Der Ork kniff die Augen zusammen und vermochte doch nicht mehr zu sehen, als einen leeren Korridor. »Komm!«
Sofort begann die Luft rund um den Eingang zu flirren. Kleine Feuerbälle entstanden und verschmolzen miteinander. Eine humanoide Gestalt begann, den Eingang auszufüllen und herauszugleiten.
Etwas, das an einen brennenden Totenschädel erinnerte, entstand dort, wo der Kopf hätte sein sollen. Eine Rüstung, wie aus glühenden Knochen erschaffen, umfloss den Körper eines monströsen Kriegers, der selbst die größten Orks wie Zwerge aussehen ließ. Nekros fühlte keine Hitze von den höllischen Flammen ausströmen, wusste jedoch, dass selbst eine sachte Berührung der Kreatur ihn in ein Meer aus Schmerz hätte stürzen lassen; Qualen, wie sie selbst ein bewährter Krieger noch niemals durchlebt hatte.
Unter den anderen Orks flüsterte man, dass Nekros Skullcrusher einen der legendären Dämonen erweckt habe. Er sah keine Veranlassung, diesem Gerücht zu widersprechen, obwohl Zuluhed die Wahrheit kannte. Die monströse Kreatur, die den Drachen bewachte, war unfähig, einen eigenen Gedanken zu fassen.
Bei seinem Versuch, die Fähigkeiten des mysteriösen Artefakts zu enthüllen, hatte Nekros etwas anderes aus seinem Schlummer gerissen. Zuluhed bezeichnete es als einen Golem des Feuers, entstanden vielleicht aus der Essenz dämonischer Macht, aber keineswegs selbst eines dieser angeblich mystischen Wesen.
Ungeachtet seiner Herkunft oder früheren Verwendung diente der Golem nun als perfekter Wächter. Selbst die mutigsten Krieger gingen ihm aus dem Weg. Nur Nekros konnte ihm Befehle erteilen. Zuluhed hatte es versucht, aber das Artefakt, aus dem der Golem entstanden war, schien eine Verbindung mit dem einbeinigen Ork eingegangen zu sein.
»Ich trete ein«, sagte er zu der grausamen Kreatur.
Der Golem versteifte sich … und verschwand in einem Regen aus ersterbenden Funken. Obwohl Nekros diesen Abschied schon oft gesehen hatte, wich er stets ein Stück weit zurück und wagte es nicht, durch den Eingang zu treten, bis auch der letzte Funke verloschen war.
Als der Ork eintrat, bemerkte eine Stimme: »Ich wusste … dass du … bald hier … sein würdest …«
Die Abscheu in den Worten des angeketteten Drachens beeindruckte den Wärter nicht. In den letzten Jahren hatte er schon weit Schlimmeres gehört. Seine Hand umklammerte das Artefakt, als er sich auf den Kopf der Königin, der mit Eisen gehalten wurde, zu bewegte. Sie hatten einen Wärter an ihre mächtigen Kiefer verloren, ein zweiter sollte dem nicht folgen.
Eigentlich hätten die eisernen Ketten und Stangen nicht ausreichen dürfen, um einen solchen Leviathan zu zähmen, aber sie waren mit der Macht der Scheibe verstärkt worden. Selbst wenn Alexstrasza sich mit aller Kraft wehrte, konnte sie sich niemals befreien. Das hieß jedoch nicht, dass sie es nicht jedes mal wieder aufs Neue versuchte.
»Brauchst du etwas?« Nekros fragte das nicht, weil er sich um sie sorgte. Aber er wollte sie für die Horde am Leben erhalten.
Einst hatten die roten Schuppen der Königin wie edles Metall geglänzt. Noch immer füllte sie die große Kammer vom Kopf bis zur Schwanzspitze aus, aber in letzter Zeit sah man ihre Rippen unter der Haut und ihre Worte klangen angestrengter. Doch trotz ihres schlechten Zustands war der Hass nicht aus ihren großen goldenen Augen gewichen. Der Ork wusste, dass er, sollte der Drachenkönigin je die Flucht gelingen, als Erster von ihr zermalmt oder zu Asche verbrannt würde. Da die Wahrscheinlichkeit dafür jedoch sehr gering war, machte sich selbst der einbeinige Nekros darüber keine Gedanken.
»Der Tod wäre nett …«
Er grunzte und wandte sich ab von solch sinnloser Unterhaltung. Während ihrer langen Gefangenschaft hatte sie einmal versucht sich zu Tode zu hungern, aber er hatte einfach eines ihrer Eier vor ihrem entsetzten Blick zerbrochen, um diese Gefahr abzuwenden. Obwohl Alexstrasza wusste, dass jeder ihrer Nachkommen ausgebildet wurde, um die Feinde der Horde zu terrorisieren und wahrscheinlich in diesem Kampf zu sterben, hoffte sie immer noch, dass sie eines Tages frei sein würden. Mit dem Vernichten der Eier verging auch ein Teil dieser Hoffnung. Ein Drache weniger, der vielleicht eines Tages sein eigener Herr sein würde.
Wie immer inspizierte Nekros die neue Brut. Dieses Mal gab es fünf Eier, eine gute Anzahl, obwohl die meisten etwas kleiner als sonst waren. Das bereitete ihm Sorgen. Sein Häuptling hatte sich bereits über die kleinen Drachen aus dem letzten Wurf beschwert, obwohl selbst ein kleiner Drache noch die Größe mehrerer Orks hatte.
Nekros ließ die Scheibe in eine sichere Tasche an seiner Hüfte gleiten und hob eines der Eier auf. Der Verlust seines Beins hatte seine Arme nicht geschwächt und so konnte der große Ork es problemlos bewegen. Er bemerkte, dass das Ei ein vielversprechendes Gewicht hatte. Wenn die anderen Eier ebenfalls so schwer waren, würden aus ihnen zumindest gesunde Drachen schlüpfen. Am besten brachte er sie sobald wie möglich nach unten in die Brutkammer. Die vulkanische Hitze, die dort herrschte, war ideal, um das Schlüpfen der Tiere zu beschleunigen.
Als Nekros das Ei wieder ablegte, murmelte die Königin: »All dies ist völlig sinnlos, Sterblicher. Dein kleiner Krieg ist fast vorüber.«
»Vielleicht hast du Recht«, knurrte er und überraschte sie vermutlich mit seiner Offenheit, »aber wir kämpfen bis zum bitteren Ende, Echse.«
»Dann werdet ihr es ohne uns tun müssen. Du weißt, dass mein letzter Begleiter stirbt. Ohne ihn wird es keine neuen Eier mehr geben.« Ihre leise Stimme war kaum noch zu hören. Die Drachenkönigin atmete mühsam aus, als wäre die Unterhaltung bereits zu viel für ihren geschwächten Körper.
Er sah in ihre Reptilienaugen. Nekros wusste, dass Alexstraszas letzter, noch verbliebener Gefährte tatsächlich im Sterben lag. Sie hatten ursprünglich drei besessen, doch einer war bei seinem Versuch, über das Meer zu fliehen, gestorben, und der Zweite hatte seine Verletzungen nicht überlebt, nachdem der rebellische Drache Deathwing ihn überraschend attackiert hatte. Der Dritte und Älteste von ihnen war an der Seite seiner Königin geblieben, aber er war noch um Jahrhunderte älter selbst als Alexstrasza, und diese Jahrhunderte, verbunden mit fast tödlichen Verletzungen, verlangten jetzt ihren Preis.
»Dann finden wir einen anderen.«
Es gelang ihr zu schnaufen. Ihre Worte waren nicht mehr als ein Flüstern. »Und wie … wollt ihr das anstellen?«
»Wir finden einen.« Er hatte keine andere Antwort für sie, aber Nekros wollte verdammt sein, wenn er der Echse die Genugtuung gewährte, auf die sie spekulierte. Ärger und lange aufgestaute Frustration kochten in ihm hoch. Er hinkte zu ihr. »Und was dich angeht, Echse –«
Nekros hatte sich dicht an den Kopf der Drachenkönigin herangewagt, wohl in der Gewissheit, dass sie dank der magischen Fesseln nicht in der Lage sein würde, ihn zu fressen oder einzuäschern. Deshalb erschrak er, als sich Alexstraszas Kopf plötzlich trotz der Fesseln drehte und sein gesamtes Gesichtsfeld ausfüllte. Das Maul der Königin öffnete sich weit, und der Ork starrte in den erschütternd tiefen Rachen der Kreatur, die ihn verschlingen wollte.
Das vermochte sie jedoch nicht, denn Nekros reagierte blitzschnell. Er griff in die Tasche, in der sich die Dämonenseele befand, murmelte ein einziges Wort und dachte einen einzigen Befehl.
Ein schmerzerfülltes Brüllen hallte durch die Kammer und ließ Felsbrocken von der Decke fallen. Der rote Drache bog den Kopf so weit zurück, wie es ihm möglich war. Die Klammer um seinen Hals leuchtete so grell, dass der Ork seine Augen bedecken musste.
Neben ihm tauchte der flammende Diener der Scheibe auf. Seine dunklen Augenhöhlen wandten sich Nekros zu, erwarteten seinen Befehl. Der Zauberer benötigte die Kreatur jedoch nicht mehr, denn das Artefakt selbst hatte die Situation, die fast in der Katastrophe gegipfelt hätte, unter Kontrolle gebracht.