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Petra fuhr langsam und vorsichtig, damit Danny nicht zu sehr durchgeschüttelt wurde. Schließlich waren sie an der Stelle angelangt, wo der Erzengel darauf wartete, daß die irdische Welt seinen Feind vernichtete. Er befand sich auf einem Altar, aber seine genaue Position war nicht klar. Dave konnte nur den vagen Umriß eines Altars erkennen und mitten darauf eine verschwommene, menschliche, weißglühende Gestalt, umrahmt mit einem Licht, das Dave nur als heilig beschreiben konnte. Er besaß keine anderen Worte, um die Szene vor ihm zu schildern.

Petra bremste, stieg aus und ging die Altarstufen hoch. Irgendwann zwischen Boden und Decke schien sie mit der strahlenden Gestalt zu verschmelzen und verschwand aus Daves Sicht.

Als Dave aus dem Road Rover stieg, kam er sich schwer und lethargisch vor, eine plumpe Gestalt in dieser Welt des Lichts. Um ihn herum tanzten schimmernde, gewichtslose Bänder, als sei er der Schöpfer dieser monochromen Regenbögen, und wenn er sich bewegte und sie störte, auch ihr Manipulator. Er scheuchte sie auf wie Lametta, das von der Decke hing und zu flattern begann, wenn jemand die Tür öffnete, um ein wenig Durchzug zu machen. Sie waren Geister, und er war ein Sterblicher, der durch ihre zerbrechliche, zarte Welt stolperte.

Dave konnte dem Gefühl der Zeitlosigkeit, gekoppelt mit unendlicher Geduld, nicht entgehen, während er sich langsam durch den See aus Licht bewegte. Er war von seiner Bedeutungslosigkeit angesichts des Geschöpfes überwältigt, das diese Aura produzierte. Ihm wurde bewußt, daß er ein Sterblicher im Einflußbereich eines übernatürlichen Wesens war. Und er spürte diese seine Sterblichkeit, wie man eine schreckliche Last spüren würde; nicht nur auf dem Rücken, sondern auch in seinem Inneren. Seine Seele besaß Masse und Gewicht, sein Geist glich einem toten Albatros, der ihn mit seinem Bleigewicht zum Mittelpunkt der Erde zog. Er fühlte eine unglaubliche Trägheit, und sein Handeln und Denken kamen ihm schwerfällig und unbeholfen vor.

Dave hob langsam Dannys zerbrechlichen Körper vom Rücksitz des Wagens und legte ihn ehrfurchtsvoll auf den Boden. Die arme, geschundene Gestalt seines Freundes, bis zur Unkenntlichkeit verwüstet, glich einer braunen, zwischen den toten Blättern des Herbstes gefundenen, vertrockneten Voodoo-Puppe; einer Vogelscheuche. Der schmale Brustkorb unter der Decke senkte und hob sich langsam in einem unhörbaren Takt. Danny, mit Löchern übersät, von Krankheiten aufgefressen, aus Mangel an Flüssigkeit und Nahrungsmitteln zusammengeschrumpft, lebte kaum noch. Er war nur noch der Schatten eines Schattens, der sich hartnäckig an den Rand des Hier und Jetzt klammerte.

Dave riß die Polster des Rücksitzes heraus, legte sie auf den Boden und bettete Danny darauf, als wolle er ihn einer Gottheit opfern.

Dann hob er das Gesicht dem Glanz entgegen und rief: »Ich bitte dich nicht darum, ihn zum Leben zu erwecken – das besitzt er bereits, und er wird sich daran klammern, solange es ihm erlaubt ist. Ich möchte nur, daß du ihn heilst. Du läßt mich besser nicht im Stich, oder ich werde mich nach meinem Tod Manovitch anschließen und dich niederhetzen, selbst wenn das die ewige Verdammnis bedeutet. Also hilf mir.«

Es war fraglich, ob es klug war, dem Erzengel zu drohen, statt ihn zu bitten, aber Dave Peters bat niemals jemanden um etwas. Nicht, wenn er einfach nur Gerechtigkeit wollte. Er hatte einmal um etwas gebeten, um die Rückkehr seiner Frau ins Reich der Lebenden, aber man hatte seine Bitten ignoriert. Jetzt wollte er das, was er verdient zu haben meinte: das Leben seines Freundes, das noch nicht ganz von ihm genommen und deshalb leichter zu geben war.

Er stieg in den Wagen und wartete.

Nach einer Weile tauchte eine zumindest äußerlich strahlende Petra aus dem Licht auf.

Sie setzte sich neben Dave und fuhr westwärts, auf die wirkliche Welt zu.

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

Die Londoner suchten mit der gleichen Aufmerksamkeit den Himmel nach Wanderheuschrecken ab, mit der sie in der ersten Hälfte der vierten Dekade nach Flugzeugen Ausschau gehalten hatten. Doch die achte Plage überraschte sie. Sie kam aus einer gänzlich anderen Richtung.

Sie kam aus den Abflüssen, den Fußleisten, den Rissen in der Wand, den Beleuchtungskörpern und einer Vielzahl anderer Quellen. Der mit ihr verbundene Ekel war noch größer als damals bei der Fliegenplage, als unzählige Fliegen an den Tellern klebten, sich durch Brot und Kuchen fraßen und die Schmeißfliegen ihre Eier, die einmal Larven werden sollten, in Fleisch ablegten. Die achte Plage brachte Abscheu mit sich.

Die Kakerlaken machten sich breit.

Die Belegschaft der Hotelküche war hysterisch: Männer und Frauen, Manager und Personal. Es wimmelte nur so von Kakerlaken. Sie waren überall, besonders in den Süßspeisen. Kakerlaken waren in Honig und Marmelade verendet, ihre schwarzbraunen, harten Körper ertranken in süßen Sümpfen. Sie schwammen in Suppen, tauchten weiß und gespenstisch im Mehl auf, mit dem Kuchen und Brot gebacken wurde. In den Mehlbehältern wimmelte und wogte es von Kakerlaken. Sie krabbelten über die Appetithäppchen und hinterließen überall schmutzigen Spuren. Sie brachten den Unrat der Kloaken an ihren Füßen mit sich und lagerten ihn auf Cremeschnitten und Erdbeeren ab. Sie schlugen sich mit Essen voll und erbrachen sich ins Essen. Sie ließen ihre Exkremente unter sich, wo sie gingen und standen, auf Pasteten und Pommes frites, in den Soßen, im Salatdressing: kleine schwarze Punkte, die auch herbes du Provence hätten sein können.

Eine wogende Kakerlakenschicht bedeckte die Küchen, die Eßzimmer, die Böden und Decken. Sie knisterten und knackten, rieben ihre schellackharten Flügel aneinander. Die in der Luft schwebenden Kakerlaken fanden keinen freien Platz zum Landen.

Es waren große Kakerlaken, wie man sie im Fernen Osten findet, mit über zweieinhalb Zentimeter langen Körpern. Sie flogen. Sie trippelten. Sie krochen. Ihre Rückenschilde glänzten ölig. Und wenn es einem gelang, sie auf einer festen Oberfläche zu stellen, sie knirschend zu zertreten, sickerten ihre gelblichen, eiterähnlichen Innereien heraus und strömten einen besonders unangenehmen Geruch aus. Sie konnten sich in Risse drücken, die nur einen Bruchteil so groß waren wie sie selbst, als wären sie aus Schaumgummi. Es wurde einmal gesagt, die Kakerlake sei die einzige Kreatur, die einen nuklearen Holocaust überleben würde, da sie fast unzerstörbar war.

Die Chefköchin warf verzweifelt die Arme in die Luft.

»Was soll ich nur machen?« rief sie. »Sie sind überall. Wenn jemand etwas essen will, muß er Kakerlaken essen oder Kakerlakendreck. Sonst gibt es nichts.«

»Wir müssen auf Dosen zurückgreifen«, sagte die Küchenleiterin. »Sollen unsere Gäste eben Dosennahrung essen.«

»Aber die Kakerlaken werden darüber herfallen noch ehe die Teller auf dem Tisch stehen«, jammerte die Chefköchin.

Die Küchenleiterin, eine erfahrene Frau von fünfzig Jahren, wußte, daß man eine Krise wie ein Krise behandeln mußte.

»Dann werden wir die Dosen eben am Tisch öffnen. Die Gäste können sie kalt essen. Die Plagen dauerten nie länger als ein paar Tage. So lange können sich unsere Gäste aus Dosen ernähren. Woanders wird es auch nicht besser sein. In ganz London wimmelt es von diesen abscheulichen Kreaturen.«

»Sie waren in meinem Bett«, schluchzte der Küchenjunge. »Und heute morgen habe ich welche in meinem Schlafanzug gesehen. Sie sind über mein Kissen gekrabbelt, haben versucht, in meinen Mund…« Während er sprach, wischte er neugierige Kakerlaken von seinen Beinen.

»Die Erfahrung haben wir alle gemacht, Albert. Du bist keine Ausnahme«, wies sie ihn zurecht, um ihn dann liebevoll in die Arme zu nehmen.