Hotel ließ Petra etwas in Daves Hand gleiten; einen Anhänger an einer silbernen Kette. »Falls mir etwas zustoßen sollte, geben Sie das bitte Danny«, sagte sie.

Dave starrte auf den Anhänger und hob die Schultern. »Natürlich«, sagte er, »warum nicht?«

KAPITEL ZWANZIG

Am späten Nachmittag informierte Stan Gates Dave darüber, daß Danny den Flug Nummer VA765 nach San Francisco genommen habe, und fügte hinzu: »Ich weiß nicht, ob er sich nach der Landung melden wird. Er sprach von einer Reise nach Hawaii, sagte, er habe genug von der Polizei und wolle kündigen.«

Diese Nachricht verwirrte und ärgerte Dave. »Hawaii?« fragte er. »Weshalb sollte er nach Hawaii wollen?«

Gates zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Aber nach seiner Miene zu schließen, hätte es genausogut Mexiko oder Alaska sein können. Ich kenne diese Miene. Er möchte sich für eine Weile verkriechen. Ich glaube, er ist wütend und durcheinander.«

Dave grinste schief. »Nun, wenn er schmollen will, soll er schmollen. Ich denke, daß mir keine andere Wahl blieb, als ihn zurückzuschicken.«

Gates lächelte. »Falls Sie meine Meinung interessiert, so möchte ich sagen, daß Sie das Richtige getan haben – das einzige, was man unter diesen Umständen tun konnte. Wenn die Arbeit eines Polizisten von seinen Gefühlen beeinträchtigt wird, muß man ihn so lange vom Dienst suspendieren, bis er wieder zur Besinnung gekommen ist. Ich habe nie viel davon gehalten, Privatleben und Beruf zu vermischen.«

»Danke, Gates, mir geht es genauso.« Doch noch während er so sprach, fühlte Dave sich schuldig. Er kam sich wie ein Heuchler vor, wußte er doch genau, daß er sich ‘96, während der Verfolgung des gefallenen Engels, in Vanessa verliebt hatte. Das war etwas anderes, sagte er sich. Es war reiner Zufall, und ich wußte erst hinterher, was ablief. Dann fügte er voller Genugtuung und zur Beruhigung seines Gewissens hinzu, daß Vanessa als Theologie-Professorin für die Lösung des Problems mit dem Engel unabdingbar gewesen war.

Wäre er sich selbst gegenüber ehrlich gewesen, hätte er erkannt, daß die beiden Fälle einander ähnelten. Danny war nicht vorsätzlich in die Affäre hineingeschlittert, und Petra war als Sprachrohr des Erzengels überaus wichtig.

Nachdem er mit Gates gesprochen hatte, ging Dave auf sein Zimmer. Er blieb einen Moment lang auf dem Bettrand sitzen. Dann zog er sich aus, nahm eine Dusche und kroch zwischen die Laken, wobei ihm auffiel, daß sie nicht gewechselt worden waren. Die Läuseplage hatte wahrscheinlich alles durcheinandergebracht. Selbst jetzt versuchten sich die kleinen Quälgeister einen Weg in ihn zu bahnen. Er widerstand dem Impuls sich zu kratzen, und knackte mit großer Befriedigung ein paar Läuse zwischen den Nägeln.