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Er sah nichts von alledem. Nur einen Stern, der zur Erde stürzte, einen großen Stern, der brennend vom Himmel fiel, als sei er eine Lampe im glühenden Sonnenschein. Aber sein Name war nicht Wermut, sondern Jumbo.

Lloyd konnte gerade noch seinen Kopf hinter der Dammbrüstung verbergen, bevor ein großes Flugzeug auf die Erde schlug, durch den St. James’s Park pflügte und mit einem fürchterlichen Getöse auf das Whitehall-Gebäude prallte. Die Explosion war so laut, daß Lloyd glaubte, sein Kopf würde zerspringen. Eine riesige Flammensäule schoß in den Himmel, höher als das höchste Londoner Hochhaus, und der Boden bewegte sich, als würde die Erde tatsächlich beben. Eine Welle aus Wasser und heißem Wind jagte den Fluß hinab. Boote wurden knarrend gegen die Kaimauer gedrängt. Brennende Metallteile wirbelten über Lloyds Kopf hinweg und landeten zischend in der Themse. Um ihn herum regnete es Trümmer auf das Wasser. Bei einigen handelte es sich um Stücke der Menschen, die entweder im Flugzeug gesessen oder im Whitehall-Gebäude gearbeitet hatten, bei anderen um Steine und Mörtel, Parkbänke, Abfallkörbe und zahllose weitere brennende Gegenstände.

Flammenzungen schossen über die Dammbrüstung und versengten Lloyds Haare. Petra, die ein wenig weiter unten kauerte, versuchte, den herumfliegenden Trümmern auszuweichen, die in der Luft pfiffen und sangen. Mehrere Autos waren über die Brüstung ins Wasser geschleudert worden und versanken nun im Fluß. Lloyd konnte die entsetzten Gesichter der Insassen sehen, die vergeblich versuchten, sich zu befreien.

Einer der riesigen Flugzeugmotoren schoß geradewegs über den Fluß wie ein Springstein und zerstörte auf der gegenüberliegenden Seite eine Reihe von Häusern. Er fuhr durch sie hindurch, als seien es Kegel, um dann weiterzuwirbeln und bei seinem Tanz einen Benzintank mitzunehmen, der sich in einer weiteren Explosion aus Flammen und Rauch auflöste.

Das südliche Ufer blieb nicht verschont.

Ein Stück des Flugzeugrumpfes raste über die Straße in Richtung Temple, ein außer Kontrolle geratener, zackenrandiger Schlitten. Er glitt durch Menschen, Laternenpfähle, Telegrafenmasten und ließ auf dem Bürgersteig die zuckenden Überreste von Tieren und Menschen hinter sich. Er schnitt Fahrzeuge durch, als seien sie weiche Früchte. Einen Doppeldeckerbus verwandelte er in zwei Busse. Im unteren Teil des ursprünglichen Busses hinterließ er die blutspritzenden Körper der enthaupteten Fahrgäste. Schließlich kam er an einer Bronzestatue zur Ruhe, die sich vornüberbeugte, als verbeuge sie sich höflich vor dem Urheber des Blutbades.

Man hörte Sirenen und Hörner und eine Kakophonie von Geräuschen. Menschen schrien; einige waren verletzt, andere standen unter Schock. Die Toten schwiegen.

Lloyd spähte vorsichtig über die Brüstung.

Ihm fehlten die Worte, um den Holocaust vor seinen Augen zu beschreiben. Ihm bot sich ein Bild totaler Zerstörung. Petra stellte sich neben ihn. Sie hörten zwei weitere, dicht aufeinanderfolgende Explosionen. Noch mehr Flugzeuge waren nach dem Eintritt in den Luftraum über der Hauptstadt abgestürzt, in der alle Maschinen ihre Energie verloren hatten. Ein Helikopter wirbelte über der Tower Bridge wie ein Platanensamen, krachte gegen die Brücke und verhedderte sich in den Trägern. Aus dem Cockpit stürzten kleine schwarze Gestalten ins Wasser.

»Warum wurden Heathrow und Gatwick nicht gewarnt?« schrie Lloyd. »Warum haben sie dem nicht Einhalt geboten?«

»Sie können es noch nicht wissen – es braucht Zeit.«

»Aber Sie wußten es doch«, sagte er in anklagendem Ton.

Sie starrte ihn an. »Ich wußte, daß etwas geschehen würde, aber ich wußte nicht, was. Ich hätte nie an ein Flugzeug gedacht. Sie?«

Lloyd schüttelte frustriert den Kopf. »Vermutlich nicht.

Oh, weshalb können wir nicht weiter sehen als bis zu unseren Nasen? Wir sind so beschränkt.«

Das Feuer vor ihnen wütete und brüllte. Im Herzen der Flammen fanden immer wieder kleinere Explosionen statt. Die Feuersbrunst drohte, sie zu versengen. Sie mußten sich in Richtung Big Ben zurückziehen, wo es nicht ganz so heiß war.

»Ich wußte erst, daß es die Motoren sein würden, als es soweit war«, sagte Petra. »Der Tod des Londoner Verkehrs…«

Lloyd seufzte. »Nun, das wird uns alle ein bißchen langsamer werden lassen, nicht wahr? Ich weiß nicht, ob es sich als positiv oder negativ erweisen wird. Ich nehme an, es ist für Manovitch ein Vorteil – er ist in den Straßen um einiges schneller als wir.«

Ein Autofahrer stieg aus seinem Wagen, ging zur Themse und starrte ins Wasser, als würde er dort die Antwort auf die Frage finden, weshalb der Motor seinen Geist aufgegeben hatte. Seine Mitfahrer blieben, wo sie waren, zweifellos in der Hoffnung, daß, was immer auch mit der Welt nicht stimmen mochte, es sich wieder einrenken würde.

»Der Erzengel arbeitet doch durch Sie«, sagte Lloyd. »Sie sind doch seine Augen und Ohren, oder?«

Petras hatte die Lippen zusammengepreßt. »Ja. Aber er ist nicht allwissend. Er weiß ebensowenig wie wir, was Manovitch von einer Minute auf die andere unternimmt.«

»Und was ist mit Ihnen?« fragte Lloyd. »Haben Sie Ihren freien Willen verloren?«

»Wenn ich etwas sehe, sieht es der Erzengel auch. Das ist das Übernatürliche.«

Lloyd dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß es keinen Grund zu übertriebener Sorge gab. Wenn Petra beim Zusammentreffen mit Manovitch bei ihnen war, brauchten sie ihn vielleicht nicht selbst zu töten. Vielleicht würde der Erzengel es aus der Entfernung erledigen, von seiner stationären Position im Herzen Londons aus.

Eine Welle der Zärtlichkeit für Petra überschwemmte Lloyd. Er war ein Mann, der seine Unabhängigkeit stets verbissen verteidigt hatte. Er haßte den Gedanken, daß sich ein Sterblicher in der Gewalt eines übernatürlichen Wesens befand, selbst wenn dieses Wesen auf Gottes Seite stand. Die Liebe zum Geld steckte ihm in den Knochen, was, wie er wußte, manchen Menschen unangenehm aufstieß, aber abgesehen davon gab es wenig, was aufrichtig gesinnte Menschen an ihm kritisieren konnten. Im Grunde war er ein freundlicher, nachdenklicher Mensch. Er ertappte sich dabei, wie er die Hand ausstreckte und Petra spontan über die Haare strich, ohne daß es einem von beiden peinlich gewesen wäre.

»Wird der Erzengel Sie aus Ihrer Abhängigkeit befreien, wenn er wieder auf die Schlachtfelder von Armageddon zurückkehrt, meine Liebe?« fragte er.

»Ich weiß es nicht«, sagte Petra. »Ich weiß es wirklich nicht.«

Hinter ihnen brannte es immer noch, züngelten weitere Flammen empor, aber das Feuer wütete nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Minuten. Ein ausgebranntes Taxi, das von der ersten Explosion durch die Luft gewirbelt worden war, erinnerte an einen Schädel – den Schädel eines Gog oder Magog, mit leeren Augenhöhlen und verkohlten Zähnen.

Von dem in seinem Inneren gefangenen Fahrer war nichts zu sehen.

»Typisch. Sieht so aus, als wäre der Zähler das einzige, was noch intakt ist. Ich frage mich, ob er noch läuft?« sagte Lloyd in einem Anflug von schwarzem Humor.

Petra bedachte ihn mit einem Seitenblick.

Lloyd zuckte mit den Schultern. »Ja, ich weiß; ist ein wenig krank, aber die ganze Welt ist ein wenig krank, oder?«

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

Am Samstag morgen unternahm Daphne einen planlosen Versuch, die Wohnung aufzuräumen. Sie war keine besonders penible Hausfrau und neigte dazu, den Dingen ihren Lauf zu lassen, bis sie den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Ihrer Meinung nach gab es weit wichtigere Dinge, als vorübergehend staubfreie Oberflächen zu schaffen, die, falls sie morgen sterben würde, bei ihrer Beerdigung bereits wieder genauso staubig wären wie zuvor. Eine schottische Tante war stets dafür gelobt worden, wie sauber sie ihr Haus hielt. Es schien ihre Lebensaufgabe gewesen zu sein. Man hätte auf ihren Grabstein schreiben sollen: IHR HEIM WAR STETS MAKELLOS SAUBER! Wow! dachte Daphne. Was für ein Gedenkspruch! Nichts für mich.