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Vereesa stand neben dem sich erholenden Magier, ihre Hand ruhte auf dem Griff ihres Schwertes. Ihre Rolle als seine Verteidigerin vor diesem improvisierten Gerichtshof war klar, und sie fühlte sich dazu nicht allein, wie Rhonin denken mochte, aufgrund ihres Eides verpflichtet. Nach ihrer beider Erfahrung mit dem Drachen vermochte sie ihn sicherlich besser einzuschätzen als diese Ritter-Trampel.

»Ich werde Euch erzählen, was ich weiß – was aber auch heißt, dass es nicht sonderlich viel ist, Mylord. Ich stand oben auf der Mauer beim Wachturm, aber ich trage keine Schuld an der Zerstörung. Ich hörte eine Explosion, die Mauer wankte und einer Eurer Soldaten hatte das Pech, über den Rand zu stürzen, ein Ereignis, für das ich mein ehrliches Beileid aussprechen möchte …«

Duncan hatte noch nicht seinen Helm aufgesetzt und fuhr sich nun mit der Hand durch das ergraute und licht gewordene Haar. Er sah aus, als ringe er in beachtlichem Kampfe um die Kontrolle über seine Gefühle. »In Eurer Geschichte klaffen bereits jetzt Risse, so tief wie der Abgrund Eures Herzens, Zauberer, und Ihr habt kaum erst begonnen zu reden! Es gibt Zeugen, welche trotz Eurer Bemühungen noch am Leben sind, und die Euch Magie wirken sahen, kurz bevor die Verwüstung einsetze. Eure Lügen fällen das Urteil über Euch!«

»Oh nein, Ihr verurteilt mich, so wie Ihr alle meiner Art für unsere bloße Existenz verurteilt«, gab Rhonin ruhig zurück. Er nahm einen weiteren Bissen des harten Brotes und fügte dann hinzu: »Ja, Mylord, ich wirkte einen Zauber, aber nur einen, der die Zwiesprache über weite Entfernungen ermöglicht. Ich wollte einen meiner Ältesten um Rat fragen, wie ich meine Mission, die von den höchsten Autoritäten der Allianz abgesegnet wurde, fortfahren soll … Die ehrenwerte Waldläuferin hier wird Euch dies sicher bestätigen.«

Als sich die Blicke des Ritters auf Vereesa richteten, sagte sie: »Seine Worte entsprechen der Wahrheit, Duncan. Ich sehe auch keinen Grund, weshalb er einen solchen Schaden hätte anrichten sollen …« Sie hob eine Hand, als der ältere Krieger zum Widerspruch ansetzte, zweifellos, um erneut darzulegen, dass sich alle Zauberer bereits in dem Augenblick, da sie ihre Künste aufnahmen, in verdammte Seelen verwandelten. »… und ich werde gegen jeden Mann im Zweikampf antreten, Euch eingeschlossen, wenn sich dies als notwendig erweisen sollte, um seine Rechte und seine Freiheit wiederherzustellen.« Lord Senturus wirkte verstimmt ob des Gedankens, der Elfe im Kampf begegnen zu müssen. Er blickte Rhonin an und nickte schließlich langsam. »Nun denn. Ihr habt eine standhafte Verteidigerin, Zauberer, und auf ihr Wort und Gewissen will ich annehmen, dass Ihr nicht verantwortlich seid für das, was geschah.« Doch kaum hatte er die Worte gesprochen, stieß der Paladin einen Finger in Richtung des Magiers. »Aber ich möchte mehr über Eure Eindrücke in jenem Moment des Anschlags hören und, falls Ihr es aus Euren Erinnerungen herauspressen könnt, wie es dazu kam, dass Ihr hier in unsere Mitte fallen konntet, wie ein Blatt von einem hohen Baum …«

Rhonin seufzte, sich dessen bewusst, dass er um diese Geschichte nicht herumkommen würde. »Wie Ihr wünscht. Ich versuche, Euch alles zu berichten, was ich weiß.« Es war nicht viel mehr, als das, was er schon preisgegeben hatte. Einmal mehr erzählte ihnen der erschöpfte Magier vom Erklimmen der Mauer, von seinem Entschluss, seinen Mentor um Rat zu befragen – und der plötzlichen Explosion, die das Gemäuer erschüttert hatte.

»Ihr seid Euch dessen sicher, was Ihr gehört zu haben meint?«, fragte ihn Duncan Senturus umgehend.

»Ja. Auch wenn ich es nicht über jeden Zweifel erhaben beweisen kann, hörte es sich an wie eine gezündete Sprengladung.«

Die Explosion bedeutete nicht, dass die Goblins dafür verantwortlich waren, andererseits hatten Jahre des Krieges solche Schlussfolgerungen selbst im Kopf des Zauberers verwurzelt. Niemand hatte Goblins in diesem Teil von Lordaeron gemeldet, doch Vereesa hatte einen Vorschlag. »Duncan, vielleicht brachte der Drache, der uns zuvor verfolgt hat, ein oder zwei Goblins mit sich. Sie sind klein, geschickt und sicherlich dazu imstande, sich für wenigstens ein, zwei Tage zu verstecken. Das würde manches erklären.«

»Das würde es in der Tat«, pflichtete er wiederstrebend bei. »Und wenn dem tatsächlich so ist, müssen wir doppelt wachsam sein. Goblins kennen keinen anderen Zeitvertreib, als Unruhestifterei und Zerstörung. Sie werden mit Sicherheit erneut zuschlagen.«

Rhonin fuhr mit seinem Bericht fort und erzählte, wie er als Nächstes in die zweifelhafte Sicherheit des Turmes geflohen war, nur um diesen um sich herum zusammenstürzen zu sehen. An dieser Stelle hielt er inne, überzeugt, dass Senturus seine nächsten Worte im besten Fall als fragwürdig bewerten würde.

»Und dann packte mich … irgendetwas … Mylord. Ich weiß nicht, was es war, aber es hob mich auf, als sei ich ein Spielzeug, und trug mich fort von der Vernichtung. Unglücklicherweise ließ mir der eiserne Griff kaum Luft zum Atmen, und als ich erneut meine Augen aufschlug …«, der Zauberer blickte zu Vereesa, »… sah ich ihr Gesicht über mir.« Duncan wartete auf mehr, aber als sich abzeichnete, dass dieses Warten vergeblich war, schlug er mit einer Hand auf sein gepanzertes Knie und brüllte: »Und das ist alles? Das soll alles sein, was Ihr wisst?«

»Das ist alles.«

»Bei dem Geiste von Alonsus Faol!«, schnappte der Paladin, den Namen des Erzbischofs bemühend, dessen Vermächtnis durch seinen Schüler Uther Lightbringer zur Gründung des heiligen Ordens geführt hatte. »Ihr habt uns nichts erzählt, absolut nichts von Wert! Wenn ich nur für einen Moment gedacht habe …« Eine leichte Bewegung Vereesas ließ ihn einhalten. »Aber ich habe mein Wort gegeben und das von anderen angenommen. Ich werde mich meiner vorherigen Entscheidung beugen.« Er erhob sich, eindeutig nicht länger an der Gesellschaft des Zauberers interessiert. »Ich werde eine weitere Entscheidung hier und jetzt treffen. Wir befinden uns bereits auf dem Weg nach Hasic. Ich sehe keinen Grund, weshalb wir nicht so schnell wie möglich dorthin reiten und Euch auf Euer Schiff befördern sollten. Mögen sie sich dort mit Eurer Situation arrangieren, wie es ihnen beliebt. Wir brechen in einer Stunde auf. Seid bereit, Zauberer!«

Damit wandte sich Lord Duncan Senturus ab und marschierte von dannen. Seine treu ergebenen Ritter folgten ihm auf den Fuß. Rhonin blieb allein zurück – abgesehen von der Waldläuferin, die sich vor ihm niederließ. Ruhig schaute sie ihn an. »Fühlt Ihr Euch stark genug, um zu reiten?«

»Abgesehen von der Erschöpfung und ein paar Kratzern, scheine ich noch ganz zu sein, Elfe.« Rhonin erkannte, dass die Worte schärfer geklungen hatten als beabsichtigt. »Es tut mir Leid. Ja, ich denke, ich werde reiten können – und was immer nötig ist, um rechtzeitig zum Hafen zu gelangen.«

Sie erhob sich wieder. »Ich werde die Tiere vorbereiten. Duncan hat ein zusätzliches Pferd mitgebracht, für den Fall, dass wir Euch finden. Ich sorge dafür, dass es bereit steht, wenn Ihr soweit seid.«

Als sich die Waldläuferin abwandte, verspürte der müde Zauberer eine ungewöhnliche Gefühlsaufwallung. »Danke, Vereesa Windrunner.«

Vereesa blickte über die Schulter. »Mich um die Pferde zu kümmern, ist Teil meiner Pflichten als Eure Führerin.«

»Ich meinte Euren Beistand während all dem hier, das leicht in eine Inquisition hätte umschlagen können.«

»Dies war ebenso Teil meiner Pflichten. Ich leistete gegenüber meinen Herren den Schwur, Euch lebend an Euer Ziel zu bringen.« Entgegen ihren strengen Worten zuckten ihre Mundwinkel flüchtig in Andeutung eines Lächelns. »Macht Euch besser fertig, Meister Rhonin. Das wird kein Spaziergang. Wir haben viel Zeit aufzuholen.«

Dann überließ sie ihn sich selbst. Rhonin starrte in das erlöschende Lagerfeuer und dachte an all die Dinge, die geschehen waren. Vereesa konnte nicht wissen, wie nah sie der Wahrheit mit ihrer Bemerkung gekommen war. Die Reise nach Hasic würde kein einfacher Ritt werden, und das nicht nur aus Zeitgründen.