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Rhonin legte eine Hand auf Moloks Schulter. »Zur Küste! Rasch jetzt!«

»Seid Ihr noch ganz klar in Eurem Schädel, Zauberer? Was ist mit dem Kampf, zum dem Ihr mich eben noch …«

»Sofort!«

Widerwillig und wahrscheinlich auch nur, um seine leidige Fracht endlich loszuwerden, weniger, weil er dem Magier echte Befehlsgewalt zugestand, riss Molok seinen Greif erneut herum und schlug einen anderen Kurs ein.

Indes forschte der besorgte Magier nach Vereesas Verbleib. Er konnte weder sie noch Falstad entdecken. Rhonin überlegte, ob er seinen Befehl ein weiteres Mal widerrufen sollte, aber er wusste, dass er Khaz Modan unbedingt erreichen musste. Gewiss würden die Zwerge mit den beiden Herausforderungen fertig werden.

Ganz sicher würden sie das schaffen!

Moloks Greif hatte bereits begonnen, sie vom Kampfgebiet zu entfernen. Rhonin haderte weiterhin mit sich selbst, ob er nicht zur Umkehr verpflichtet war.

Ein mächtiger Schatten fiel über sie.

Beide Reiter blickten bestürzt nach oben.

Der zweite Drache hatte sich ihnen genähert, während sie auf anderes konzentriert gewesen waren …

Der Greif versuchte, sich im Sturzflug außer Reichweite zu bringen. Das treue Tier schaffte es beinahe, doch dann fuhren scharfe Klauen durch seinen rechten Flügel. Das löwenartige Geschöpf brüllte vor Schmerz und versuchte verzweifelt, sich in der Luft zu halten. Rhonin erblickte über sich das weit geöffnete Maul des Drachen. Das Untier beabsichtigte, sie in einem Stück zu verschlingen!

Da rauschte hinter dem Drachen ein zweiter Greif heran – Duncan und sein Zwergengefährte. Der Paladin hielt sich in abenteuerlicher Pose im Sattel und schien bemüht zu sein, den Zwerg zu etwas zu überreden. Rhonin hatte keine Ahnung, was der Ritter beabsichtigte, aber er wusste, dass der Drache ihn und Molok erwischen würde, noch bevor er einen passenden Zauber über die Lippen brachte.

Duncan Senturus sprang.

»Götter und Dämonen!«, schrie Molok. Zum ersten Mal zeigte sich der tollkühne Zwerg von dem an Wahnsinn grenzenden Mut eines anderen Lebewesens beeindruckt.

Erst verspätet begriff Rhonin, was der Paladin versuchen wollte. Mit einem Sprung, der jeden anderen ins Verderben gestürzt hätte, landete der kampferprobte Ritter mit unglaublicher Zielgenauigkeit im Nacken des Drachen. Er packte den dicken Hals und hatte sich bereits zurecht gesetzt, als die Bestie und ihr Ork-Lenker endlich begriffen, was passiert war.

Der Ork hob seine Axt und versuchte, Lord Senturus mit einem fürchterlichen Hieb in den Rücken niederzustrecken, verfehlte ihn jedoch knapp. Duncan streifte ihn mit einem Blick, schien den Barbaren aber ansonsten nicht länger zu beachten. Den unbeholfenen Versuchen des Drachen, der nach ihm schnappte, ausweichend, rutschte er weiter nach vorne.

»Er muss völlig irre sein!«, keuchte Rhonin.

»Nein, Zauberer – er ist nur … ein Krieger

Rhonin vermochte den ehrfürchtigen Tonfall des Zwerges nicht nachzuvollziehen, bis er sah, wie Duncan, der die Beine und einen seiner Arme fest um den Hals des Reptils geschlungen hatte, seine schimmernde Klinge zog. Der Ork folgte dem Paladin langsam kriechend und ein mordlustiges Glitzern in den geröteten Augen.

»Wir müssen etwas tun. Ich muss näher heran«, seufzte Rhonin.

»Zu spät, Mensch! Manche Heldenlieder sind einfach vorherbestimmt …«

Der Drache versuchte nicht, Duncan abzuschütteln, wahrscheinlich um zu verhindern, dass auch seinem Lenker Gefahr drohte. Der Ork bewegte sich mit mehr Sicherheit als der Ritter und kam rasch in Reichweite seiner gewaltigen Schlachtaxt.

Duncan hatte beinahe den Kopfansatz der Bestie erreicht und holte mit seinem Langschwert aus, um es, daran gab es keinen Zweifel, dort hinein zu stoßen, wo der Schädel mit dem Rückgrat verbunden war.

Der Ork kam ihm mit seinem Hieb zuvor.

Die Axt grub sich in Lord Senturus Rücken und fraß sich durch das dünnere Kettenhemd, das der Mann für die Reise ausgewählt hatte. Duncan gab keinen Laut von sich, aber er fiel vorwärts und verlor beinahe sein Schwert. Im letzten Moment konnte er seinen Halt wahren und schaffte es doch noch, die Schwertspitze auf die anvisierte Stelle zu setzen, seine Kraft begann allerdings sichtlich zu schwinden.

Abermals hob der Ork seine Axt.

Rhonin initiierte den ersten Zauber, der ihm in den Sinn kam.

Ein Lichtblitz, hell wie die Sonne, explodierte vor den Augen des Orks, der mit einem überraschten Brüllen zurückzuckte und dabei sowohl seine Waffe als auch den Halt verlor. Der Krieger versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuklammern. Dies misslang ihm aber, und so glitt er schreiend vom Hals des Drachen in die Tiefe.

Der Zauberer wandte seine Aufmerksamkeit sofort wieder dem Paladin zu, der, wie es Rhonin schien, den Blick mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Respekt erwiderte. Auf seinem Rücken breitete sich ein tiefroter Fleck aus. Dennoch gelang es Duncan, sich aufzurichten und die Klinge seines Schwertes hoch zu erheben.

Der Drache erkannte, dass es keinen Grund mehr gab, sich Zurückhaltung aufzuerlegen, und tauchte nach unten.

Lord Senturus rammte die Klinge tief in das nachgiebige Fleisch zwischen Hals und Kopf und bohrte sie bis zur Hälfte in den Leviathan hinein.

Das rote Ungeheuer zuckte unkontrolliert. Flüssigkeit schoss aus der Wunde heraus, so heiß, dass sie den Paladin verbrühte. Er rutschte rückwärts und verlor den Halt.

»Hin zu ihm, verdammt und zugenäht!«, befahl Rhonin dem Zwerg. »Hin zu ihm!«

Der Zwerg gehorchte, doch Rhonin wusste, dass sie Duncan niemals rechtzeitig erreichen würden. In Flugrichtung sah er einen weiteren Greifen heranjagen: Falstad und Vereesa. So überladen sein Reittier auch jetzt schon sein mochte, hoffte der Anführer der Staffel offenbar dennoch, den Paladin retten zu können.

Für einen Augenblick schien es tatsächlich, als würde es ihnen gelingen. Falstads Greif näherte sich dem schwankenden Krieger. Duncan hob den Blick, richtete ihn erst auf Rhonin, dann auf Falstad und Vereesa, schüttelte den Kopf … und stürzte vornüber von dem sich aufbäumenden Drachen.

»Neeeeiiiiin!« Rhonin streckte den Arm nach der fernen Gestalt aus. Insgeheim wusste er, dass Lord Senturus bereits tot war, dass nur eine Leiche der See entgegenfiel, doch der Anblick spülte alle unguten Erinnerungen an seine zurückliegenden, fehlgeschlagenen Mission wieder an die Oberfläche. Seine Albträume hatten ihn eingeholt – erneut hatte er einen Begleiter verloren, und es spielte keine Rolle, dass sich Duncan selbst angeboten hatte, die Reise mitzumachen.

»Pass auf!«

Moloks Warnung riss ihn aus der Erstarrung. Er blickte auf und sah den Drachen, der im Todeskampf die Luftmassen durchwühlte. Die riesigen Flügel schlugen nach allen Seiten, bewegten sich völlig willkürlich. Falstad brachte sein Tier nur knapp außer Reichweite einer der Schwingen, und zu spät erkannte Rhonin, dass er und Molok ähnliches Glück schwerlich haben würden.

»Hoch mit dir, du verdammtes Vieh!«, brüllte Molok. »Hoch mit …«

Der Flügel traf sie mit voller Wucht und riss den Magier aus seinem Sattel. Der Schrei des Zwerges mischte sich mit dem Kreischen des Greifen. In seiner Betäubung bekam Rhonin kaum mit, dass er, zumindest für einen kurzen Moment lang, in die Luft geschleudert wurde. Doch der Auftrieb währte nicht lange, die Schwerkraft setzte sich durch, und der entkräftete Magier begann, immer schneller werdend, zu fallen …

Er musste einen Zauber wirken. Irgendeinen Zauber. Doch so sehr er sich auch bemühte, ihm fielen nicht einmal die Anfangsworte eines Spruches ein, und ein Teil von ihm schien sich bereits damit abgefunden zu haben, diesmal sterben zu müssen.

Dunkelheit von einer völlig widernatürlichen Art umfing ihn. Rhonin glaubte, das Bewusstsein zu verlieren. Doch mit der Dunkelheit kam eine dröhnende Stimme, die eine ganz spezielle Saite in seiner Erinnerung zum Klingen brachte.

»Ich habe dich sicher, mein Kleiner, nun schon zum zweiten Male. Hab keine Furcht – hab keine Furcht.«