Dennoch näherten sie sich vorsichtig und im Bewusstsein, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Vereesa und die Ritter hatten ihre Hand am Schwertgriff, während Rhonin im Geiste sein Repertoire an Zaubersprüchen durchging. Niemand wusste, was sie erwartete, aber sie alle waren überzeugt, es sehr bald zu erfahren.
Und gerade, als sie in Sichtweite des Stadttores kamen, bemerkte Rhonin drei Unheil verkündende Schemen, die in den Himmel aufstiegen.
Das Pferd des Zauberers scheute. Vereesa griff Rhonin in die Zügel und brachte das Tier unter Kontrolle. Einige der Ritter setzten an, ihre Schwerter zu ziehen, doch Duncan bedeutete ihnen sofort, ihre Waffen stecken zu lassen.
Wenige Augenblicke später sank das Trio riesiger Greife vor der Gruppe herab; zwei ließen sich in den Wipfeln der größten Bäume nieder, der dritte landete unmittelbar vor ihnen.
»Wen zieht es da nach Hasic?«, verlangte sein Reiter zu wissen, ein bronzehäutiger, bärtiger Krieger, der, obgleich er dem Magier kaum bis zur Schulter reichte, durchaus imstande schien, nicht nur diesen hochzustemmen, sondern dessen Pferd noch dazu.
Sogleich ritt Duncan vor. »Seid gegrüßt, Greifenreiter! Ich bin Duncan Senturus vom Orden der Ritter der Silbernen Hand, und ich geleite diese Reisegruppe zum Hafen. Wird Hasic von etwas heimgesucht, wenn Ihr mir die Frage erlaubt?«
Der Zwerg gab ein raues Lachen von sich. Er hatte nichts von der untersetzten Statur seiner erdverbundeneren Verwandten. Er ähnelte im Ganzen mehr einem Barbarenkrieger, den ein Drache gepackt und auf halbe Größe zusammengestaucht hatte. Er hatte Schultern, die breiter waren, als die des stärksten Ritters, und seine Muskeln spielten sozusagen von selbst. Eine wilde Haarpracht umrahmte flatternd sein hartgesottenes, kantiges Gesicht.
»Von zwei Drachen, ja. Hasic ist von ihnen heimgesucht worden. Sie kamen vor drei Tagen und zerstörten oder verbrannten alles, was sie erreichen konnten. Wäre meine Staffel nicht an genau diesem Morgen eingetroffen, würde von Eurem wertvollen Hafen nichts mehr existieren, Mensch! Sie hatten kaum begonnen, als wir sie in die Lüfte zurück zwangen! Es war ein glorreicher Kampf, aber wir verloren Glodin …« Die Zwerge schlugen sich mit der Faust aufs Herz. »Möge sein Geist wacker kämpfen bis in die Ewigkeit!«
»Wir sahen einen Drachen«, mischte sich Rhonin ein, da er fürchtete, dass das Trio in eine der epischen Klagelitaneien verfallen würde, für die Zwerge berüchtigt waren. »Der Zeitpunkt würde passen. Ein Drache mit einem Ork als Lenker. Drei von Euch kamen und griffen ihn an …«
Der Anführer der Reiter harte ihn mit finsteren Blicken bedacht, kaum dass er den Mund öffnete, doch als er den anderen Kampf erwähnte, hellte sich die Miene des Zwerges auf, und das breite Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Aye, das waren wir auch, Mensch. Verfolgten das feige Reptil und holten es vom Himmel! Es war auch ein guter und gefährlicher Kampf. Molok da oben …«, er zeigte auf einen dicken Zwerg mit Glatzenansatz in der Baumkrone zu Rhonins Linken, »… verlor seine prächtige Axt, aber immerhin hat er noch seinen Hammer, was, Molok?«
»Würde eher meinen Bart abscheren als meinen Hammer verlieren, Falstad!«
»Aye, 's iss der Hammer, der bei Frauen den größten Eindruck macht, richtig?«, gab Falstad mit leichtem Lachen zurück. Der Zwerg schien Vereesa erst jetzt zu bemerken. Seine braunen Augen strahlten. »Und was haben wir hier für eine holde Elfendame!« Noch immer auf dem Greif sitzend, machte er den unbeholfenen Versuch einer Verbeugung. »Falstad Dragonreaver, zu Euren Diensten, Elfendame!«
Spät fiel Rhonin ein, dass die Elfen von Quel'Thalas das einzige andere Volk waren, dem die wilden Zwerge der Aeries wirklich trauten. Allerdings schien das nicht der einzige Grund zu sein, weshalb Falstad nun seine ganze Aufmerksamkeit Vereesa zuwandte; genau wie Senturus fand der Greifenreiter sie offensichtlich überaus anziehend.
»Ich grüße Euch, Falstad«, antwortete die Waldläuferin mit dem Silberhaar ruhig. »Und meinen Glückwunsch zu Eurem großen Sieg. Zwei Drachen sind eine beeindruckende Leistung für eine einzige Flugstaffel.«
»Die reine Routine für meine Leute, nichts Besonderes.« Er lehnte sich so weit es ging nach vorne. »Aber wir wurden in dieser Gegend schon eine Weile nicht mehr mit der Gegenwart von jemandem Eures Geblüts geehrt, vor allem nicht mit solch einer schönen Lady wie Euch! Wie kann Euch ein armer, kleiner Krieger wie ich am besten dienen?«
Rhonin sträubten sich die Nackenhaare. Der Tonfall des Zwerges bot dort, wo sich seine Worte noch zurückhielten, durchaus mehr als nur höfliche Unterstützung an. Solche Dinge hätten den Zauberer normalerweise nicht berühren sollen, und doch taten sie es in diesem Augenblick.
Vielleicht fühlte Duncan Senturus das Gleiche, denn er antwortete, bevor ihm jemand zuvorkommen konnte: »Wir schätzen Euer Hilfsangebot, aber wir werden es kaum in Anspruch nehmen müssen. Es gilt nur, das Schiff zu erreichen, das den Zauberer erwartet, sodass er sich fort von unseren Gestaden begeben kann.«
Die Wortwahl des Paladins klang, als wäre Rhonin aus Lordaeron verbannt worden, weshalb der Magier mit mühsam unterdrücktem Zorn hinzufügte: »Ich befinde mich auf einer Mission in Diensten der Allianz.«
Falstad schien unbeeindruckt. »Wir haben keinen Grund, Euch davon abzuhalten, Hasic zu betreten und nach Eurem Schiff zu suchen, Mensch, aber Ihr werdet feststellen, dass nach dem Angriff der Drachen nicht allzu viele übrig geblieben sind. Auch das Eure ist vermutlich Treibgut des Meeres geworden!«
Dieser Gedanke war auch schon Rhonin gekommen, doch es nun aus dem Mund des Zwerges zu hören, ließ seine Zuversicht merklich sinken. Doch er konnte und wollte nicht schon in einem so frühen Stadium seiner Reise aufgeben. »Ich muss es herausfinden.«
»Dann werden wir Euch nicht länger aufhalten.« Falstad trieb sein Reittier vorwärts, warf Vereesa einen letzten ausgiebigen Blick zu und grinste. »War mir eindeutig ein Vergnügen, meine wunderschöne Elfendame!«
Die Waldläuferin nickte ihm zu, und der Zwerg und sein Reittier erhoben sich in die Lüfte. Die mächtigen Flügel erzeugten einen Wind, der Staub in die Augen der Reisegesellschaft peitschte, und die plötzliche Nähe des Greifen beim Verlassen des Bodens veranlasste selbst die erfahrensten Pferde, einen Schritt zurückzuweichen. Die anderen Zwerge schlossen sich Falstad an, und die drei Greife schraubten sich rasch hinauf in den Himmel. Rhonin beobachtete, wie sich die schnell schemenhaft werdenden Gestalten Richtung Hasic drehten und dann mit unglaublicher Geschwindigkeit davonflogen.
Duncan spuckte feine Sandkörnchen aus; seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er keine wesentlich höhere Meinung über Zwerge wie über Zauberer. »Lasst uns weiterreiten. Das Glück mag noch immer auf unserer Seite sein.«
Ohne ein weiteres Wort rückten sie auf den Hafen zu. Es dauerte nicht lange, und sie konnten sehen, dass Hasic sogar noch stärker in Mitleidenschaft gezogen worden war, als Falstad es angedeutet hatte. Die ersten Gebäude, an denen sie vorbeikamen, waren noch mehr oder weniger intakt, doch mit jedem Augenblick, der verstrich, nahmen die sichtbaren Schäden zu. Die Getreidefelder um die Stadt waren niedergebrannt, die Behausungen der Landbesitzer lagen in Trümmern. Stabilere Häuser aus Stein hatten die Verwüstung weit besser überstanden, doch hier und da gab es welche, die vollständig dem Erdboden gleich gemacht waren, als hätten sich die Drachen diese Stellen zur Zerstörung regelrecht herausgepickt.
Der Gestank von Verbranntem drang an die sensiblen Sinne des Zauberers. Nicht alles, was die beiden Leviathane eingeäschert hatten, war aus Holz gemacht gewesen.
Wie viele der Bewohner Hasics mochten bei dieser Wahnsinnstat umgekommen sein? Auf der einen Seite konnte Rhonin durchaus auch die Verzweiflung der Orks verstehen, die mittlerweile wohl begriffen hatten, dass ihre Aussichten, diesen Krieg noch für sich zu entscheiden, gegen Null tendierten – auf der anderen Seite schrien Taten wie diese regelrecht nach Vergeltung.