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Als er gerade ansetzte, ein Foto aus einem südwestlichen Winkel zu schießen, schien es ihm, als jage ein Schatten über den Grabstein, und plötzlich war ihm sehr kalt. Der Schatten schien direkt aus der Esche gekommen zu sein, die neben dem Grab stand. Normalerweise hätte ihn ein derartiger Vorfall während des Fotografierens geärgert, aber diesmal war er erschrocken.

Er fuhr augenblicklich mit einem Taxi zu seinem Studio zurück; doch selbst während der Fahrt spürte er die tückische Präsenz, die sich wie ein Krebsgeschwür durch seinen Körper fraß.

Versuche nicht, gegen mich anzukämpfen, schien eine Stimme zu sagen, du hast keine Chance.

Aber er versuchte dagegen anzukämpfen und erfuhr großen Schmerz.

»Alles in Ordnung, Kumpel?« fragte der Taxifahrer, als er ihn mit zitternder Hand bezahlte.

»Ja… Ja, ich glaube, ja. Muß was Falsches gegessen haben.«

»Sie sollten sich hinlegen. Sie sehen ja aus wie der leibhaftige Tod.«

So kam er sich auch vor. Er hatte das Gefühl, als hätte der Tod sich seiner auf dem Friedhof bemächtigt.

»Gott«, flüsterte er, als er die Studiotür aufschloß, »was geschieht mit mir?«

Alles zerbröckelte: seine Gedanken, seine Erinnerungen, seine Seele. Von außen betrachtet war er normal, von innen zerbröselte er wie ein Stück verkohltes Papier. Fetzen lösten sich ab, verschwanden, wurden von dem fremden Wesen in seinem Inneren verschluckt.

Als er den Flur betrat, griff ihn die Katze mit ausgefahrenen Krallen, gebleckten Zähnen und gesträubtem Fell an. Er erwürgte sie, brach ihr das Genick und schleuderte den Kadaver quer durchs Zimmer, wo er, verdreht und steif, in einer Ecke liegenblieb. In Tiere vernarrt, hatte er die Katze fast wie sein eigenes Kind geliebt.

Er schrie, als sein Geist zermalmt wurde, stolperte im Zimmer umher, fiel gegen seine Fotoausrüstung, zerbrach Stative und Linsen. Vom Eintritt in seinen Körper bis zur Zerstörung des letzten Fragments seines alten Ichs brauchte es weniger als dreißig Minuten.

Dann war er wirklich tot. Das neue Wesen entspannte sich und schaute sich um. Für einen oberflächlichen Betrachter hatte er sich nicht im geringsten geändert, aber einem aufmerksamen Beobachter würden andere Gesten und Bewegungen, eine andere Haltung aufgefallen sein. Jene, die mit dem jungen Mann auf vertrautem Fuße standen, würden bemerkt haben, daß er nicht mehr so lächelte wie früher.

KAPITEL DREI

An Bord der Jumbo 767-500, die sich anschickte, auf dem Heathrow International Airport zu landen, befanden sich zwei Polizisten aus den USA. Dave Peters und Danny Spitz waren von der Polizei in San Francisco zur London Metropolitan Police Force abgestellt worden. Lieutenant Dave Peters war groß und knochig; sein Partner, ein Detective Sergeant, klein und rundlich.

In den Umkleideräumen im fernen San Francisco wurden sie hinter ihrem Rücken Mutter Teresa und Bruder Tuck genannt. Dave mochte es nicht, wenn man ihn Mutter Teresa nannte, er empfand es dieser großartigen Frau gegenüber als unhöflich. Wie die Kunde ging, hatte er sich den Spitznamen dadurch verdient, daß er heiliger als Gott war; nun, wenigstens heiliger als seine übrigen Zeitgenossen.

Danny, rundlich und kahl, ärgerte sich besonders über seinen Spitznamen.

Er gab zu bedenken, daß er weder übermäßig viel esse noch trinke, und auch nicht im Zölibat lebe, weshalb er kein Mönch sein könne, besonders nicht der legendäre Tuck. Natürlich hatten gerade diese Einwände bewirkt, daß die Spitznamen wie Leim an ihnen klebten.

»Jesus, schau dir das an«, sagte Danny, und beugte sich vor, um einen Blick auf London zu werfen.

Dave starrte verwundert die ferne weiße Kuppel aus Licht an. So etwas hatte er noch nie gesehen; nicht einmal während der Schreckensherrschaft des Engels im Jahre 1996, als sämtliche Brandstifter San Franciscos aus ihren Löchern gekrochen waren und die Stadt wirtschaftlich in die Knie gezwungen hatten. Und im Zentrum dieser blendenden Halbkugel sollte sich ein Erzengel befinden.

Ein Erzengel! Wegen ihrer Erfahrung mit derartigen Geschöpfen waren Mutter Teresa und Bruder Tuck von der sozialistischen Regierung Großbritanniens gebeten worden, ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu finden.

Doch weder die beiden Polizisten noch ihre Beraterin in theologischen Angelegenheiten, Professor Vanessa Vangellan – Daves Freundin, die in San Francisco geblieben war – hatten eine Idee, wie man den unwillkommenen und zerstörerischen Besucher aus dem Himmel los würde. Vanessa, die fast alles gelesen hatte, was über dieses Thema veröffentlicht worden war, hatte mit den beiden Männern gesprochen, bevor sie ins Flugzeug gestiegen waren. Sie informierte sie darüber, daß der Erzengel – falls es sich tatsächlich um einen solchen handelte – es sich im angesehensten Gebäude Londons bequem gemacht hatte.

»In der St. Paul’s Cathedral?« fragte Dave.

»Niemals«, meldete sich Danny. »Ein Erzengel würde sich niemals in der St. Paul’s Cathedral niederlassen.«

Dave hob die Augenbraue und schaute Vanessa an, die seine unausgesprochene Frage mit einem Schulterzucken beantwortete.

»Okay, Besserwisser«, sagte Dave schließlich mit einem Seufzen, während Danny weiter finster aus dem Fenster starrte, »weshalb nicht St. Paul’s?«

»Weil St. Paul’s eine protestantische Kirche ist«, erwiderte Danny, eine standhaftes Kind der römisch-katholischen Kirche. »Ein Erzengel würde sich niemals in einer protestantischen Kirche niederlassen.«

Dave nickte. »Okay, okay, ich will mich nicht mit dir streiten, denn genau das willst du ja erreichen, aber…«

Vanessa, die wußte, daß Dave sich trotz seiner Worte auf einen Kampf vorbereitete, hatte die beiden unterbrochen. »Bevor ihr beiden wieder einen eurer Streits vom Zaun brecht: Es war die Bank von England und nicht die St. Paul’s Cathedral oder eine andere Kirche. Der Erzengel landete mitten im Finanzdistrikt.«

Die beiden Männer starrten einander an, dann sagte Danny: »Er will uns mitteilen, daß Geld die Wurzel allen Übels ist.«

»Die Liebe zum Geld ist die Wurzel allen Übels«, korrigierte ihn Dave, begierig darauf, den Streit, um den Vanessa ihn gebracht hatte, durch einen neuen zu ersetzen. »Das ist etwas vollkommen anderes. Du solltest darauf achten, daß du richtig zitierst. Ich dachte, du kennst deinen Text, aber offensichtlich bist du nicht so beschlagen wie ich, und, Teufel, ich bin kein Intellektueller…«

In der Flughafen-Lounge trafen sie einen Mann, der sich als Lloyd Smith vorstellte. Er erklärte ihnen, er sei Erzdiakon der anglikanischen Kirche.

»Keinen steifen Kragen?« erkundigte sich Dave.

»Nein, meine Arbeit umfaßt eher sekretarielle als verwaltungstechnische oder pastorale Aufgaben. Ich bin für die Kirche in Geldangelegenheiten tätig, Investments und ähnliches, und kümmere mich von Zeit zu Zeit um Besucher aus Übersee. Ist Ihnen bekannt, daß im Augenblick in London eine Konferenz stattfindet?«

»Sie meinen die Konferenz der Glaubensführer?« sagte Danny. »Klar. Verdammt gute Sache. Wurde auch langsam Zeit, daß sie sich mal treffen.«

»Ganz meine Meinung.« Lloyd lächelte mild. »Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie die Entwicklungen bis zum heutigen Tag aussehen, und Ihnen wird wahrscheinlich bald klar werden, weshalb wir nach Ihnen geschickt haben. Vor ein paar Tagen soll jemand – ein Wesen – hier gelandet sein. Ich habe um Ihr Erscheinen gebeten, weil Sie in dieser Angelegenheit bereits Erfahrung haben. Soweit ich weiß, bezwangen Sie vor fünf Jahren in San Francisco einen Engel.«