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Lloyd wich zurück. Er sah aus, als müßte er sich gleich übergeben.

Ein in der Nähe stehender Polizist eröffnete geistesgegenwärtig das Feuer, wenn auch mit einem normalen Revolver. Aber die Kugel durchschlug den Körper der Kreatur nur und zeigte keinerlei Wirkung.

Ein dünner Triumphschrei drang aus Manovitchs Mund, als er bei Dave angelangt war, denn er wußte, daß jetzt nichts mehr seinen Feind retten konnte, daß er ihn zur Hölle mitnehmen würde.

Plötzlich kam eine andere Gestalt aus dem Schatten auf sie zugerannt. Als sie Manovitch erreicht hatte, schlang sie ihre Arme um ihn. Manovitch schrie, versuchte sich aus der innigen Umarmung zu befreien, aber das Wesen war zu stark für ihn. Es hielt ihn so dicht an seinen Körper gepreßt wie Fleisch an Knochen.

»Petra!« schrie Dave.

Petra umarmte die tote Seele wie einen Geliebten, von dem man sich vor einer langen Reise verabschiedet. Ihre Wange schmiegte sich an die verkohlte Wange, die Hände waren hinter dem Rücken des Teufels verschränkt, die Beine um seine Unterschenkel geschlungen.

»Verschwinde, Dave!« schrie sie. »Verschwinde!«

Dave wußte nicht, was er tun sollte. Er konnte doch nicht einfach fortgehen und zulassen, daß Manovitch Petra tötete? Die tote Seele mit ihrer enormen Kraft würde sie bestimmt in Stücke reißen. Aber was sollte er tun? Er war nur ein Sterblicher. Petra schien eine gewisse Stärke zu besitzen: es gelang ihr, den Teufel zurückzuhalten.

»Verschwinde!« schrie sie ein drittes Mal.

Dave sah etwas in Petras Augen, etwas, das ihn wünschen ließ, hundert Kilometer weit fort zu sein. Er trat zurück, einen Schritt, zwei Schritte, dann drehte er sich um und lief. Auch die übrigen liefen fort – Lloyd, Rajeb – und versuchten, so viele Meter wie möglich zwischen sich und die beiden zu legen. Zwei tote Seelen waren in einen furchtbaren Kampf verwickelt, und es sah so aus, als würde keine den Schauplatz ohne Verletzungen verlassen.

Als Dave etwa hundert Meter die Straße hinabgelaufen war, hörte er hinter sich eine gedämpfte Explosion und spürte die Hitze am Rücken.

Er drehte sich um und sah eine Flammensäule dort, wo die beiden Gestalten einander umschlangen. Sie reichte bis an die Wolken, ein atemberaubender Pylon aus hellen Flammen und von gleißendem Glanz. Die Flammen wanden sich umeinander, kräuselten sich, bildeten dicke Taue und verbanden sich, um eine weiße Säule aus geschmolzenem Eisen zu formen. Die Hitze versengte eine nicht weit vom Flammenherd entfernt stehende Telefonzelle. Die Farbe blätterte ab, die Scheiben zersprangen, das Metall schmolz und tropfte in den Rinnstein. Es gab noch weitere, kleinere Brände innerhalb der heiligen weißen Waffe der Engel des Herrn.

Auch Daves Kleider waren versengt. Er konnte es riechen. Sie hatten nur nicht Feuer gefangen, weil sie naß waren. Die Menschen um ihn herum hatten in Gassen und Gebäuden Schutz gefunden. Er war der einzige, der dem wütenden, flammenden Inferno, das einst Petra und Manovitch gewesen war, schutzlos gegenüberstand.

»Petra!« schrie er.

Vergebens. Petra konnte ihn nicht mehr hören. Sie konnte niemanden mehr hören. Sie hatte sich geopfert, um Himmel und Erde von einem schrecklichen Widersacher zu befreien. Sie war freiwillig in die Leere gegangen, war in ihrem eigenen weißen Feuer umgekommen, damit Menschen und Engel triumphierten. Ihr Name war nicht länger Petra: ihr Name war Vergessen.

Zurück blieb nur grobe, schwarze, mit feinem weißen Pulver vermischte Asche. Und der Wind kam und wehte sie davon, bis nichts mehr übrig war.

Nachdem Staub und Asche verweht waren, erlebte London eine Himmelfahrt. Der Erzengel erhob sich, schwebte über der Themse und sandte seine Strahlen weiter aus als je zuvor. Straßen und Gebäude sonnten sich in gleißendem Licht, das nur ein Abklatsch des Glanzes der war, der Gott umgab. Dennoch konnte kein Sterblicher den Glanz schauen, der die Sonne übertraf – wenigstens mit bloßen Augen nicht.

Dann schien sich der Erzengel immer schneller zu entfernen, bis er nur noch ein flammender Bogen am Himmel war. Jene, die ihn sahen, sagten, es sei wie ein Stern gewesen, der zum Himmel zurückkehrt. Staunen hielt in ihre Herzen Einzug.

Der heilige Mick war zu den Schlachtfeldern Armageddons zurückgekehrt, seine Mission war beendet.

Den Londonern, die sich an den Lichtdom gewöhnt hatten, schien etwas zu fehlen. Da war eine Lücke im Stadtbild und eine Leere in ihren Herzen. Sie hatten für kurze Zeit einen Erzengel beherbergt. Jetzt war er fort, und nur die verheerenden Folgen seiner Ankunft waren zurückgeblieben.

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

Die Fahrt durch die einst berühmte ›Square Mile‹, das Finanzviertel Londons, war gespenstisch und seltsam zugleich.

Die Straßen waren so ruhig wie ein bis auf die Baumstümpfe heruntergebrannter Fichtenwald. Verschwunden waren die grauen Sandsteingebäude, die Kaffee- und Teehäuser an der Lombard Street; verschwunden waren die Bank of England, die Versicherungspaläste, die modernen Bankhäuser, die großen Bürogebäude. Fort waren die Kapellen und Kirchen, die St. Paul’s Cathedral, die mittelalterlichen Kirchen St. Bartholomew the Great und All-Hallows, Barking; verschwunden die Royal Exchange und das Mansion House. Es war, als wäre das alte London gezielt zerbombt und in Brand gesetzt worden. Überall waren die Ruinen einstmals wunderschöner Gebäude zu sehen. Auf der Fahrbahn lag Schutt, der die Fahrt behinderte und die Gullys verstopfte. Der Fahrer konnte sich nur mit großen Schwierigkeiten einen Weg durch die Trümmer bahnen. Abflüsse liefen über, Gasrohre lagen offen, elektrische Leitungen wanden sich wie schwarze Schlangen durch zerfallene Mauern. Es war Beirut, Sarajevo, Mogadischu und Kabul zugleich.

»Schauen Sie sich das an«, sagte Lloyd verzweifelt. »Es wird ein Vermögen kosten, alles wieder aufzubauen.«

»Es ist nur Geld«, erwiderte Rajeb.

»Es ist nicht nur Geld«, erwiderte Lloyd, »sondern auch Geschichte. Allein der Verlust der wunderbaren Architektur…«

»Ich nehme an, das hat man nach dem Großen Brand auch gesagt«, sagte Rajeb, »obwohl wir ihm die St. Paul’s Cathedral verdanken, eines der schönsten Londoner Bauwerke.«

»Das jetzt nur noch Asche ist«, stöhnte Lloyd.

»Es hat bereits vor dem Großen Brand eine St. Paul’s Cathedral gegeben. Danach bauten sie eine noch schönere. Und jetzt haben wir die Möglichkeit, Wrens Meisterwerk noch zu übertreffen. Vielleicht muß St. Paul’s alle paar hundert Jahre wieder aufgebaut werden.«

Dave begutachtete die Ruinen. »Wenigstens konnten wir Manovitch davon abhalten, uns mit der letzten Plage heimzusuchen, dem Tod der Erstgeborenen. Ich frage mich, wie das funktionieren sollte? Die Erstgeborenen von wem?«

»Von allen Londonern, nehme ich an«, sagte Lloyd. »Ich bin sehr froh, daß es uns gelungen ist, ihn aufzuhalten. Ich bin ein Einzelkind.«

»Und ich bin das älteste Kind«, sagte Rajeb. »Aber nach Daphnes Tod weiß ich nicht mehr, ob ich bleiben will…«

»Genug davon«, sagte Lloyd zu dem jungen Polizisten.

»Daphne hätte bestimmt nicht gewollt, daß Sie so reden. Sie betrachtete Sie beide als starke, unabhängige Menschen, oder?«

»Ja.« Rajeb seufzte. »Ich glaube, ja.«

Das Gespräch begann Dave zu frustrieren, der auf der Suche nach seinem Partner und Freund war. Er sondierte die Gegend, hoffte auf ein Zeichen, auf den flüchtigen Anblick eines Mannes, der aus den Ruinen kam. Plötzlich sah er jemanden unter einem Betonbogen hindurchgehen. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

»Da! Schauen Sie – dort drüben!« schrie er.

Die anderen drehten sich um und starrten in die angegebene Richtung.

»Das wollen wir uns einmal genauer anschauen«, sagte Lloyd.

Der Fahrer steuerte einen Schutthaufen an, auf dem drei Menschen saßen: ein armselig gekleideter Mann, eine Frau, zu deren Füßen zwei mit Kleidern vollgestopfte Plastiktüten lagen, und ein schmuddelig aussehender Jugendlicher. Die drei starrten sie verzückt und mit leuchtenden Augen an.