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Er war nicht völlig ehrlich zu ihnen gewesen, nicht einmal zu der Elfe. Rhonin hatte zwar nichts in seiner Geschichte ausgelassen, jedoch seine eigenen Schlussfolgerungen dazu verschwiegen. Hinsichtlich der Paladine empfand er keine Reue, aber Vereesas Hingabe, mit der sie ihre Aufgabe erfüllte und für seine Sicherheit Sorge trug, weckte in ihm das schlechte Gewissen.

Rhonin wusste nicht, wer die Sprengladung gelegt hatte. Vermutlich Goblins. Eigentlich war es ihm auch gleichgültig. Was ihm nicht gleichgültig war, hatte er unterlassen zu erwähnen. Denn als er davon erzählte, wie er in dem einstürzenden Turm von etwas gepackt worden war, hatte er verschwiegen, dass es sich wie eine riesige Hand angefühlt hatte. Nun, sie hätten ihm vermutlich ohnehin keinen Glauben geschenkt, oder, was Senturus anging, dies gar als Beweis für seinen Umgang mit Dämonen gewertet.

Eine riesige Hand hatte Rhonin gerettet, aber es war mit Sicherheit keine menschliche gewesen. Selbst der kurze Moment ihrer Wahrnehmung hatte ausgereicht, um die schuppige Haut und die übermannsgroßen, tückisch gebogenen Klauen zu erkennen.

Ein Drache hatte den Zauberer vor dem sicheren Tod bewahrt … und Rhonin hatte nicht die geringste Ahnung, warum.

6

»Also, wo ist er? Ich kann meine Zeit nicht mit dem Herumspazieren in diesen Hallen der Dekadenz verschwenden!«

Zum, wie es schien, tausendsten Mal zählte König Terenas lautlos bis zehn, bevor er auf Genn Greymanes letzten Ausbruch antwortete. »Lord Prestor wird in Kürze eintreffen, Genn. Ihr wisst, dass er uns in dieser Angelegenheit alle zusammenbringen will.«

»Ich weiß nichts dergleichen«, grollte der hünenhafte Mann in der schwarzgrauen Rüstung. Genn Greymane erinnerte den König an nichts Geringeres als einen Bären, der gelernt hatte, Kleidung zu tragen, wenn auch etwas derbe. Er schien akut gefährdet, aus seinem Rüstzeug hervorzuplatzen, und wenn der Herrscher von Gilneas einen weiteren Krug des guten Ales hinunterschüttete oder eine weitere der reichhaltigen Lordaeroner Pasteten zu sich nahm, die Terenas' Koch zubereitet hatte, würde sicherlich genau das auch passieren.

Trotz Greymanes bärenhaftem Erscheinungsbild und seiner arroganten, unverblümten Art, unterschätzte der König den Krieger aus dem Süden nicht. Greymanes politische Winkelzüge waren legendär, gerade auch der jüngste. Wie er es fertig gebracht hatte, Gilneas eine Stimme in einer Angelegenheit zu verleihen, die das entfernte Königreich nicht einmal betraf, beeindruckte Terenas nach wie vor.

»Ebenso könntet ihr versuchen, dem Wind vorzuschreiben, dass er nicht mehr heulen soll«, erklang eine kultiviertere Stimme vom entgegengesetzten Ende der großen Halle. »Ihr hättet damit sicher mehr Erfolg, als wenn ihr versuchen würdet, diese Kreatur auch nur für einen Augenblick zum Schweigen zu bringen!«

Sie alle hatten sich geeinigt, in der kaiserlichen Halle zusammenzukommen, einem Ort, an dem in vergangenen Zeiten die bedeutendsten Verträge von ganz Lordaeron ausgehandelt und unterzeichnet worden waren. Mit ihrer reichen Geschichte und dem altertümlichen und dennoch ehrwürdigen Zierrat verlieh die Halle jedweder hier stattfindenden Besprechung eine enorme Bedeutung … und mit Sicherheit war die Alterac-Frage von existenzieller Bedeutung für die Allianz.

»Wenn Euch der Ton meiner Stimme nicht zusagt, Lordadmiral«, schnarrte Greymane, »kann guter Stahl jederzeit dafür sorgen, dass Ihr Euch weder sie noch irgendetwas anderes jemals wieder anhören müsst.«

Lordadmiral Daelin Proudmoore erhob sich in einer fließenden, lange eingeübten Bewegung. Der hagere, wettergegerbte Seemann griff nach seinem Schwert, das für gewöhnlich an der Seite seiner grünen Flottenuniform herabhing, aber die Scheide klapperte nur leer. Ebenso die von Genn Greymane. Die eine Sache, auf die man sich widerstrebend bereits zu Beginn geeinigt hatte, war, dass keines der Staatsoberhäupter eine Waffe zu den Besprechungen mitbringen würde. Sie hatten sogar zugestimmt – selbst Genn Greymane – von ausgewählten Wachen der Ritter der Silbernen Hand durchsucht zu werden, der einzigen Verbindung, der sie alle trauten, ungeachtet ihres Treueids gegenüber Terenas.

Natürlich war es Prestors Verdienst, dass die unglaubliche Versammlung bis zu diesem Stadium gediehen war. Die Monarchen der großen Reiche fanden nur selten zusammen. Normalerweise verkehrten sie untereinander durch Boten und Diplomaten oder gelegentlichen Staatsbesuchen. Nur der erstaunliche Prestor hatte Terenas' unsichere Verbündete überreden können, ihren Stab und ihre Leibgarden vor der Tür zu belassen und die Dinge von Angesicht zu Angesicht zu klären.

Wenn der junge Adlige doch endlich auch selbst erschienen wäre …

»Mylords! Gentlemen!« Verzweifelt um Unterstützung ringend, blickte der König zu der ernsten Gestalt am Fenster, eine Gestalt in Leder und Pelz, die der milden Witterung dieser Region Hohn sprach. Ein wild wuchernder Bart und eine Hakennase waren alles, was Terenas vom schroffen Gesicht Thoras Trollbanes ausmachen konnte, aber er wusste, dass, auch wenn dieser ein großes Interesse an der Aussicht vorgaukelte, der Lord von Stromgarde sich jedes Wort und jeden Tonfall seiner Gegenspieler verinnerlicht hatte. Dass er nichts unternahm, um Terenas beizustehen, erinnerte diesen an die Kluft, die sich zwischen ihnen seit Beginn dieser verzwickten Geschichte aufgetan hatte.

Verdammt sei Lord Perenolde!, dachte der König von Lordaeron. Wenn er uns nur nicht zu all dem gezwungen hättet.

Obwohl Ritter des heiligen Ordens bereit standen, um einzuschreiten, falls einer der Monarchen tatsächlich handgreiflich werden sollte, war es weniger die physische Gewalt, die Terenas fürchtete, als vielmehr das Ende aller Hoffnung auf einen Fortbestand der Allianz zwischen den menschlichen Königreichen. Er hatte nicht einen Moment lang das Gefühl, dass die Bedrohung durch die Orks für immer gebannt sei. Die Menschen mussten in dieser gefahrvollen Zeit zusammenstehen. Er wünschte sich, Anduin Lothar, Lordregent der Flüchtlinge des verlorenen Reiches von Azeroth, wäre bei ihnen gewesen, doch dies war nicht möglich und ohne Lothar blieb nur noch …

»Mylords! Kommt, kommt! Dies ist sicher kein angemessenes Verhalten für uns.«

»Prestor!«, keuchte Terenas. »Seid gepriesen!«

Die anderen wandten sich um, als die hoch gewachsene, tadellose Gestalt die große Halle betrat. Der Eindruck, den der Mann auf die Ältesten macht, ist erstaunlich, dachte der König. Er spaziert herein, und jeder Streit endet. Grimmige Rivalen legen ihre Schwerter beiseite und sprechen vom Frieden!

Ja, er war eindeutig die richtige Wahl, um Perenolde zu ersetzen.

Terenas beobachtete, wie sein Freund durch den Raum schritt, jeden der Monarchen begrüßte und dabei alle so behandelte, als wären sie beste Freunde. Vielleicht waren sie dies tatsächlich, denn Prestor schien keinerlei Hochmut in sich zu tragen. Gleichgültig, ob er mit dem rauhen Thoras oder dem intriganten Greymane sprach, Prestor wusste stets, wie er mit ihnen umzugehen hatte. Die Einzigen, die ihn niemals vollständig hatten akzeptieren können, waren die Zauberer von Dalaran, doch andererseits: Es waren Zauberer.

»Vergebt meine Verspätung«, setzte der junge Aristokrat an. »Ich bin einfach losgeritten, habe die Landschaft genossen und dabei schlicht unterschätzt, wie viel Zeit es mich kosten würde, umzukehren.«

»Es ist schon gut«, erwiderte Thoras Trollbane freundlich.

Ein weiteres Beispiel für Prestors beinahe magische Wirkung. Denn wenngleich er ein Freund und Verbündeter war, dem jeder Respekt gebührte, sprach Thoras Trollbane sonst nie freundlich zu jemandem, ohne dass man ihm dabei die Anstrengung ansah. Er neigte zu kurzen, klaren Sätzen, um dann in Schweigen zu verfallen. Dieses Schweigen war nicht als Affront gedacht, wie Terenas nach und nach gelernt hatte. Es war vielmehr so, dass Thoras sich bei längeren Gesprächen schlicht unwohl fühlte. Als Mann, der im kalten, gebirgigen Stromgarde verwurzelt war, zog er Taten allemal Worten vor.