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»Da, Zauberer, schaut!«

Er schrak zusammen und wurde sich erst jetzt bewusst, dass er irgendwann in den letzten Minuten eingedöst war. Rhonin spähte über Moloks Schulter in die Richtung, die ihm der Zwerg wies. Durch den Tränenfilm konnte der Zauberer zunächst nichts erkennen. Doch nachdem sich sein Blick geklärt hatte, entdeckte er zwei dunkle Flecken am Horizont. Zwei bewegungslose Flecken. »Ist das Land?«

»Aye, Zauberer! Die ersten Vorläufer von Khaz Modan.«

So nah! Neuer Lebensmut, fast ein Hochgefühl stieg in Rhonin auf, als er begriff, dass es ihm gelungen war, den Rest des Fluges regelrecht zu verschlafen.

Khaz Modan! Gleichgültig, wie gefährlich die Reise von nun an werden würde, er hatte es immerhin bis hierher geschafft. Bei der Geschwindigkeit der Greifen würde es nur noch kurze Zeit dauern, bis sie auf festem Boden niedergingen …

Zwei neue Flecken zogen seine Aufmerksamkeit auf sich, zwei Flecken in der Luft, die sich bewegten und dabei größer wurden, als kämen sie der Gruppe entgegen!

»Was ist das? Was kommt da auf uns zu?«

Molok beugte sich blinzelnd nach vorn. »Bei den zerklüfteten Eisbergen von Northeron … Drachen! Zwei davon!«

Drachen …

»Rote?«

»Kümmert Euch die Farbe des Himmels, Zauberer? Ein Drache ist ein Drache, bei meinem Bart, und die da kommen verflucht rasch auf uns zu!«

Ein Blick zu den anderen Greifenreitern zeigte Rhonin, dass dort die Drachen auch entdeckt worden waren. Die Zwerge begannen sofort auf Falstads Befehl, ihre Formation zu ändern und fächerten auseinander, um jeder für sich ein eigenes, schwieriger angreifbares Ziel zu bieten.

Rhonin bemerkte, dass Falstad selbst sich zurückfallen ließ, vermutlich, weil Vereesa mit ihm ritt. Auf der anderen Seite schoss der Greif, auf dem Duncan Senturus saß, nach vorn und ließ den Rest der Gruppe regelrecht hinter sich zurück.

Die Drachen schienen ebenfalls eine Strategie zu verfolgen. Der Größere von beiden stieg auf und scherte dann zur Seite aus. Rhonin erkannte sofort, dass die beiden Leviathane beabsichtigten, die Greife in die Zange zu nehmen.

Im Näherkommen fügten sich die gewaltigen Schemen auf den Rücken der Drachen zu den grobschlächtigsten Orks zusammen, die Rhonin jemals erblickt hatte.

Der Ork, der den größeren der beiden Leviathane steuerte, schien der Anführer zu sein. Er verständigte sich wild gestikulierend mit dem anderen Ork, dessen Tier schließlich in die entgegengesetzte Richtung abdrehte.

»Fähige Reiter!«, rief Molok mit für Rhonins Geschmack viel zu viel Eifer. »Vor allem der Eine zu unserer Rechten … Das wird ein glorreicher Kampf!«

Und einer, in dessen Verlauf Rhonin durchaus sein Leben verlieren konnte, und das ausgerechnet jetzt, da es den Anschein gehabt hatte, als könnte er seine Mission endlich allein und ungestört fortsetzen. »Wir können nicht gegen sie kämpfen. Wir müssen zur Küste!«

Er hörte Molok voller Unmut grunzen: »Mein Platz ist in der Schlacht, Zauberer!«

»Meine Mission hat Vorrang!«

Einen Augenblick befürchtete er, der Zwerg würde ihn einfach abwerfen. Dann jedoch nickte Molok mehr als widerstrebend und rief: »Ich werde tun, was ich kann, Zauberer. Wenn sich eine Lücke zeigt, werden wir es zur Küste versuchen. Ich setze Euch ab und das war's dann zwischen uns beiden!«

»Einverstanden.«

Sie verloren keine weiteren Worte, denn in diesem Moment prallten die gegnerischen Parteien aufeinander.

Die flinkeren, weit agileren Greife jagten um die Drachen herum und brachten sie damit aus der Fassung. Jene Tiere hingegen, die mit einem für sie ungewohnt hohen Gewicht belastet waren, konnten bei weitem nicht so gewagte Manöver ausführen wie sonst. Eine mächtige Pranke mit messerscharfen Klauen erwischte deshalb um ein Haar Falstad und Vereesa, und auch Duncan und sein Zwergenbegleiter wurden nur knapp von einer Schwinge eines Drachens verfehlt und einen Kopf kürzer gemacht. Doch sie rückten dem Leviathan unbeeindruckt weiter zu Leibe.

Molok zog seinen Sturmhammer, schwenkte ihn in der Luft und brüllte dazu wie jemand, dem soeben der Haarschopf in Brand gesteckt worden war. Rhonin hoffte, dass der Zwerg im Eifer des Gefechts sein Versprechen nicht vergessen würde.

Der zweite Drache stieß herab und spähte sich unglücklicherweise ausgerechnet Falstad und Vereesa als Ziel aus. Falstad spornte seinen Greif an, doch mit der Elfe als zusätzliche Bürde vermochten die Flügel des Greifen einfach nicht schneller zu schlagen. Der riesige Ork feuerte seinen Drachen derweil mit immer mordlustigerem Gebrüll und wahnsinnigen Schwüngen seiner monströsen Streitaxt an.

Rhonin biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht einfach zusehen, wie die beiden Gefährten ins Verderben gerissen wurden, vor allem die Waldläuferin.

»Molok! Da – der Größere, greift ihn an! Wir müssen ihnen beistehen!«

Obwohl er dem Befehl mit sichtlicher Begeisterung Folge leistete, konnte es sich der narbenübersäte Zwerg nicht verkneifen, Rhonin an seine frühere Absicht zu erinnern. »Was ist nun mit Eurer so unglaublich wichtigen Mission?«

»Tut es einfach!«

Ein breites Grinsen breitete sich über Moloks Gesicht. Er stieß einen Schrei aus, der dem Magier durch Mark und Bein ging, dann lenkte er den Greifen auf den Drachen zu.

Im Rücken des Zwergenkriegers bereitete Rhonin einen Zauber vor. Ihnen blieben nur noch Sekunden, bis der rote Leviathan Vereesa erreichte.

Falstad riss sein Reittier mit einem jähen Ruck herum und überraschte damit den Drachenreiter. Das mächtige Wesen stob vorbei, unfähig sich der Wendigkeit seines kleineren Gegners anzugleichen.

»Festhalten, Zauberer!«

Moloks Greif stürzte fast senkrecht nach unten. Rhonin bekämpfte die in ihm aufsteigenden Urängste und kramte die letzten Reste des beabsichtigten Spruches aus seinem Gedächtnis. Wenn er jetzt noch genügend Atem fand, um ihn auch zu wirken …

Molok stieß einen Kriegsschrei aus, der die Aufmerksamkeit des Orks auf sie lenkte. Mit gerunzelter Stirn schnellte die groteske Gestalt herum, um sich dem neu aufgetauchten Gegner zu stellen.

Sturmhammer krachte gegen Streitaxt.

Ein Funkenschauer ließ den Zauberer fast den Halt verlieren. Der Greif kreischte vor Überraschung und Schmerz. Molok kippte beinahe aus seinem Sattel.

Ihr Reittier handelte selbständig und stieg höher in den Himmel, fast bis in die dichter werdenden Wolken hinein. Molok setzte sich wieder zurecht. »Beim Adlerhorst! Habt Ihr das gesehen? Wenige Waffen oder ihre Benutzer können gegen einen Sturmhammer bestehen! Das gibt eine interessante Auseinandersetzung …«

»Lasst mich zuerst etwas versuchen.«

Die Miene des Zwerges verdüsterte sich. »Magie? Wo blieben da Ehre und Tapferkeit?«

»Wie könnt Ihr den Ork bekämpfen, wenn Euch der Drache nicht mehr an sich heranlässt? Das erste Mal hatten wir pures Glück!«

»Also gut. Solange Ihr mich damit nicht um meinen Kampf bringt.«

Rhonin wollte keine Versprechungen machen, vor allem deshalb nicht, weil er sich insgeheim erhoffte, genau dies zu bewirken. Er fasste den Drachen ins Auge, der ihnen hart auf den Fersen war, und murmelte Worte der Macht. Erst im letzten Moment vor Vollendung des Spruchs richtete der Zauberer seinen Blick hinauf zu den Wolken.

Ein einzelner Blitzschlag fuhr daraus herab und traf den sie verfolgenden Giganten.

Er erwischte den Drachen voll, doch das Ergebnis entsprach nicht ganz dem, was sich Rhonin erhofft hatte. Der Körper der Kreatur glomm von Flügelspitze zu Flügelspitze auf, und die Bestie stieß einen wütenden Schrei aus – aber sie fiel nicht vom Himmel. Genau genommen reagierte sogar der Ork, der ohne Zweifel beträchtlichen Schaden genommen hatte, nicht viel spektakulärer, als dass er in seinem Sattel nach vorne fiel.

Unzufrieden musste sich der Zauberer damit trösten, dass er die Ork-Kreatur zumindest betäubt hatte. Und im Augenblick befanden sich weder er noch Vereesa in unmittelbarer Gefahr. Der Drache war voll und ganz damit beschäftigt, sich in der Luft zu halten.