Ungeachtet dessen, schwebte er nun vor ihnen und schien sie vor einem seiner eigenen Artgenossen retten zu wollen …
… was er selbst natürlich kaum auf diese Weise gesehen hätte. Für ihn war es nur ein rot geschuppter Feind, und Rot war die Farbe seiner größten Rivalin. Deathwing hasste alle andersfarbigen Drachen, versuchte sie, wo immer er sie antraf, umzubringen. Und solche von Alexstraszas Art, verachtete er am meisten.
»Ein unglaublicher Anblick, hm?« murmelte Falstad, ausnahmsweise einmal in gedämpftem Ton. »Aber ich hielt das Untier für tot …«
Dem konnte sich die Waldläuferin nur anschließen. Die Kirin Tor hatten ein Bündnis der fähigsten menschlichen Zauberer und ihrer elfischen Gegenstücke erwirkt, um dem schwarzen Zorn, wie sie es bezeichneten, endlich Einhalt zu gebieten. Und tatsächlich hatte ihn nicht einmal die absonderliche Metallrüstung, zu der er von den verrückten Goblins überredet worden war, vor der magischen Attacke der vereinten Magier schützen können. Er war gefallen, gefallen …
… um jetzt triumphal zurückzukehren?
Urplötzlich schien der Krieg gegen die Orks zur Nebensache zu verkommen. Was waren selbst sämtliche Überbleibsel der Horde in Khaz Modan, verglichen mit diesem bösartigen Einzelgänger?
Der kleinere Drache, augenscheinlich auch ein männliches Exemplar seiner Gattung, schnappte wütend nach Deathwing. Dabei kam er dem schwarzen Ungeheuer nahe genug, dass es diesem möglich gewesen wäre, ihm einen Schlag mit seiner linken Vorderpranke zu versetzen – was er aus irgendeinem Grunde jedoch nicht tat. Deathwing hielt seine Klaue geschlossen und nah am Körper, peitschte stattdessen seinen Schwanz gegen den Kontrahenten und schmetterte den Roten damit zurück.
Entlang von Deathwings Kehle und seinem Rumpf wurde während der abrupten Bewegung unter den sich verschiebenden Metallplatten etwas sichtbar, das an ein weit verzweigtes Adernetz erinnerte, gefüllt mit flüssigem Feuer. Die Legende besagte, dass man bei der Berührung einer dieser Feueradern tatsächlich Gefahr lief, zu verbrennen. Manche vertraten die Ansicht, eine säurehaltige Absonderung des Drachen sei dafür verantwortlich, doch war in anderen Geschichten die Rede von tatsächlichem flüssigem Feuer, das in Deathwing zirkulierte und jedem zum Verhängnis werden konnte.
In jedem Fall bedeutete es, wenn es zum Tragen kam, den Tod.
»Der Ork ist entweder unglaublich tapfer, ein kompletter Narr oder er hat die Kontrolle über sein Tier verloren!« Falstad schüttelte den Kopf. »Selbst ich würde einen solchen Kampf meiden, wenn es irgend möglich wäre!«
Die anderen Greife näherten sich. Ihren Blick von den kämpfenden Drachen lösend, widmete sich Vereesa den Neuankömmlingen, fand aber keine Spur von Molok oder Rhonin. Genau genommen umfasste ihre kleine Gruppe nur noch sie und vier Zwerge.
»Wo ist der Zauberer?«, rief sie den anderen zu. »Wo?«
»Molok ist tot«, erstattete einer Falstad Bericht. »Sein Reittier treibt in der See.«
Im Verhältnis zu ihrer kleinwüchsigen Statur, war die Muskulatur der Zwerge immens ausgeprägt, was ihre Körper schwer machte; es hielt sie nicht lange an der Wasseroberfläche.
So entschieden Falstad und die anderen, dass die Entdeckung des toten Greifen bereits ein hinreichender Beweis für den Tod des Kriegers sei.
Zumindest Rhonin aber war ein Mensch, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass er, ob nun tot oder lebendig, eine Weile auf dem Wasser treiben würde. Vereesa klammerte sich an diese schwache Hoffnung. »Und der Zauberer? Habt Ihr den Zauberer gesehen?«
»Ich denke, es ist eindeutig, meine Elfendame«, gab Falstad mit einem Blick zu ihr zurück.
Sie presste die Lippen zusammen, wusste, dass er vermutlich Recht hatte. Bei dem Zwischenfall in der Festung hatte es wenigstens offene Fragen gegeben. Hier jedoch schien die Angelegenheit klar und endgültig. Offenbar hatte selbst Rhonins Magie ihn hier oben nicht zu schützen vermocht, und ein Sturz aus dieser Höhe auf die Wasseroberfläche kam einem Aufschlag auf nacktem Fels sehr nahe …
Vereesa konnte nicht widerstehen und richtete den Blick nach unten, wo der Drachenkadaver, halb versunken, im Meer trieb. Das Schicksal musste Rhonin und Molok durch eine der wilden Zuckungen des Untiers in dessen Todeskampf ereilt haben. Sie hoffte nur, dass das Ende für beide schnell gekommen war.
»Was sollen wir tun, Falstad?«, rief einer der Zwerge.
Ihr Anführer rieb sich das Kinn. »Deathwing ist keines Kriegers Freund. Er wird zweifellos auch uns jagen, sobald er mit dem Biest fertig ist. Es wäre Irrsinn, ihm entgegentreten zu wollen, denn es würde hundert Sturmhämmer erfordern, um ihm auch nur eine Beule zuzufügen. Am besten wir kehren zurück und verbreiten die Nachricht, was wir gesehen haben.«
Die anderen Zwerge schienen dem zuzustimmen, Vereesa selbst aber spürte, dass sie allem Offensichtlichen zum Trotz noch nicht aufgeben konnte. »Falstad, Rhonin ist ein Zauberer! Er ist vermutlich tot, aber wenn er noch lebt – wenn er noch dort unten treibt –, braucht er unsere Hilfe!«
»Ihr seid eine Närrin, verzeiht mir die Worte, meine Elfendame. Niemand könnte so einen Sturz überleben, nicht einmal ein Zauberer.«
»Bitte! Fliegt nur eine Runde über der Wasseroberfläche. Danach können wir umkehren.« Auch wenn sie nicht fündig wurden, so war doch wenigstens ihre Pflicht gegenüber dem Magier und der gescheiterten Mission erfüllt. Daran allerdings, dass ihre Schuldgefühle sehr viel länger anhalten würden, konnte auch das nichts ändern.
Falstad runzelte die Stirn. Die Blicke seiner Krieger verrieten, dass sie es für Wahnsinn hielten, noch länger in Deathwings Nähe zu verweilen.
»Nun gut«, brummte er dennoch. »Aber nur um Euretwillen, nur um Euch einen Gefallen zu tun!« Dann wandte er sich an seine Krieger: »Ihr kehrt schon ohne uns um! Wir werden euch bald folgen, doch sollten wir es aus irgendeinem Grunde nicht schaffen, verbreitet auf jeden Fall die Nachricht von der Rückkehr des Dunklen! Und jetzt ab mit euch!«
Während also die anderen Zwerge mit ihre Tieren auf Westkurs gingen, lenkte Falstad sein eigenes tiefer. Die Wasseroberfläche kam näher, und über ihnen schwoll das wütende Gebrüll der beiden Kontrahenten an.
Deathwing und der Rote gerieten immer heftiger aneinander. Ihre Schreie wurden lauter, heiserer. Beide Untiere hatten ihre Klauen ausgestreckt, und ihre Schwänze zuckten in wilder Raserei. Deathwings rotglühende Streifen verliehen ihm ein Furcht einflößendes, beinahe übernatürliches Erscheinungsbild, als wäre in ihm einer der sagenumwobenen Dämonen wiedergekehrt.
»Das Vorgeplänkel ist vorbei«, erklärte Vereesas Gefährte. »Sie werden kämpfen. Ich frage mich, was wohl der Ork über all das denken mag …«
Vereesa machte sich keine Gedanken über den Ork. Erneut richtete sie ihr Augenmerk auf die Suche nach Rhonin. Während der Greif nur wenige Meter über dem Wasser dahinglitt, durchforschte sie das fragliche Gebiet nach dem Zauberer. Es musste doch irgendwo eine Spur von ihm geben!
Unweit von ihrer Position konnte die verzweifelte Waldläuferin die verdrehte Gestalt des verendeten Reittiers ausmachen. Ob tot oder lebendig, der Zauberer musste irgendwo hier stecken – es sei denn, er hatte es tatsächlich geschafft, sich aus der Gefahrenzone herauszuzaubern.
Falstad grunzte, um seiner Ansicht Ausdruck zu verschaffen, dass sie hier doch nur ihre Zeit verschwendeten. »Es ist sinnlos.«
»Lasst es uns noch ein klein wenig länger versuchen!«
Erneut lenkten wilde Schreie ihre Blicke himmelwärts. Der Kampf begann ernst zu werden. Der rote Drache versuchte Deathwing zu umkreisen, der aber war ein zu gewaltiges Hindernis. Schon die Membranschwingen stellten Hindernisse dar, an denen der kleinere Drache nicht vorbei kam. Er versuchte, Feuer nach ihnen zu speien, doch Deathwing wich mit einem Flügelschlag aus – wenngleich auch das Feuer kaum mehr erreicht hätte, als ihn leicht anzusengen.