»Nicht einmal hier.«
Etwas in Krasus' Ton brachte den anderen zum Nicken.
Dann verließ er Krasus eilig und verschwand im Nichts.
Der Zauberer starrte auf die Stelle, wo der andere gestanden hatte, und dachte an die möglichen Konsequenzen ihrer fruchtlosen Unterhaltung. Wenn sie es doch nur einsehen würden! Gemeinsam gab es Hoffnung. Jeder auf sich allein gestellt, konnten sie wenig ausrichten … und das würde ihren Feinden in die Hände spielen.
»Narren«, flüsterte Krasus. »Was sind wir doch für unglaubliche Narren …«
4
Die Paladine brachten sie zu einer Festung, die sich als jene Siedlung herausstellte, von der Vereesa gesprochen hatte. Rhonin zeigte sich wenig beeindruckt. Die hohen Steinmauern rahmten funktionelle, schnörkellose Gebäude ein, in denen heilige Ritter, Schildknappen und eine kleine Anzahl normaler Bürger versuchten, ein Leben in relativer Einfachheit zu fuhren. Die Banner der Bruderschaft wehten neben denen der Allianz von Lordaeron, die von den Rittern der Silbernen Hand tatkräftig unterstützt wurde. Nur die Bürger verhinderten, dass Rhonin die Siedlung für einen militärischen Stützpunkt hielt. Die Regeln des heiligen Ordens regulierten offenbar das Zusammenleben von Zivilisten und Soldaten.
Die Paladine behandelten die Elfe freundlich, einige der jüngeren Ritter bemühten sich sogar um besonderen Charme, wenn sich Vereesa mit ihnen unterhielt. Mit dem Zauberer redeten sie jedoch nur, wenn es unbedingt nötig war und ließen sogar seine Frage, wie lange sie noch für die Reise nach Hasic benötigen würden, unbeantwortet. Vereesa musste die Frage wiederholen, erst dann erhielt er seine Antwort.
Trotz des ersten Eindrucks waren die beiden natürlich keine Gefangenen, aber Rhonin fühlte sich wie ein Ausgestoßener unter diesen Leuten. Sie behandelten ihn mit minimaler Höflichkeit, weil es ihr Schwur gegenüber König Terenas verlangte, doch abgesehen davon blieb er ein Paria.
»Wir sahen den Drachen und die Greife«, sagte ihr Anführer, ein Mann namens Duncan Senturus. »Unsere Pflicht und unsere Ehre geboten es, dass wir sofort ausritten, um Hilfe zu bringen.«
Die Tatsache, dass der Kampf vollständig in der Luft und damit außerhalb ihrer Reichweite ausgetragen wurde, hat weder ihren heiligen Enthusiasmus gedämpft, noch ihren gesunden Menschenverstand auf den Plan gerufen, dachte Rhonin trocken. Sie und die Waldläuferin hatten in dieser Beziehung einiges gemeinsam. Seltsamerweise fühlte der Zauberer jedoch einen Hauch von Eifersucht, da er nicht mehr allein mit Vereesa war. Schließlich wurde sie zu meiner Führerin ernannt. Sie sollte von dieser Pflicht nicht abweichen, bis wir Hasic erreicht haben.
Leider hatte Duncan Senturus auch Pläne, die Hasic betrafen. Als sie abstiegen, bot der breitschultrige ältere Ritter der Elfe seinen Arm an und sagte: »Es wäre eine grobe Unterlassung, wenn wir euch nicht auf dem schnellsten und sichersten Weg zum Hafen begleiten würden. Ich weiß, dass man Euch diese Aufgabe anvertraut hat, Mylady, aber eine höhere Macht scheint dafür gesorgt zu haben, dass Euch Eure Wege zu uns führten. Wir kennen den Weg nach Hasic gut, deshalb wird Euch ein kleiner Trupp unter meiner Leitung im Morgengrauen auf der Reise begleiten.«
Die Waldläuferin schien darüber erfreut zu sein, im Gegensatz zu Rhonin. Alle in der Festung starrten ihn an, als habe er sich in einen Ork oder Goblin verwandelt. Er hatte bereits genügend Verachtung von den anderen Zauberern erfahren und benötigte keine zusätzliche Häme vonseiten der Paladine.
»Das ist sehr freundlich von Euch«, ließ sich Rhonin hinter ihnen vernehmen, »aber Vereesa ist eine fähige Waldläuferin. Wir werden Hasic rechtzeitig erreichen.«
Senturus' Nasenlöcher blähten sich auf, als hätten sie gerade die Witterung von etwas Ekel Erregendem aufgenommen. Der ältere Paladin hielt sein Lächeln mühsam aufrecht und sagte zu der Elfe: »Erlaubt mir, Euch persönlich zu Eurem Quartier zu bringen.« Er sah einen seiner Untergebenen an. »Meric! Finde einen Platz für den Zauberer …«
»Hier lang«, knurrte ein muskelbepackter junger Ritter, der einen breiten Schnurrbart trug. Er schien Rhonin beim Arm greifen zu wollen, auch wenn das bedeutet hätte, ihm den Knochen zu brechen. Rhonin hätte ihm eine Lektion erteilen können, aber zum Schutz der Mission und zur Wahrung des Friedens zwischen den einzelnen Elementen der Allianz trat er einfach nur neben seinen Führer und schwieg während des gesamten Weges.
Er hatte erwartet, dass man ihm den dunkelsten und feuchtesten Platz der ganzen Festung als Nachtlager anbieten würde, aber stattdessen führte man ihn zu einem Zimmer, das vermutlich nicht schlechter war als jene Räumlichkeiten, in denen die mürrischen Krieger lebten. Es war trocken, sauber und verfügte über steinerne Wände, die den Raum umschlossen und nur eine Lücke für eine hölzerne Tür ließen. Rhonin hatte bereits an schlimmeren Orten übernachtet. Das Mobiliar bestand aus einem sauberen hölzernen Bett und einem kleinen Tisch. Da es keine Fenster gab, lieferte eine abgenutzte Öllampe die einzige Beleuchtung. Rhonin erwog, wenigstens um einen Raum mit einem Fenster zu bitten, vermutete jedoch, dass die Ritter nichts Besseres anzubieten hatten. Außerdem war er hier gegen neugierige Blicke geschützt.
»Das ist in Ordnung«, sagte er schließlich, aber der junge Ritter, der Rhonin hergebracht hatte, stieg bereits wieder die Stufen hinab und schloss die Tür hinter sich. Der Zauberer versuchte sich daran zu erinnern, ob die Außenseite der Tür einen Riegel oder ein anderes Schloss besaß, entschied dann jedoch, dass die Paladine sicherlich nicht so weit gehen würden. Mochte Rhonin für sie auch eine verdammte Seele sein, er blieb immer noch ein Verbündeter. Der Gedanke daran, wie unangenehm diese Tatsache für die Ritter sein musste, hob seine Laune ein wenig. Die Ritter der Silbernen Hand waren ihm schon immer überaus scheinheilig erschienen.
Seine unfreiwilligen Gastgeber ließen ihn bis zum Abendessen allein. Dort setzte man ihn dann weit von Vereesa weg, auf die sich die Aufmerksamkeit des Kommandanten konzentrierte, ob sie das nun wollte oder nicht. Niemand außer der Elfe sprach mehr als ein paar Worte mit dem Zauberer, und Rhonin hätte den Tisch unmittelbar nach dem Essen verlassen, wenn Senturus nicht die Sprache auf Drachen gebracht hätte.
»In den letzten Wochen sieht man sie häufiger fliegen«, informierte sie der bärtige Ritter. »Häufiger und verzweifelter. Die Orks wissen, dass sie nur noch wenig Zeit haben, deshalb versuchen sie so viel Zerstörungswerk wie möglich zu hinterlassen, bevor der Tag der Abrechnung mit ihnen kommt.« Er nahm einen Schluck Wein. »Erst vor drei Tagen wurde die Siedlung Juroon von zwei Drachen vernichtet. Bei diesem unseligen Zwischenfall starb mehr als die Hälfte der Bewohner. Die Bestien und ihre Herren flohen, bevor die Greifenreiter den Ort erreichen konnten.«
»Schrecklich«, murmelte Vereesa.
Duncan nickte. Ein Schimmer von beinahe fanatischer Entschlossenheit lag in seinen dunkelbraunen Augen. »Das wird schon bald Vergangenheit sein! Bald werden wir nach Khaz Modan marschieren, auf Grün Batol zu. Dort werden wir die Bedrohung, die von den letzten Resten der Horde ausgeht, endgültig beseitigen! Ork-Blut wird in Strömen fließen!«
»Und gute Männer werden sterben«, sagte Rhonin leise.
Offenbar besaß der Kommandant ein ebenso gutes Gehör wie die Elfe, denn er richtete seinen Blick sofort auf den Magier. »Ja, gute Männer werden sterben. Aber wir haben geschworen, Lordaeron und alle anderen Länder von der Bedrohung, die von den Orks ausgeht, zu befreien – und das werden wir tun, egal, was es uns kostet!«
Unbeeindruckt antwortete Rhonin: »Aber zuerst müsst Ihr etwas gegen die Drachen unternehmen, nicht wahr?«
»Wir werden sie vernichten, Zauberer, sie in die Unterwelt schicken, in die sie gehören. Wenn du und deine teuflischen –«
Vereesa berührte die Hand des Kommandanten und schenkte ihm ein Lächeln, das selbst Rhonin nervös machte. »Wie lange seid Ihr bereits ein Paladin, Lord Senturus?«